Kirche(n) von heute
Pfarrer Gereon Alter
15.06.2019 23:35

Haben Sie Lust auf eine Überraschung? Auf eine Irritation? Auf eine Provokation? Dann hab ich einen Tipp für Sie: die „Straße der Moderne“. Ist im Internet ganz leicht zu finden: „Straße der Moderne“. Auf dieser Seite sind völlig verrückte Kirchen zu sehen. Kirchen, die auf den ersten Blick überhaupt nicht wie Kirchen aussehen.

Eine sieht aus wie ein Bilderrahmen, eine andere wie ein riesiger Eisberg, wieder eine andere wie ein urzeitliches Schalentier, dessen Kopf unter einem faltigen Panzer hervorlugt. Es gibt Kirchen, die wie ein Glaspalast aussehen, ein Parkhaus oder ein riesiges Zelt. Eine scheint wie ein Ozeanriese heran geschippert zu kommen, eine andere sieht wie ein Kraftwerk aus. Es gibt kaum eine moderne Bauform, die es nicht geschafft hat, zu einer Kirche zu werden.

Ich selbst wohne neben einer solchen Kirche und arbeite darin. So bekomme ich ziemlich gut mit, wie eine moderne Kirche auf Menschen wirkt. Am Anfang steht meist die Irritation. „Das ist doch keine Kirche!“ hat mir kürzlich noch ein älterer Herr gesagt. „Darin kann man nicht beten!“ höre ich manchmal. Oder: „Das ist doch nicht mehr katholisch!“

Da sind dann meist Bilder von einer Kirche im Kopf, wie sie leider auch im Fernsehen häufiger zu sehen sind: klischeehafte Bilder. Bilder von einer Kirche, die wenig mit unserem modernen Leben zu tun hat. Kirche als Museum, das Vergangenes konserviert. Als Asservatenkammer skurriler Objekte, die nichts mehr mit uns zu tun haben. Dunkel, muffig und vor allem: von gestern.

Meine Kirche sieht anders aus. Wenn man hinein kommt, schaut man in einen weiten Raum. Das Licht, die Farben, die geschwungenen Formen … „Ach, das ist ja richtig angenehm. Und man sitzt in einem großen Halbkreis um den Altar.“ Es ist total faszinierend zu beobachten, wie jemand reagiert, der den modernen Raum erst mal auf sich wirken lässt. „Da hängen ja gar nicht mehr diese Bilder, die uns früher so viel Angst gemacht haben.“ – „Da gibt es ja gar nicht mehr dieses autoritäre Gegenüber zwischen dem einen, der alles weiß und kann, und den anderen, die nur passiv dasitzen.“ – „Hier muss ich unbedingt mal nen Gottesdienst mitfeiern.“, sagen manche.

Moderne Kirchen sind nicht nur ein Experimentierfeld für Architekten. Moderne Kirchen sind wichtig für uns alle. Denn sie helfen den christlichen Kirchen up to date zu sein. – Nicht dass Sie mich missverstehen: ich habe auch eine große Freude an alten Kirchen. Ich liebe romanische und gotische Kirchen. Aber nur auf das Vergangene zu schauen, das kann auf Dauer nicht gut gehen. Auch romanische und gotische Kirchen sind mal topaktuell gewesen und haben so manchen provoziert – eben weil sie die Sprache ihrer Zeit gesprochen haben.

Entscheidend ist doch, ob ich mich in einer Kirche gut aufgehoben fühle und ob sie mir etwas für mein heutiges Leben zu sagen hat. Moderne Kirchen können das. Denn sie sprechen die Sprache unserer Zeit. All das, was uns als moderne Menschen bewegt, kommt in diesen Kirchen vor. Da ist Raum für meine Zweifel und Zukunftsängste. Da kann ich Kraft tanken für mein Engagement. Da finde ich Trost und Zuspruch, wenn es mir nicht gut geht. Ich muss mich nur hinein begeben und den Raum auf mich wirken lassen.

Kennen Sie eine moderne Kirche in Ihrer Nähe? – Wenn nicht, dann gehen Sie doch mal auf die „Straße der Moderne“ im Internet. Da finden Sie Dutzende moderner Kirchen. Oder besser noch: Machen Sie mal einen Ausflug zu einer solchen Kirche. Eine liegt bestimmt in Ihrer Nähe. Ich habe auf diese Weise schon so manches Kleinod entdeckt – und dabei so ganz nebenbei erlebt, dass Kirche eben doch nicht nur von gestern ist.

Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht!

Kontakt zur Sendung

Dr. Philipp E. Reichling OPraem

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