Das Wort zum Sonntag: "Hoch gelobt und tief gefallen"
Pastorin Nora Steen
27.04.2013 21:25

„Der Vater Teresa vom Tegernsee, der Nelson Mandela von der Säbener Straße und die Mutter aller Manager.“ Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: Mutter Theresa. Nelson Mandela. Mutter aller Manager - alle diese Legenden soll ein Mensch in sich vereinen - und der heißt: Uli Hoeneß. Das meinte jedenfalls Karlheinz Rummenigge in einer Festrede über ihn. Als das soziale Gewissen des deutschen Fußballs, so hat sich Uli Hoeneß gern gezeigt. Und das war nicht nur leeres Gerede: Er hat sich gesellschaftlich engagiert, in Not geratenen Spielern geholfen und immer wieder betont, dass es nicht darum gehen könne, sich maßlos Geld in die eigene Tasche zu schaufeln.

 

Jetzt erst die Selbstanzeige, dann der Haftbefehl. Millionenbeträge auf einem Konto in der Schweiz, für die er keine Steuern gezahlt hat. Aber auch, wenn die Steuersünden aus der Welt sind: der grundlegende Schaden bleibt. Denn Uli Hoeneß war für Deutschland mehr als nur der Präsident vom FC Bayern. Er war eine moralische Instanz. Geliebt, verehrt. Und jetzt ist schon wieder ein Vorbild weg. Von Politikern erwarten wir es schon länger nicht mehr, die Kirchen haben auch schon besser dagestanden und Ärzte taugen nach den Organspendeskandalen auch nicht mehr als Götter in Weiß.

 

Was kann da bleiben, als Moral von der Geschicht’, wenn sich überall immer wieder ein Sumpf an Unaufrichtigkeit, an Doppelmoral offenbart? Viel Vertrauen in die, die an der Spitze unserer Gesellschaft stehen, ist in den letzten Jahren schon kaputt gegangen. Was aber bislang noch nicht zerstört werden konnte, ist unsere Sehnsucht nach einer anderen, einer gerechten Welt. Und nach Menschen, die uns vorleben, wie es anders werden kann. Sonst würden die Wellen der Empörung nicht so hoch schlagen. Dabei stehen wir ständig in dieser Spannung: Wir sehnen uns nach einer besseren Welt und scheitern doch selbst immer wieder an der Umsetzung. An Uli Hoeneß können wir nun in aller Öffentlichkeit ablesen, wie schnell wir uns in einer Doppelmoral verfangen können, die leicht zur Normalität wird.

 

Damit abfinden, dass das halt so ist, will ich mich nicht. Dafür ist meine Sehnsucht nach gerechten Verhältnissen zu stark. Und ich bin mir sicher: wir brauchen Menschen die mit ihrer ganzen Person für das einstehen, was sie sagen. An denen wir uns orientieren können. Als vor einigen Jahren Tagebücher von Mutter Theresa veröffentlicht wurden und dabei ans Licht kam, wie oft sie gezweifelt und mit Gott gehadert hat, war ich erst verunsichert: wenn noch nicht einmal Mutter Theresa einen unerschütterlichen Glauben hat – wer dann? Später habe ich begriffen, dass es genau das war, die sie zu einer so überzeugenden Frau, zu einer Heiligen, gemacht hat: Sie hat sich ihren eigenen Abgründen gestellt und ist ihnen nicht ausgewichen. Diese Einstellung wünsche ich mir auch von denen, die heute im Licht der Öffentlichkeit stehen. Niemand muss ein Superheld sein. Aber keine Doppelmoral! Denn die macht unsere Gesellschaft kaputt.

Sendeort und Mitwirkende

(NDR)
Redaktion: Eberhard Kügler
Evangelisches Rundfunkreferat
Wolffsonweg 4, 22297 Hamburg