epd/Uschmann
Weihnachten für dich, für mich, für uns alle
aus der Glaubenskirche in Wien-Simmering
26.12.2025 10:05

Der Weihnachtsgottesdienst am Stephanitag, Freitag, 26. Dezember 2025, wird aus der evangelischen Glaubenskirche Wien-Simmering übertragen. Der Deutschlandfunk übernimmt die Live-Übertragung von ORF II ab 10.05 Uhr.

"Weihnachten für dich, für mich, für alle" heißt die Überschrift. "Wir sind eine multikulturelle Gemeinde mit Menschen aus vielen Ländern", so Ortspfarrerin Anna Kampl. "Gemeinsam feiern wir Weihnachten. Und wir hören, wie etwa Menschen in Ghana, im Iran oder in Tschechien feiern und was zu ihrem Weihnachtsfest dazugehört."

Musikalisch begleiten den Gottesdienst die Johann Sebastian Bach Musikschule sowie Helmut Neundlinger an der Bassklarinette. Die Orgel spielt Hansjürgen Schwarz, die Steirische Ziehharmonika Karl Wagner. Mit dabei ist auch ein Projektchor aus der Pfarrgemeinde und der Ghanaischen Gemeinde.

Predigt nachlesen:

I
Liebe Gemeinde, 
Vanille und Zimt.
Mein Weihnachten duftet nach Kindheitserinnerungen.
Nach Geborgenheit und Sehnsucht.
Frische Tannenzweige und warmes Kerzenwachs.
Mandarinenspalten, Nelken und süßer Punsch.
Weihnachten duftet auf vielerlei Arten. 

Ein bisschen nach paniertem Karpfen und nach frisch gewaschenem, festlichem Gewand, das schon den ganzen Tag über auf einem Sessel bereitlag – wie ein stilles Versprechen, dass der Abend etwas Besonderes wird.
Nach eiskalter Winterluft, die durch das weit geöffnete Fenster ins Wohnzimmer strömte, während wir Kinder auf dem Fensterbrett saßen und auf das Christkind warteten – aufgeregt, voller Zauber.

Und doch weiß ich heute: Weihnachten duftet nicht überall gleich.
In jeder Familie, in jedem Land, auf jedem Kontinent steigen andere Düfte in die Luft – und doch tragen sie etwas Gemeinsames in sich.
Weihnachten ist ein Fest, das um die ganze Welt wandert und in jedem Land anders riecht – und doch überall dieselbe Botschaft verströmt:
Immanuel, das heißt übersetzt: Gott mit uns. 

 

II
Liebe Gemeinde, 

Düfte von Weihnachten sind unterschiedlich. Aber wie war es überhaupt damals?  
Nach was riecht die Weihnachtserzählung aus dem Evangelium nach Matthäus, die wir heute gehört haben?  Schauen wir genau hin, wie Weihnachten für die einzelnen Akteur:innen gerochen hat. 

Für Maria duftet Weihnachten definitiv nicht nach Zimt und Vanille.
Nicht nach Kerzenwachs oder Tannengrün.
Ihr Weihnachten riecht nach ihrer Welt – nach dem Leben, das sie atmet und dem Gott, der ihr so nah kam wie niemand zuvor.

Maria ist ein junges Mädchen, beschäftigt mit dem Alltag, den Händen voller Arbeit, vielleicht mit dem Duft von Brot, das sie eben aus dem Ofen geholt hat. Vielleicht riechen ihre Hände noch nach Wasser aus dem Krug, mit dem sie den Boden gewischt hat. Vielleicht nach Staub aus den Gassen Nazareths, der sich in allem festsetzt.
Und dann – ohne Vorwarnung – die Nachricht, dass sie schwanger war vom Heiligen Geist.
Nicht sichtbar, aber spürbar.
Nicht glänzend, aber real.
Wie roch dieser Moment?
Ganz sicher nicht nach Weihnachtsmarkt oder Punsch.
Sondern nach ihrem Leben – und plötzlich nach etwas völlig Neuem.
Vielleicht nach der Angst davor, was kommt.
Ein junges Mädchen, schwanger, ein uneheliches Kind. 
Allein der Gedanke daran, wie die Nachbarn reagieren würden,
macht das Herz eng.

Sie spürt Einsamkeit wie kalte Luft, die durch einen Riss im Fenster zieht.
Marias Weihnachtsduft beginnt nicht mit Nadeln und Kerzen,
sondern mit Alltag, der plötzlich heilig wurde,
mit Angst, die zu Vertrauen wurde.
Marias Weihnachten riecht nach feuchtem Stroh.
Nach Erde und Fell der Tiere. 
Nach Geburt.
Eine Mischung aus Schmerz, Kraft, Nähe und neuem Leben.
Ein Geruch, der heilig ist, weil er die Schwelle zwischen "noch nicht" und "jetzt" markiert.

Marias Weihnachten riecht nach Blut und Wasser, nach Anspannung und Erlösung – nach dem Wunder des Lebens.
Nach einer Botschaft, die die Welt veränderte,
nicht nach Glanz,
sondern nach Mut,
nach Gnade
und nach einem neuen Anfang.

Und Josef? 
Ein Mann, der anpackte. Seine Hände riechen nach Schweiß, Holz und Arbeit.
Nach Holz, Werkzeug, nach einer staubigen Baustelle, nach einem harten Arbeitsalltag. 
Und dann plötzlich nach einem seelischen Schmerz.
Vertrauen bricht nicht laut, sondern leise.
Alles, was geplant war – die Ehe mit Maria, das gemeinsame Leben – plötzlich unmöglich.

