Das Wort zum Sonntag: "Religionen"
Pfarrer Ulrich Haag
28.04.2012 22:40

Es ist fast dreißig Jahre her. Ich habe damals ein Semester lang im Heiligen Land studiert. In einem Heim für behinderte arabische Kinder hatte ich Arbeit gefunden, in Bethlehem, ganz in der Nähe der Geburtskirche Jesu. Die rückwärtigen Fenster unseres Heims zeigten auf einen Innenhof, in dem sich ein kleiner Steinmetzbetrieb niedergelassen hatte. Und dort, mehrmals am Tag erschien an einer Mauernische ein Mann mittleren Alters und rollte einen Gebetsteppich aus. Er ließ Wasser aus einem verzierten Kännchen über seine Hände laufen, kniete sich hin, verrichtete sein Gebet und griff zum Schluss wieder nach seinem Werkzeug.

 

Am Anfang  störte mich das Rituelle daran, die immergleichen Abläufe. Sollte das ein Gebet von Herzen sein? Doch nach und nach beeindruckte mich seine Disziplin. Fünfmal am Tag betet ein frommer Muslim zu Gott. Ich wollte als Christ nicht zurückstehen und von da an, sooft ich ihn sah, hielt ich auch für einen Moment still und sprach ein Gebet, innerlich. Einen Satz des Dankes und eine Bitte.

 

Wie überzeugend es doch sein kann, wenn ein Mensch still und unauffällig seinen Glauben lebt. Man gewöhnt sich ja leicht an die Vorstellung, eine Religion müsse lautstark auftreten, um sich Gehör zu verschaffen. Natürlich ist es notwendig, in bestimmten Fragen eindeutig Position zu beziehen. Aber wenn die Türme der einen höher wachsen müssen als die Türme der anderen, stimmt etwas nicht. Und wenn religiöse Führer die Menschen gegeneinander aufbringen, statt ihre Seelen zu heilen, dann müssen sie sich besinnen.

 

Und in der Tat bin ich in letzter Zeit manchmal aufgebracht, als Christ und als Bürger dieses Staates. Ich höre, dass die eine oder andere religiöse Gruppierung unseren Staat als gottlos bezeichnet. Das empört mich. Soll es etwa gegen den Willen Gottes verstoßen, dass bei uns die Menschenrechte an oberster Stelle stehen? Ich erwarte eine konsequente Verfolgung aller rechtsradikalen Umtriebe. Ich sehe, dass sich die gemäßigten Muslime immer wieder von fundamentalistischen Wortführern distanzieren. Aber warum klingt dieser Widerspruch mitunter so verhalten? Die lauten Töne hingegen sind in den letzten Wochen unüberhörbar geworden. Die einen behaupten, ihr gehört nicht in unsere Gesellschaft. Die anderen drohen: Ihr kommt nicht in unser Paradies.

 

Ich habe erlebt, dass es anders geht. Damals in Bethlehem tobte keine 150 Kilometer entfernt ein schrecklicher Krieg. Trotzdem oder gerade deshalb sind die Gläubigen aufmerksam mit einander umgegangen. Es gab so etwas wie eine stille Parole, auf die sich alle geeinigt hatten, manchmal ohne es zu wissen. Ich habe sie ganz nebenbei erfahren. Ich war mit zwei Kindern aus dem Heim ins Postamt von Bethlehem spaziert, um ein Paket abzuholen, dort eine lange Schlange. Vor mir stand ein junger Mann, etwa so alt wie ich. Wir kamen ins Gespräch - über die Kinder an meiner Hand, meine Herkunft, seine Familie, sein Studium. Dann kam die Reihe an ihn und bevor er zum Schalter ging, sagte er den Satz, den ich bis heute nicht vergesse:

 

You are Christian.

 

I am a Muslim.

 

My friend is a Jew.

 

Du bist Christ.

 

Ich bin Muslim.

 

Einer meiner Freunde ist Jude.

 

But we all want peace – wir alle wollen den Frieden.

 

Ihnen eine gute Nacht und einen gesegneten Sonntag...

 

 

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(WDR)
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Redaktion: Martin Blachmann (WDR)