Pflege
Pfarrer Ulrich Haag
22.01.2011 21:10

„Hallo Papa, alles in Ordnung bei dir?“ Das ist der Satz, mit dem ich meinen Vater am Telefon begrüße. „Bei mir alles klar, und bei dir?“ Jedes Mal bin ich erleichtert und freue mich, wenn seine Stimme noch fest klingt. Selbstverständlich ist das nicht. Er geht auf die 80 zu. Ab und an sitzen wir alle zusammen und kommen darauf zu sprechen: Was tun, wenn er einmal nicht mehr kann. Wenn er Hilfe braucht, nicht nur beim Hausputz. Wenn er auf Pflege angewiesen ist.    

Wir Geschwister ahnen: Irgendwann sind wir für unseren Vater verantwortlich. Für uns hat das mit dem 4.Gebot zu tun: Du sollst Vater und Mutter ehren -  ein Satz, der sich nicht an aufmüpfige Jugendliche richtet. Sondern an erwachsene Kinder. Er schärft uns ein, für unsere altgewordenen Eltern da zu sein.

Eine Bekannte zwei Häuser weiter hat das vorgemacht. Für sie war klar: Meine Mutter kommt mal nicht ins Heim. Und tatsächlich: Nachdem die Mutter einen Schlaganfall erlitten hatte, hat die Tochter drei Monate unbezahlten Urlaub genommen. Hat ihr Badezimmer umbauen lassen. Hat mit der Pflegeversicherung verhandelt, mit Ärzten gesprochen und dann ihre Mutter zu sich geholt. Lange ging das gut. Doch mittlerweile ist die alte Dame mehr als nur vergesslich. Findet den Weg ins Wohnzimmer nicht mehr. Geistert nachts durch das Haus auf der Suche – ja, wonach? Nicht ins Heim… Wenn es doch nur ein Heim gäbe, das die Mutter nun wenigstens vorübergehend aufnehmen könnte. Dringend müsste die Tochter in Kur. Doch die Wartelisten sind lang. Das Altenheim am Stadtrand hat zum Jahresende gar eine Station dicht gemacht. Es sind nicht genügend Schwestern da, und Pfleger, die die Arbeit tun.

Du sollst Vater und Mutter ehren – in der Bibel steht das Gebot im Singular, du. Befolgen können wir es nur im Plural. Wer seinen Vater oder seine Mutter im Alleingang versorgen will, ist über kurz oder lang überfordert. Auch im alten Israel stand eine ganze Sippe zur Verfügung, wenn ein Mensch das wahrhaft biblische Alter von 80 oder 90 Jahren erreichte. Wir wollen, dass unsere Mütter und Väter, die Alten und Hochbetagten unserer Gesellschaft, in Würde leben und in Würde sterben können. Diese Aufgabe können wir nur in einer Gemeinschaft angehen und müssen sie als Gesellschaft organisieren.

Der Bundesgesundheitsminister hat die kommenden 12 Monate zum Jahr der Pflege erklärt. Mehr Geld soll es geben. Mehr und besser bezahlte Arbeitskräfte sollen zur Verfügung stehen. Das brauchen wir. Und wir benötigen Orte, an denen sich alle treffen, alle, die mit der Pflege alter Menschen irgendwie in Berührung kommen. Angehörige, Nachbarn, Ehrenamtliche, Pflegehilfen, Pflegeprofis, Heime und natürlich die, die Hilfe benötigen. Sie müssen von einander erfahren und sich austauschen können. Manche Kirchengemeinden haben das als ihre Aufgabe entdeckt. Sie überlegen, wieder eine Gemeindeschwester einzustellen. Sie wollen zur Anlaufstelle werden, zum Treffpunkt, an dem sich Menschen aus einem Dorf oder Stadtviertel einfinden, sich gegenseitig stärken und stützen.

Irgendwann werden wir selbst einmal alt. Dann wird die Generation nach uns zurückblicken und genau hinschauen. Ich wünsche mir, dass unsere Kinder und Enkel dann sagen können: Ihr habt damals alles unternommen, um die Alten bei euch liebevoll zu begleiten. Und jetzt sind wir für euch da.

Ihnen allen einen guten Abend und einen gesegneten Sonntag.

Sendeort und Mitwirkende

(WDR)
Dr. Gerd Höft
Evangelischer Rundfunkbeauftragter beim WDR

Kaiserswerther Straße 450
40474 Düsseldorf
Fax: 0211/ 45 30 430
hoeft@rundfunkreferat-nrw.de