Sie war die Diva der Nachkriegszeit: Hildegard Knef. Am 28. Dezember 1925 wurde sie in Ulm geboren, aufgewachsen ist sie in Berlin. Zu ihrem 100. Geburtstag erinnert der evangelische Gottesdienst aus der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche an die Schauspielerin und Sängerin. Der Deutschlandfunk überträgt den Gottesdienst am Sonntag, 28. Dezember 2025, live von 10.05 bis 11.00 Uhr.
Die Chansons von Hildegard Knef sind voller Lebenserfahrung, Tiefe und Berliner Charme. Für "Die Knef" hat es nicht nur rote Rosen geregnet. Der Gottesdienst zwischen den Jahren widmet sich der Frage: Was bleibt von einem Leben?
Den Gottesdienst gestaltet Pfarrerin Kathrin Oxen gemeinsam mit der Berliner Sängerin und Songwriterin Gloria Blau, Gedächtniskirchenorganist Sebastian Heindl an der Orgel und am Flügel sowie Gabriele Hochreither als Lektorin. Barbara Manterfeld-Wormit, die evangelische Rundfunkbeauftragte in Berlin, leitet durch den Gottesdienst und moderiert.
Nach Ausstrahlung der Sendung können Sie an dieser Stelle die Predigt nachlesen.
I
Da ist eine Zeit zwischen den Jahren. Eine Zeit, in der die Tage verschwimmen und nicht mehr klar voneinander zu unterscheiden sind. Tage, in die man eintaucht und mitschwimmt im Strom der Zeit. Eine Chance für eine wirkliche Unterbrechung, für ein Innehalten zwischen Gestern und Morgen: Da ist das Jahr, das hinter mir liegt, durch das ich noch einmal hindurchscrolle wie durch die Fotos auf mei-nem Handy. Da sind die leuchtenden Momente zu sehen. Die Urlaubstage, besondere Ereignisse, fröhliche Feste, schönes Essen, Sonnenuntergänge, Blumen. Und hinter diesen Bildern sind die anderen. Man hält sie geheim, man mag sie nicht zeigen. Die verpasste Möglichkeit, die enttäuschte Hoffnung, eine Trennung, ein Scheitern, ein Verlust, eine Di-agnose. Das sind die Bilder dahinter. Und es ist von den Erfahrungen des zu Ende gehenden Jahres ab-hängig, wie ich auf das neue Jahr blicke: Muss ich durch die Schatten des Vergangenen erst noch hin-durch? Oder leuchtet mir schon etwas neu und verheißungsvoll entgegen?
Und dann dieses Lied:
"Da ist eine Zeit, zu lachen und zu leben / da ist eine Zeit / zu leiden und zu streben", heißt es darin.
Hildegard Knef hat sich bei diesem Lied hörbar inspirieren lassen von den Worten aus der Bibel, aus dem Buch des Predigers. Und sie hat die Worte aus der Bibel in ihr Leben übersetzt und auf die eigenen Erfahrungen bezogen. "Es gibt eine Zeit zu lachen und zu weinen" – so das Buch des Predigers. Und Hilde singt: "Da ist eine Zeit zu lachen und zu leben." Ein Leben wie ihres ist besonders geeignet, die große, pendelnde Bewegung darin zu entdecken, sein Auf und Ab, ohne das Leben nicht zu haben ist.
"Von nun an ging‘s bergab" singt Hildegard Knef selbstironisch und mit einem Augenzwinkern. Denn natürlich ging es in ihrem Leben keineswegs immer nur bergab. Es ging oft bergauf, sehr hoch hinauf sogar. Es gibt leuchtende Fotos von Hilde, auf Kinoplakaten und besonders als Sängerin auf der Bühne, strahlend, voll Glamour, mit einem Augenaufschlag, der gar nicht genug Wimpern haben konnte.
Und es gibt die anderen Bilder. Hildegard Knef hat, anders als die meisten Prominenten, auch diese Bilder der Öffentlichkeit gezeigt, in Zeitschriften und Talkshows. Es war darauf alles zu sehen: ihre verlorenen Lieben, ihre Krankheiten, das Alter, der Tod. Hilde war lebenserfahren, gelassen und cool genug, auch die Wahrheiten auszusprechen, die man nicht so gerne hört:
"Da ist eine Zeit zu leben und zu lachen, / und dann kommt die Zeit, du packst die sieben Sachen / und gehst den Weg, den Weg, den wir alle gehen."
II
Da ist eine Zeit zwischen den Jahren. Zwischen den Jahren verschwimmt die Zeit und das Immer vermischt sich mit dem Auch. Wir spüren, wie wir schwimmen im Strom der Zeit. Und müssen uns eingestehen, dass niemand von uns diesen Strom an seinem Fließen hindern wird. Wir werden geboren und sterben, wir lachen und weinen, wir suchen, finden und verlieren. Immer gibt es nicht. Denn das Auch wartet schon. Es schlüpft zur Tür herein und stellt sich im nächsten Augenblick daneben. Das Leben ist ein Pendel, eine Bewegung, ein Auf und Ab, ein Immer auch. Hildegard Knef war fasziniert von dieser Bewegung. Sie hat sie selbst angestoßen und mitvollzogen. Ein Blick auf ihr Leben zeigt das: Noch mitten im Krieg, zwischen den Trümmern Berlins, von denen bis heute die Ruine des alten Turms der Gedächtniskirche erzählt, wollte sie Schauspielerin werden, wollte Schönheit und Ausdruck. Die Angst vor den Bomben, die Nächte im Luftschutzkeller, das alles konnte ihre Wünsche nicht ersticken. "Handelsschulbereit", wie ihre Mutter sie haben wollte, wurde und wurde Hilde einfach nicht. Sie wollte mehr – sie wollte das Auch.
