Wie finde ich Gottes Spuren in dieser Welt?
Pastorin Nora Steen
09.04.2011 22:10

"Was machen Sie eigentlich so beruflich?" Wenn ich dann sage, dass ich Pastorin bin, kommt in 99% der Fälle dieser Moment des Erstaunens. Und danach kommen dann Sätze wie "Pastorin? Sie sehen doch ganz normal aus!" Ich kann gar nicht mehr zählen, wie oft ich diese Szene erlebt habe.

Anscheinend sollten Geistliche ein wenig weltfremder wirken oder irgendwie unerschütterlicher als der Durchschnitt. Aber sind wir das wirklich?

Für mich waren es von Anfang an nicht felsenfeste Gewissheiten, sondern bestimmte Fragen, die mich am Glauben fasziniert haben. Ich wollte unbedingt wissen: Gibt es diesen Gott tatsächlich? Und kann ich erkennen, ob er einen bestimmten Lebensweg für mich vorgesehen hat? Einfacher gefragt: Wie finde ich Gottes Spuren in dieser Welt?

Irgendwann habe ich dann entdeckt, dass ich mit meinen Fragen nicht allein bin. Schon Jahrtausende vor mir hat es Menschen gegeben, die ganz ähnliche Fragen gestellt haben. Das geht ja schon in der Bibel los. Ich denke da an den zweifelnden Thomas. Er glaubt seinen Jüngerkollegen nicht, dass Jesus auferstanden ist. Er muss den Auferstandenen erst mit seinen Händen berühren, bevor er tatsächlich überzeugt ist.

Für mich persönlich ist das befreiend: In der langen Geschichte des Christentums gab es immer Menschen, die nicht auf alle Fragen gleich die passende Antwort parat hatten. Als Pastorin möchte ich deshalb immer auch eine Suchende bleiben. Meine Fragen und meine Zweifel nicht aufgeben. Weil ich nur dann offen für Gott bin, wenn ich auch mal riskiere, dass er eventuell ganz anders in mein Leben eingreift als ich es selbst gut finden würde.

Ein Mensch, der auch immer Suchender war und Fragender, ist Dietrich Bonhoeffer. Er war Pastor und Widerstandskämpfer im Dritten Reich. Heute genau vor 66 Jahren, am 9. April 1945, wurde er im Konzentrationslager Flossenbürg ermordet. Bonhoeffer ist für mich bis heute ein Vorbild, wie wir mitten in der Welt unseren Glauben leben können.

Auch Bonhoeffer hatte Phasen in seinem Leben, in denen er von vielen Zweifeln geplagt war. Er hat das in Worte gefasst, die für mich trotz aller Fragen von einer tiefen Gewissheit zeugen.

Ich möchte Ihnen ein paar Zeilen daraus mitgeben. In Ihren Samstagabend und in die kommende Woche.
Von Dietrich Bonhoeffer. Im Gefängnis geschrieben:

"Sie sagen mir oft,
ich träte aus meiner Zelle
Gelassen und heiter und fest
Wie ein Gutsherr aus einem Schloss.


Bin ich das wirklich?
Oder bin ich nur das, was ich selbst von mir weiß?
Unruhig, sehnsüchtig, krank, wie ein Vogel im Käfig,
zu müde und leer zum Beten, zum Denken, zum Schaffen,

Wer bin ich? Der oder jener? Bin ich denn heute dieser und morgen ein andrer?

Wer ich auch bin, Du kennst mich, Dein bin ich, o Gott."


Soweit Dietrich Bonhoeffer.
Mich in Gottes Hand wissen, auch in allen Fragen und Zweifeln, das gibt mir die Kraft zum Leben.

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(NDR)
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