Sucht der Stadt Bestes
aus der St. Katharinenkirche in Frankfurt am Main mit Kirchenpräsident Dr. Dr. h.c. Volker Jung
03.11.2024 10:05

Darum geht es 
Manche sagen zurzeit: Ich habe genug mit mir selbst zu tun und mit denen, die mir nahestehen. Aber das Leben gelingt nur, wenn Menschen sich einsetzen für andere. Darum geht es in Gottesdienst und Predigt, wie das Leben gemeinsam gelingen kann in Stadt und Land. Die Predigt von Kirchenpräsident Dr. Volker Jung legt den Aufruf des biblischen Propheten Jeremia "Sucht der Stadt Bestes" für heute aus: Mach mit, damit gelingt, dass wir gut zusammenleben. Dabei nimmt er auf, was für viele heute schwierig ist. Es verändert sich viel. So dass manche sich fremd fühlen oder sich zurückziehen. Vorsichtig sind, manchmal auch ängstlich. Der Gottesdienst macht Mut: Was fremd ist, kann man auch gestalten und sich zurechtfinden. Sogar mehr Lebensfreude gewinnen, zusammen mit anderen. 

Im Gottesdienst berichten Menschen, wie ihr christlicher Glaube sie motiviert zum Engagement in Gesellschaft und Politik. Stefan Majer war Frankfurter Stadtrat und setzt sich heute ehrenamtlich für Gesellschaft und Kirche ein. Georgina von Holtzapfel ist im Leitungsteam für Essen und Wärme für bedürftige Menschen in der St. Katharinengemeinde. Student Lasse Weigelt engagiert sich seit der Schülerzeit für ein Jugendparlament in Frankfurt und in der Kirchengemeinde, u.a. für das Krippenspiel.   

Die biblischen Lesungen übernimmt Christoph Werkhausen; liturgisch wirkt mit Pfarrerin Dr. Gita Leber. 

Musik
Die Kantorei St. Katharinen und ein Bläserquartett gestalten den Gottesdienst musikalisch. Sie interpretieren Stücke u.a. von Felix Mendelssohn-Bartholdy, Knut Nystedt und Gabriel Fauré. Die Gemeinde singt neue und liebgewonnene Lieder der Tradition. Die Orgel spielt Johannes Weber. Die musikalische Gesamtleitung hat Kantor Klaus Eldert Müller.
 

Lieder des Gottesdienstes:
1. Lied: EG445, Gott des Himmels und der Erde, Strophe 1, 2, 5
2. Lied: EG179, Ehre sei Gott in der Höhe, Strophe 1
3. Lied: EG 268, Strahlen brechen viele, Strophen 1, 3, 4
4. Lied: EG 634, Die Erde ist des Herrn, Strophen 1-4
5. Lied: EG 140, Brunn alles Heils, Strophen 1-5
 

Predigt nachlesen:

I (über Jeremia 29,7)

Liebe Gemeinde, liebe Hörerinnen und Hörer, 

wir haben eben gehört: Unsere Gesellschaft soll Jugendlichen mehr zuhören, mehr Beachtung schenken. Dafür setzt sich Lasse Weigelt ein. Er hat als Schüler daran mitgearbeitet, dass es hier in Frankfurt bald ein Jugendparlament geben wird. 

Er sagt: "Wir Jüngeren werden noch Jahrzehnte in dieser Gesellschaft leben und wollen sie mitgestalten." 

Außerdem hat Stefan Majer gesprochen. Er ist jetzt in Rente. Er war erst ehrenamtlich und dann hauptamtlich in der Politik. Jetzt macht er ehrenamtlich weiter und steckt seine Kraft in die Zivilgesellschaft, zu der für ihn auch die evangelische Kirche gehört. Umwelt- und Demokratiebildung ist ihm wichtig, damit nicht Populisten mit einfachen Antworten die Oberhand gewinnen. 
Georgia von Holtzapfel arbeitet ganz praktisch mit, hier in der Katharinenkirche – im Herzen von Frankfurt am Main. Mit anderen bewirtet sie regelmäßig bedürftige Menschen, die dankbar sind für ein warmes Essen und für ein Gespräch. 

Wie gut, dass es solche Menschen gibt! Was sie verbindet, ist ihr Glaube und ihr Einsatz für andere Menschen in dieser Stadt. 