Mehr zu wollen, als für einen vorgesehen ist, ist eine anstrengende Lebenshaltung. Auch später musste es für Hilde Hollywood und New York sein statt brave Rollen in betulichen Heimatfilmen, die das deutsche Kino in der 1950er Jahren als Gegenbild zum Grauen der zurückliegenden Nazi-Zeit pro-duzierte. Hilde zeigte sich ganze zwei Sekunden nackt im Film zu einer Zeit, als Frauen gefälligst Kittelschürze und Kostüm zu tragen hatten. Sie rührte damit an verdrängte Wünsche und Sehnsüchte, von Männern wie von Frauen. Anders ist die grenzenlose Häme und Verachtung nicht zu erklären, die ihr auf ihre Rolle im Film "Die Sünderin" entgegen-schlug und ein Leben lang an ihr haften blieb. Weil an ihr als Frau zu sehen war, was für Möglichkeiten in jedem Leben sind, welche Bewegung darin sein kann?
"Die Veränderung ist ja wohl das Beständigste in einem Leben", meinte Hildegard Knef. Ich stimme ihr zu. Niemand von uns weiß doch wirklich, was das nächste Jahr bringen wird. Welche Veränderungen es mit sich führt. Muss das einem Menschen Angst machen? Hilde würde sagen: Nein. Da ist eine Zeit und da ist eine andere Zeit. Und alles müssen wir annehmen. "Der geschenkte Gaul" lautet der Titel ihrer Memoiren – und dieser geschenkte Gaul ist das Leben. Und niemand kann ihm ins Maul schau-en.
In der Bibel steht: "Gott hat alles so gemacht, dass es schön ist zu seiner Zeit. Auch hat er den Menschen ans Herz gelegt, dass sie sich um die Zeiten bemühen. Nur kann der Mensch das alles nicht begreifen, was Gott von Anfang bis Ende tut." (Pred 3,11) Worte aus dem biblischen Buch des Predigers. Sie wissen: Da sind die Zeiten unseres Lebens, die Jahre, die schon vergangen sind, und die Jahre, die kommen. Zeiten mit Weinen und Lachen, mit Suchen, Finden und Verlieren, mit Lieben und Hassen und wir immer dazwischen. Wir bemühen uns um diese geschenkte Zeit und dabei begreifen wir: Nie wird das eine ohne das andere zu haben sein.
An ihrem 100. Geburtstag heute blättern wir in Hildegard Knefs Leben wie in einem Album mit Bildern aus vergangenen Jahren. Glamour und Häme, Schönheit und Jugend, Alter und Krankheit, Frechheit und Weisheit. Und dürfen dabei nicht vergessen, dass dieses Leben erst ganz gelebt sein musste, ehe der Blick zurück darauf in seiner Fülle möglich ist. Ganz und gar kann niemand ein Leben überblicken, nicht einmal der Mensch selbst, der es gelebt hat. Aber so weit es möglich ist: Erst im Rückblick auf ein Leben rücken das Immer und das Auch auf die richtigen Plätze. Und mittendrin kann einem das eigene Leben sehr unordentlich und unübersichtlich vorkommen. Das fand Hildegard Knef selbst auch.
Und doch, aus einer der schwierigsten Zeiten ihres Lebens blüht ein Lied auf, schlägt Hilde einen Ton an, der auch im Buch des Predigers zu finden ist. Am Ende, nach allem Auf und Ab und Immer und Auch klingt das in der Bibel so: "Jeder Mensch soll essen, trinken und glücklich sein / als Ausgleich für seine ganze Arbeit. / Denn auch dies ist eine Gabe Gottes." (Pred 3,13)
Oder, wie Hilde es übersetzt hat: "Für mich soll’s rote Rosen regnen / mir sollten sämtliche Wunder begegnen." Sie weiß zu dieser Zeit schon längst, dass sich nicht alle Wünsche in ihrem Leben erfüllen. Aber sie hört einfach nicht auf, damit zu rechnen. Was für ein Anspruch, wie maßlos, sagen die einen, in ihrer Kittelschürze, Anzug und Kostüm. Die anderen sehen sich selbst in diesem Lied wie in einem Spiegel. Und tragen noch einmal extra viel Mascara auf für den perfekten Augenaufschlag. Und steigen voller Würde hinein in den Strom der Zeit, bereit für den nächsten Auftritt, für Auf und Ab, Immer und Auch. Bereit, auch im nächsten Jahr an ein neues Ufer zu gelangen.
Amen
Es gilt das gesprochene Wort.
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