Das Wort zum Sonntag: "An alle Menschen guten Willens"
Pfarrer Gereon Alter
07.09.2013 22:05

Und wieder hat Papst Franziskus viele überrascht. Sein eindringlicher Aufruf, dem schrecklichen Leid der Menschen in Syrien doch endlich ein Ende zu bereiten, richtet sich weder an Assad, noch an die syrische Opposition, noch an irgendeine Nation der Welt – auch nicht an Barack Obama. Der Aufruf des Papstes richtet sich an "alle Menschen guten Willens". Franziskus will das verrückte Spiel der Gewalt und Gegengewalt, der nationalen Eigeninteressen und der diversen wirtschaftlichen Abhängigkeiten offenbar nicht mitspielen und appelliert deshalb bewusst an "alle Menschen guten Willens".

 

Und es scheint sie zu geben: Menschen, die einfach nur Frieden wollen und sich dabei nicht von diesen oder jenen anderen Interessen leiten lassen. Jetzt gerade, da ich zu Ihnen spreche, haben sich Zigtausende auf dem Petersplatz in Rom versammelt. Christen, Muslime, Juden, Syrer und Nicht-Syrer, Glaubende und Nichtglaubende, Zweifelnde und Hoffende. Menschen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Und doch haben sie alle eines gemeinsam und zeigen das an diesem Abend: Sie wollen, dass das Leid in Syrien ein Ende hat und dass die Menschen dort endlich wieder in Frieden leben können. Ich finde das stark: dass Menschen ohne jede Rücksicht auf ihre Herkunft, ihren Glauben und ihre politische Orientierung zusammen kommen und gemeinsam ein Zeichen des Friedens setzen.

 

Besonders stark finde ich, dass sich der Großmufti von Syrien in diese Allianz des guten Willens eingereiht hat. Ich weiß nicht viel von diesem Menschen. Er heisst Scheich Hassun, ist das Oberhaupt der syrischen Muslime, man sagt ihm eine gewisse Nähe zu Assad nach, gleichzeitig kritisiert er ihn öffentlich … Wie auch immer: ein Mann, der zutiefst in die Geschicke seines Landes verstrickt ist und es dennoch schafft, aus all diesen Verstrickungen heraus zu treten und sich als ein "Mensch guten Willens" zu zeigen. Als ein Mensch, dem der Friede und die Unversehrtheit seiner Landsleute wichtiger ist als alles andere.

 

Wann hat es das schon mal gegeben: dass ein hochrangiger Vertreter des Islam dem Aufruf eines Papstes folgt? In friedlichen Zeiten, ja, da hat es schon das ein oder andere beeindruckende Zeichen gegeben, aber in einer so brenzligen Situation wie dieser, wo es wirklich um so viel geht und die Gefahr groß ist, zumindest das Gesicht zu verlieren … sich in einer solchen Situation an den Papst zu wenden und ihm zu schreiben, er sei ein – ich zitiere – "wirklich geistlicher Führer, der ohne politische, individuelle oder gemeinschaftliche Interessen für das Wohl des syrischen Volkes spricht" … Das hat schon was! Da ist jemand offenbar über seinen Schatten gesprungen. Da hat sich jemand bei seinem Gewissen packen lassen.

 

Was wäre, wenn auch Assad sich vom Leid seines Volkes anrühren ließe? Was wäre, wenn es auch den Führern der syrischen Opposition gelänge, aus ihren jeweiligen Abhängigkeiten heraus zu treten und das Wohl des ganzen Volkes in den Blick zu nehmen? Was wäre, wenn auch Barack Obama es schaffte, sich aus der Spirale von Gewalt und Gegengewalt zu befreien und seine ganze Macht für Friedensgespräche zu nutzen?

 

Ich finde, Papst Franziskus hat genau ins Schwarze getroffen. Wir brauchen keine Lobbyisten und Taktierer. Wir brauchen Menschen, die guten Willens sind. Menschen, die einfach nur wollen, dass Friede wird, und die bereit sind, dafür unkonventionelle und mutige Schritte zu tun. Ich weiß, es klingt kühn. Aber ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass es auch im und rund um den Syrienkonflikt solche Menschen guten Willens gibt. Und ich hoffe, dass es ihnen gelingt, das syrische Volk aus seinem Elend zu befreien.

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