Das Wort zum Sonntag: "Religiös oder normal?"
Pfarrer Michael Broch
27.07.2013 21:20

 

"Ich bin nicht religiös, ich bin normal“ – so antwortet ein Jugendlicher auf die Frage, wie er sich selbst in Sachen Glauben einschätzt. „Ich bin nicht religiös, ich bin normal“ Sind also die 2 Millionen Jugendlichen „unnormal“, die diese Woche mit Papst Franziskus beim Weltjugendtag in Rio de Janeiro sind? Sicher nicht! Aber ich will junge Menschen verstehen, die so einen Satz sagen. Und der einer neuen Jugendstudie widerspricht, nach der sich ein überraschend großer Teil junger Menschen durchaus als religiös bezeichnet.

 

Zunächst stellt sich die Lage für mich so dar: Viele Erwachsene bei uns haben ihre religiöse Heimat verloren und geben sie somit auch nicht mehr an ihre Kinder weiter. Die wachsen dann weithin ohne religiöse Erziehung auf. Und ich habe den Eindruck, dass sie auch keinen Mangel an Religion spüren. Sie haben kein religiöses Grundwissen, kennen keine religiösen Traditionen, setzen sich somit auch nicht von Religion ab. Sie haben keine. Schon gar keine, die in Verbindung mit Kirche gebracht wird. Die Kirche scheint weit weg zu sein von ihrem Alltag, von ihren Sorgen und Fragen. Da sind eher Freunde und die Familie die Ansprechpartner. - Normal scheint, dass viele Jugendliche auch ohne Religion ganz gut leben können.

 

Im Gespräch mit jungen Leuten entdecke ich aber auch das, was die aktuellste Jugendstudie besagt. Normal heißt, dass sie durchaus neugierig und vorsichtig interessiert sind an religiösen Fragen: Aus welchen Quellen lebe ich? Woher nehme ich meine Wertmaßstäbe? Was ist für mich Glück? Wie gehe ich mit Krankheit und Leid um? Wie mit dem Tod? – Das trifft sich gut mit dem, was Thomas von Aquin, ein bedeutender Theologe des Mittelalters gesagt hat: Für ihn ist jeder religiös, hat jeder Religion, der nach Gott und nach dem Sinn des Lebens fragt.

 

 

Ich sehe darin auch eine große Chance: Wenn Menschen nicht voll bepackt sind mit Traditionen und überlieferten Vorstellungen. Wenn sie sozusagen „leer“ sind und damit möglicherweise offen für neue Erkenntnisse. Wenn sie mit allen Sinnen wach bleiben für sichtbare Hinweise und unsichtbare Zeichen, die sie zum Sinn des Lebens führen. Auf diesem Weg helfen alltägliche persönliche Erfahrungen, das Vorbild anderer Menschen und durchaus Orientierungen, die die Religionen geben.

 

Und jenseits von allem „normal“ und „nicht normal“ sehnen sich viele junge Leute nach einer spirituellen, nach einer religiösen Heimat. Immer nur arbeiten, kaufen, sich vergnügen – das genügt vielen nicht mehr. Viele leiden auch an einer unerfüllten Sehnsucht. - Warum lässt sie diese Sehnsucht nicht los? Weil die Sehnsucht nach Leben, nach Liebe und Glück maßlos ist, weil sie sich nie zufrieden gibt.

 

Ich werde immer wieder gefragt: Wie soll die Kirche mit der Situation der Jugendlichen umgehen? – Meine Antwort: mit Respekt – keinesfalls mit erhobenem Zeigefinger oder gar mit Vorwürfen. Und der Kirche steht auch Bescheidenheit gut an, dass sie sich eingesteht: Gott braucht keine großen Voraussetzungen, um bei  uns Menschen anzukommen.

 

 

Ich wünsche Ihnen einen schönen Sonntag.

 

 

 

 

Bei den Fakten beziehe ich mich auf die 16. Shell Jugendstudie –

Jugend 2010, Religiösität Jugendlicher, auf die Sinus-Jugendstudie 2012

und auf die Jugendstudie 2013 der Jugendstiftung Baden-Württemberg

Sendeort und Mitwirkende

SÜDWESTRUNDFUNK


 

Kontakt zur Sendung

SÜDWESTRUNDFUNK

Religion, Kirche und Gesellschaft
Postfach 10 60 40
70049 Stuttgart