Morgen Abend noch das Endspiel der Frauenfußball-WM, dann wird es kommen: das Sommerloch. Die Politiker sind schon im Urlaub, das kulturelle Leben ist runtergefahren, die Presse sucht bereits nach Themen. Zeit für die "Silly Season", "verrückte Saison", wie man in England sagt. Zeit für Seeungeheuer und Rheinkrokodile, für Problembären, Hinterbänkler und Außerirdische. – Ganz ohne Sensationen scheinen wir nicht zu können. Wir brauchen das Außergewöhnliche, das Spektakuläre.
In den Sommerferien soll mir das recht sein. Da hab auch ich meine Freude dran. Aber wenn ich so auf die letzten Monate zurück schaue: War das nicht auch eine "Silly Season"? Was für Stimmungsschwankungen haben wir da erlebt! Stuttgart 21, Atomausstieg, EHEC, Plagiate, Sommermärchen ... Rauf und runter sind die Emotionen gegangen. Wer vorgestern noch ein "Wutbürger" war, konnte sich gestern schon wieder an der Traumhochzeit in Monaco weiden.
Manchmal haben solche Stimmungsumschwünge ihr Gutes. In den arabischen Ländern zum Beispiel. Der "arabische Frühling" wäre nicht ausgebrochen, wenn sich nicht Menschen hätten mitreißen lassen. Da hat die Stimmungsmache Gutes bewirkt. Da sind Menschen wach geworden und haben sich füreinander eingesetzt.
Problematischer schon: der Hype um das EHEC-Bakterium. Bei aller Sorge um die Erkrankten, die natürlich berechtigt ist: was ist da für ein Schaden entstanden! Tonnen über Tonnen von Lebensmitteln sind vernichtet worden, nur weil keiner warten wollte, bis ein sicheres Ergebnis vorliegt.
Richtig gefährlich wird es, wenn unsere Anfälligkeit für Stimmungsschwankunen von Demagogen und Populisten ausgenutzt wird. In Ungarn zum Beispiel: da gewinnt eine extrem nationalistische, manche sagen neofaschistische Partei mit einem Mal 17 Prozent der Wählerstimmen. Oder in unserem Nachbarland, den Niederlanden: da kann ein Politiker eine fremdenfeindliche Aussage nach der anderen machen und hat erstaunlich viele hinter sich. Wer bewahrt uns vor solchen Verführungen?
Wir dürfen uns nicht nur von Stimmungen leiten lassen. Wir brauchen eine Basis. Wir brauchen eine Wertorientierung, die sich nicht von jetzt auf gleich in eine völlig andere Richtung verdrehen lässt. Eine Grundausrichtung, die verlässlich ist.
"Gib, dass in der Unbeständigkeit dieses Lebens unsere Herzen dort verankert seien, wo die wahren Freuden sind" heißt es in einem alten Gebet. Dem heiligen Ignatius von Loyola, einem großen Kenner der menschlichen Psyche, ist diese Unterscheidung besonders wichtig gewesen. Die Unterscheidung zwischen dem Unbeständigen, dem, was sich fortwährend wandelt, und dem, was Halt gibt und verlässlich ist.
Ich glaube, diese Unterscheidung wieder klarer zu bekommen, täte unserer Gesellschaft gut. Lassen wir das Sommerloch eine "Silly Season" sein, aber machen wir unser politisches und gesellschaftliches Handeln nicht zu einem verrückten Geschäft!
Ich wünsche Ihnen eine erholsame Sommerzeit. Genießen Sie es, wenn jetzt alles etwas ruhiger wird. Und machen Sie ruhig mal was Verrücktes. Vielleicht entdecken Sie ja auf diesem Weg, was Ihrem Leben Halt und Zuversicht gibt.
Martin Blachmann (WDR)