"Suchet der Stadt Bestes!" Dieser Satz steht in der Bibel. Er ist eine passende Überschrift für das, was die drei tun. Zum Glück gibt es viele Menschen, die sich engagieren. 

Es braucht auch viele Menschen, die sich fürs Gemeinwesen einsetzen: in der Politik, bei der Feuerwehr, beim Roten Kreuz, im Katastrophenschutz, in Hilfsorganisationen und Vereinen, in Kirchen und Religionsgemeinschaften.
"Suchet der Stadt Bestes!" Allerdings gehen die Meinungen auseinander, wenn es darum geht, was das jeweils Beste für eine Stadt, ein Dorf, ein Land ist. Das ist auch gut so. Verschiedene Meinungen sind in einer Demokratie nicht das Problem. Um gute Lösungen muss gerungen werden. Doch es ist notwendig und unverzichtbar, sich für die Allgemeinheit zu engagieren. Das wird deutlich, wenn wir uns den Satz genauer anschauen. 

"Suchet der Stadt Bestes!" Dieser Satz steht im Alten Testament im Buch des Propheten Jeremia. In einem Brief, den Jeremia von Jerusalem aus an seine Landsleute schreibt. Die sind in der großen Stadt Babel im Exil. König Nebukadnezar hat Jerusalem erobert und sie gefangengenommen. Diesen Menschen schreibt Jeremia: "Suchet der Stadt Bestes, dahin ich euch habe wegführen lassen, und betet für sie zum HERRN, denn wenn´s ihr wohlgeht, so geht´s euch auch wohl." 

So schön die Worte klingen, so aufwühlend sind sie. Sich für die Stadt einsetzen, in die man verschleppt wurde? Und dann sagt Jeremia auch noch: Das sind Gottes Worte. Jeremia empfiehlt den Menschen, die Nebukadnezar in sein Land mitgenommen hat, sich in der Fremde einzurichten. Sich niederzulassen im Land des Feindes, im Land der Eroberer. Häuser sollen sie dort bauen und Gärten pflanzen. Sich dort verheiraten und Kinder zeugen. Und für die Feinde beten, die auch noch eine andere Religion haben. Was für eine Provokation! Für die beten, die mich in eine schlimme Lage gebracht haben, mich vertrieben haben!

Und wir? Wir sind nicht im Feindesland, die meisten nicht vertrieben: Wie nützt uns der Satz "Sucht der Stadt Bestes? Wie kann uns das weiterhelfen?
 

II
"Suchet der Stadt Bestes, dahin ich euch habe wegführen lassen, und betet für sie zum Herrn, denn wenn´s ihr wohlgeht, so geht´s euch auch wohl." Das schreibt der Prophet Jeremia also an die Menschen, die ihre Heimat verloren haben und die Nebukadnezar in Babel angesiedelt hat. Er hat sie nicht eingesperrt. Er will, dass sie für ihn und sein Land arbeiten. Für die Menschen, die ihre Heimat verloren haben, stellt sich die Frage: Bleiben wir unter uns? Leisten wir Widerstand? Gibt es irgendeine Chance, wieder in unsere Heimat zurückzugehen? Es fehlt nicht an Stimmen, die genau das gesagt haben: Verweigert euch! Schottet euch ab! Haltet euch raus! Setzt darauf, dass ihr bald nach Hause zurückgehen könnt! 

Für uns heute ist das eine ferne Zeit. Aber wir können daraus etwas lernen. Auch wenn die meisten von uns zum Glück nicht im Exil sind. Vielleicht können das am ehesten die Menschen erahnen, die wegen des Krieges aus der Ukraine geflohen sind. Da stellt sich für manche die Frage: Sollen wir hier ein neues Leben beginnen? Oder sollen wir daraufsetzen, dass wir doch bald wieder zurückgehen können? Für viele von uns stellt sich diese Frage nicht so. Aber vielleicht anders: Es gibt manche, die sagen: "Es verändert sich so viel. Ich bin auch in meiner Heimat fremd. In meiner Jugend war vieles anders. Jetzt sind viele Menschen aus anderen Ländern da, die früher nicht da waren." Andere werden vielleicht sagen: "Mir ist vieles fremd geworden. Da komme ich nicht mehr mit, wenn ich zur Bank gehe oder zum Einkaufen. Überall Geräte und Computer. Ich weiß nicht, ob ich das wirklich will." Manche fühlen sich fremd in einer Welt, die irgendwann mal vertraut war. Ich finde, da sind Worte wie die von Jeremia hilfreich und geben Orientierung.

