Guten Abend, meine Damen und Herren!
Bettler und Obdachlose stehen nicht gerade im Fokus von Start-up-Unternehmen. Umso erstaunlicher, dass sich nun vier junge Unternehmer genau dieser Menschen in Not angenommen haben. Sie haben eine Spenden-App für Obdachlose entwickelt. Im britischen Oxford wird sie gerade getestet. Passend zur kalten Jahreszeit, in der das Leben auf der Straße besonders hart ist.
Die Idee ist faszinierend. Ich habe gerade kein Kleingeld in der Tasche. Ich hab den Bettler, dem ich was geben will, schon ein paar Tage nicht mehr gesehen. Oder ich möchte ihm helfen, auf ein bestimmtes Ziel hin zu sparen. Auf eine warme Winterjacke zum Beispiel. Dabei kann mir die Spenden-App helfen. Mit ihr kann ich einem konkreten Menschen ganz gezielt etwas überweisen. Ich bekomme sofort eine Spendenquittung und kann sehen, wofür mein Geld verwendet wird. Eine großartige Idee!
Wäre da nicht diese andere Seite … Für jeden Hilfsbedürftigen wird ein digitales Profil angelegt. Alle App-Nutzer haben Zugriff darauf. Damit sich jeder ein Bild von „seinem“ Obdachlosen machen kann. Name, Alter, Lebensstand. Wie lang schon auf der Straße. Wie zuverlässig im Umgang mit Geld. Drogenabhängig? Alkoholkonsum? – Der Hilfsbedürftige als gläserner Mensch. Auslesbar über einen simplen QR-Code, den er immer bei sich tragen muss.
Das Unternehmen führt als Begründung an, dass die Spender eben wissen wollen, was mit ihrem Geld geschieht. Klar, das will ich auch. Das will wohl jeder, der etwas spendet. Aber dieses Bedürfnis hat doch eine Grenze. Über den Datenklau bei Politikern und Prominenten regen wir uns seit Tagen auf. Haben denn Menschen, die auf der Straße leben, nicht dieselben Rechte? Haben sie nicht dieselbe Würde? Wer also gibt anderen das Recht, so mit ihren Daten umzugehen und sie – bildlich gesprochen – derart auszuziehen?
Darüber hinaus stellt sich mir noch eine viel grundsätzlichere Frage. Muss mir jemand, dem ich etwas schenke, Rechenschaft darüber geben, was er mit meiner Gabe macht? Oder darf er frei über sie verfügen?
Bei Familie und Freunden haben wir ein weites Herz: „Das ist für dich. Du wirst schon wissen wofür.“ Warum nicht auch gegenüber einem Hilfsbedürftigen? Weil er sich ja sonst nur Alkohol kauft? Ja, mag sein. Aber vielleicht ist es genau diese Flasche Bier, die er gerade braucht. Um wieder runterzukommen und nicht in den kalten Entzug abzurutschen, der auf der Straße tödlich sein kann. Wer will das beurteilen? Der Nutzer einer Bettler-App?
Deshalb bin ich vorsichtig geworden in meinem Urteil und tendiere dahin, entweder einfach mal einen Euro zu geben, ohne nach dem Wofür zu fragen. Oder aber die zu unterstützen, die einen Obdachlosen wirklich kennen und ihm effektiv helfen können: die Sozialarbeiter und Streetworker, die Betreiber von Suppenküchen und Kältebussen. Und wenn ich Zeit habe, dann gebe ich was davon. Ein gemeinsamer Kaffee, ein kurzes Gespräch oder auch nur ein freundlicher Blick … Das kann mitunter viel mehr wert sein als ein Euro. Und es kann zum Ausdruck bringen, dass wir trotz der verschiedenen Verhältnisse, in denen wir leben, doch einander Schwestern und Brüder sind.
Sollte es den Entwicklern der neuen Spenden-App gelingen, Menschen so zusammen zu bringen; nicht so, dass einer zur Schau gestellt wird und andere ihn taxieren, sondern respektvoll und auf Augenhöhe – dann würde ich mir diese App sofort besorgen!
Eine gute Nacht und einen gesegneten Sonntag Ihnen.
Dr. Philipp E. Reichling OPraem
Katholischer Rundfunkbeauftragter beim WDR
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