Was sagen die Leute? 
Angst vor einer Entscheidung, die nicht richtig und nicht falsch sein konnte.
Er wollte sich von Maria trennen, aber leise.
Alles war plötzlich durcheinander.
Mitten in einem inneren Konflikt.
Zwischen Gesetz und Liebe.
Zwischen Vernunft und Glauben.
Zwischen Ehre und Barmherzigkeit.
Vielleicht riecht dieser Moment für Josef nach kaltem Schweiß und Angst.
Nach einer Nacht, die nicht enden will.
Nach Gedanken, die keinen Schlaf finden.

Und ausgerechnet dort – genau in diesem Chaos, in dieser inneren Dunkelheit –
kommt der Engel.
Nicht am Tag, sondern in der Nacht.
Nicht in Stärke, sondern in Schwäche.
Und spricht den einzigen Satz, den Josef in dieser Stunde braucht:
"Fürchte dich nicht."

Das ist das Wunder:
Gott findet Josef nicht in seiner Kraft, sondern in seinem Schmerz.
Nicht im Rampenlicht, sondern im Schatten.
Nicht in Klarheit, sondern im Durcheinander.

III
Weihnachten beginnt nicht im Licht, sondern in der Dunkelheit.
Maria mit ihrer Einsamkeit nach der Engelsbotschaft.
Josef mit seiner inneren Zerrissenheit und seinen stillen Sorgen.
Beide tragen Lasten, die sie nicht gewählt haben.
Und genau das verbindet ihre Geschichte mit vielen Geschichten heute – den Geschichten von Menschen, deren Weihnachten nach Dunkelheit, Angst, Krieg, Krankheit oder Einsamkeit riecht.
Weihnachten führt uns von damals direkt in das Heute –
von der Dunkelheit des Stalls zur Dunkelheit unserer Welt.

Weihnachten im Krieg riecht 
nach verbranntem Holz und Staub von zerbombten Häusern
Rauch in der Luft
kalten Kellern, in denen Menschen Schutz suchen
Angstschweiß
nasser Erde
einem Stück trockenem Brot, das man teilt wie einen Schatz
So riecht Weihnachten, wenn Frieden nur ein Wort ist –
und Hoffnung trotzdem atmet.
Weihnachten auf der Flucht riecht
nach feuchtem Asphalt
alten Schuhen
kalter Luft auf nackter Haut
billiger Alufolie von Rettungsdecken
Plastikplanen von Notunterkünften
aufgekochtem Reis aus großen Töpfen
Heimweh, das wie Salz riecht, wenn Tränen fallen
So riecht Weihnachten, wenn Menschen ihr Leben hinter sich lassen und trotzdem ihren Mut nicht verlieren. 

Weihnachten im Krankenhaus riecht nach Desinfektionsmittel
steriler Luft
Medikamenten und Tee im Plastikbecher
Haut, die lange im Bett gelegen ist
einem feuchten Waschlappen auf der Stirn
So riecht Weihnachten, wenn Menschen hoffen, dass Gott im Zimmer bleibt, auch wenn niemand anderes da ist.

Weihnachten in der Einsamkeit riecht nach einer Wohnung, in der die Heizung zu kalt ist
einem Teller, der nur für eine Person gedeckt ist
kaltem Kaffee, den niemand gemeinsam austrinkt
ungeöffneten Kekspackungen
alten Fotos in Schubladen
Stille, die schwerer in der Luft hängt als jeder Duft
Und doch; vielleicht ist es in der Einsamkeit wie bei Josef:
genau dort – mittendrin – flüstert der Engel Gottes Worte:
"Fürchte dich nicht."
 

IIII
Liebe Gemeinde,
so verschieden die Düfte von Weihnachten sind – süß oder bitter, warm oder kalt, vertraut oder ganz fremd –, sie alle erzählen eine einzige große Geschichte:
Gott findet uns.
In allen Düften.
In allen Welten.
In allen Dunkelheiten.
Er fand Maria, die einsam und überfordert war.
Er fand Josef, der verletzt, enttäuscht und hin- und hergerissen war.
Er fand die Hirten, die nach Schaf und Alltag rochen.
Und er fand die Weisen, die nach langer Reise rochen.
Und so findet er auch uns –
egal nach was unser Leben gerade riecht:
nach Freude oder nach Angst,
nach Geborgenheit oder nach Sehnsucht,
nach Fest oder nach Kampf.
Weihnachten bedeutet:
Gott scheut keinen Duft unseres Lebens.
Nicht den Duft der Tränen,
nicht den der Müdigkeit,
nicht den des Alleinseins,
nicht den des Krieges,
nicht den der Armut.
Er atmet unsere Welt.
Er kommt in unsere Wirklichkeit.
Er bringt Licht dorthin, wo es nach Dunkel riecht.
Er bringt Wärme dorthin, wo die Luft kalt ist.
Immanuel – Gott mit uns.
Das ist der Duft von Weihnachten.
Ein Duft, der nach Zukunft riecht,
nach Aufatmen,
nach gelingendem Leben,
nach einem neuen Anfang.
Und so wünsche ich uns allen ein Weihnachten, das uns den Duft der Hoffnung schenkt –
einen Duft, der bleibt, wenn die Kerzen ausgehen,
der trägt, wenn die Nächte dunkel sind,
und der uns erinnert:
Gott ist da.
Ganz nah.
Mitten unter uns.
Auch heute. Auch hier. Auch jetzt.

Amen.
 
Es gilt das gesprochene Wort.

 

 

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