Das Wort zum Sonntag: "Lebens-Reise"
Pfarrer Michael Broch
03.08.2013 22:30

"Wenn einer eine Reise tut, so kann er was erzählen" – das ist ein geflügeltes Wort. Der Dichter Matthias Claudius (1740-1815) hat das gesagt.

 

So gestimmt ist diese Urlaubs- und Ferienzeit für viele eine Reisezeit. Wer verreist, ist normalerweise hoch gestimmt und voller Erwartungen, offen für neue Eindrücke, Erlebnisse, Begegnungen. Wer verreist, kennt aber auch das Gefühl der Ungewissheit, verbunden mit der Hoffnung, dass beim Flug oder auf der Fahrt nichts passiert. Und er kennt auch Fragen wie diese: Steh ich wieder stundenlang im Stau? Hab ich Glück mit dem Wetter? Schau ich aus dem Hotelzimmer wirklich aufs Meer oder doch nur in einen Hinterhof?

 

Das ist wie im sonstigen Leben auch. Ob in die Nähe oder in die Ferne, ob zu bekannten Zielen oder zu neuen Ufern – eine Reise antreten ist ein Abbild meines Lebens. Das ganze Leben erfahre ich als Reise. Und unterwegs sein heißt: Vieles ist mir vertraut, und immer wieder betrete ich Neuland. Manchmal steh ich mir dabei selbst im Weg. Ist eine Erfahrung schön, rast die Zeit davon. Wünsche ich mir, dass etwas möglichst rasch vorübergeht, dann kommt mir die Zeit unendlich lang vor.

 

"Wenn einer eine Reise tut, so kann er was erzählen." – Als Pfarrer hat mich meine Reise zu den unterschiedlichsten Menschen geführt. Ich bin Menschen begegnet, die wegen eines schweren Schicksalsschlages ihren Glauben verloren haben. Und ich bin Menschen begegnet, die zum Glauben gefunden haben, wieder gefunden haben. Ich denke an einen Mann, dem ein guter Bekannter in einer verzweifelten Situation kein Glaubensgespräch aufgedrängt hat – und ihm doch spürbar vermitteln konnte, dass er von Gott nicht verlassen ist.

 

Nach über 40 Dienstjahren als Priester kann ich festhalten: Ich musste von so manchen Vorstellungen Abschied nehmen. Vermeintlich sichere Positionen habe ich aufgegeben – auch theologische Positionen. Einige Freundschaften sind zerbrochen, neue Freundschaften sind entstanden. Ich habe mehr Fragen als Antworten. Ich bin kritischer geworden. Hoffentlich bin ich auch geduldiger geworden und toleranter – denn die Menschen sind sehr verschieden in ihren Ansichten und die Weltverhältnisse sind kompliziert und vielschichtig. Ich habe eingesehen, es gibt auf meinem Lebensweg nicht nur ein großes Ziel, es gibt auch Zwischenziele, kleinere und größere Ziele.

 

Mit dem Wort "Weg" verbinde ich auch das Wort "Wagnis". Wagnis, weil ich den Weg, den ich gehe, nicht einfach kenne. Er liegt nicht offenkundig vor mir. Ich muss das Wagnis eingehen und: gehen.

 

Wenn ich als Christ meinen Weg gehen möchte, dann habe ich den nicht ein für allemal gefunden. Und ich weiß, wie schwach mein Glaube und wie wenig überzeugend mein Leben als Christ auch sein kann. Ich muss ein Leben lang weitergehen, und das heißt für mich auch: suchen und zweifeln, hören und schauen, fragen und etwas wagen.

Dabei habe ich mich entschieden, mich Jesus anzuvertrauen, der sich selbst bezeichnet als "der Weg und die Wahrheit und das Leben". (Johannes 14,6) Jesus ist für mich der Weg, der zu Gott führt. Ein gangbarer Weg, weil er menschlich ist. Ein schöner Weg, weil er in die Freiheit führt.

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