Jeremia redet davon, dass die Menschen das, was sie erleben, als Aufgabe annehmen sollen. Sein Rat lautet sogar: Begreift das, was ihr erlebt, als Herausforderung von Gott! Macht etwas daraus! 

Können wir heute das, was wir erleben, als Aufgabe verstehen, die Gott uns stellt? Das Fremde: Eine Aufgabe! Aber all die anderen großen Herausforderungen auch: in unserem Land, in Europa, in der Welt. 

Wir sehen das Leid, das Menschen einander antun in den Kriegen dieser Welt: Ukraine, Israel, Gaza, Libanon. Wir sehen den Klimawandel mit all seinen Folgen. Zur Aufgabe, die Gott stellt, gehört, Ursachen zu erforschen. Fehler aufzudecken. Und auch Menschen zur Rechenschaft zu ziehen. Keine Frage. Und es ist nötig, vieles zu ändern.

Damit ich dies tun kann, damit ich nicht verzweifle, hilft es mir, wenn ich mir sage: Ja, das ist die Zeit, in der ich lebe. Und das sind Gottes Aufgaben. Es hilft nicht, wenn ich mich zurückziehe oder mich verweigere. Und ich denke: Ja, gerade jetzt ist es so wichtig, dass Menschen gemeinsam danach suchen, was das Beste für diese Stadt ist, für dieses Land und für diese Welt. Wie das im Einzelnen aussieht und was Kraft gibt, davon nach der Musik.
 

III
Suchet der Stadt Bestes! Der Prophet Jeremia sagt, was Kraft gibt bei dieser Aufgabe. In seinem Brief schreibt er: "Ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der HERR: Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung."

Dieser Zuspruch gilt für Menschen zu allen Zeiten. So gestärkt das Beste der Stadt suchen! Mitgestalten macht zuversichtlich, gibt Zukunft und Hoffnung. Mitgestalten, damit es anderen und mir gut geht. Die Botschaft ist klar: Uns geht es gut, wenn es gelingt, dass alle friedlich zusammenleben. Eigentlich ist das ja ein Gebot der Klugheit. Aber selbstverständlich ist das keineswegs. Auch bei uns nicht, wo wir doch in Freiheit miteinander leben können. 

Manche sagen: "Ja, Freiheit ist gut, aber vieles andere ist bedrohlich. Ich will nicht mit so vielen unterschiedlichen Menschen zurechtkommen müssen. Menschen mit anderer Kultur, anderer Religion, anderer Herkunft. Ich will nicht danach fragen müssen, ob ich nachhaltig genug lebe. Ich werde nur noch für mich und meine Familie sorgen. Hauptsache, ich komme irgendwie zurecht." 

Manche meinen auch, sie könnten irgendwie in eine angeblich heile, überschaubarere Welt zurück. Die hat es allerdings so nie gegeben. 

Was Jeremia sagt, geht in eine andere Richtung: Schaut nicht zurück, versinkt nicht in euren Klagen, lebt jetzt und gestaltet das Leben in eurer Stadt mit! Dabei geht es erst einmal gar nicht darum, Außergewöhnliches zu tun. 

Lasst euch nieder, baut Häuser, pflanzt Gärten, sucht euch Menschen, mit denen ihr leben wollt, sorgt dafür, dass das Leben weitergeht. Warum eigentlich? Weil es klug ist? Ja, weil es klug ist. Aber auch deshalb, weil ihr Gott vertrauen könnt. "Ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der HERR: Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung." Damit sagt Jeremia: Gott mutet euch einiges zu, Gott gibt euch Aufgaben. Und Gott will nicht, dass ihr leidet und das Leben zerstört. Gott will, dass ihr lebt, gut, gerecht und friedlich miteinander. Glaubt daran, orientiert euch daran! Und deshalb: Suchet der Stadt Bestes! 

Amen.

Es gilt das gesprochene Wort.
 

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