Das Wort zum Sonntag: "Wachstum ohne Ende?"
Pfarrer Dr. Wolfgang Beck
26.10.2013 21:05

Eine optimistische Perspektive für die Wirtschaft und steigendes Wachstum wurde vor wenigen Tagen vom scheidenden Wirtschaftsminister vermeldet. Und diese freudige Nachricht erreicht die künftigen Koalitionspartner in Berlin bei der Bildung einer möglichen Regierung. "Wie schön, dann läuft ja alles prima", könnte man meinen.

 

Solange die Wirtschaft wächst, gibt es ja keine Sorgen, oder?! Das scheint die verdeckte Botschaft zu sein, die mit größter Selbstverständlichkeit als politisches Ideal betrachtet wird. Solange es Wachstum gibt, scheint das gesellschaftliche Modell zu funktionieren. Und es erinnert ein wenig an den Stolz Heranwachsender, die sich über kaum mehr freuen können, als darüber, endlich den Eltern über den Kopf zu wachsen.

 

Manchmal muss ich an diesen kindlichen Stolz auf die eigene Körpergröße denken, wenn im Zusammenhang von Wirtschaftsdaten permanent von Wachstum gesprochen wird. Jedes Prozent Wirtschaftswachstum wird dann als große Errungenschaft gefeiert, meist auch noch mit einem neidischen Blick auf manche Schwellenländer wie China oder die Türkei mit ihren Wachstumszahlen. Allerdings werde ich dabei auch immer skeptischer. Häufig wird uns da weisgemacht, es müsse eigentlich immer und endlos Wachstum geben.

 

Aber geht das? In einer begrenzten Welt, in der Ressourcen immer nur begrenzt vorhanden sein können, wäre es unsinnig zu meinen, Expansion und Wachstum seien unbegrenzt möglich. Wer sich das einredet, muss schon sehr naiv sein. Es gibt nicht wenige Ökonomen, die immer deutlicher auf das Problem dieser Naivität hinweisen.

 

Ein wirtschaftliches Wachstum, das unhinterfragt einfach als dauerhaftes Ideal verstanden wird, ist nicht nur unlogisch. Es kommt auch an den Punkt, an dem sichtbar wird, dass in einer begrenzten Welt meist bloß auf Kosten anderer expandiert werden kann. Wo das nette Wort vom Wachstum im Mund geführt wird, ist deshalb meist etwas ganz anderes gemeint, nämlich ungerechte Umverteilung zu Lasten Schwächerer – meist derer, die weit weg sind! Wenn in diesen Tagen in Berlin Koalitionsverhandlungen geführt werden, wird dabei eine Fülle von Themen besprochen. Nur selten jedoch gelingt es bei solchen Gelegenheiten auch zu diesen tieferliegenden Fragen zu kommen.

 

Dass sich Wachstum auch ganz anders verstehen lässt, als bloß als wirtschaftliche Expansion, zeigen die Evangelien. Die Bibel überliefert uns Texte, bei denen es immer wieder auch um Wachstum geht: Jesus sagt den Menschen, dass mit seiner Person das Reich Gottes begonnen hat und unter ihnen wächst. Nur verwendet Jesus eben Bilder und Metaphern, die deutlich machen, dass hier etwas Neues und Wichtiges entsteht und wächst: das Samenkorn, aus dem ein Baum wird oder der gärende Sauerteig, der sich ausdehnt.

 

Das Wachstum, von dem Jesus spricht, ist dabei kein Expansionsdenken. Hier geht es nicht um Umverteilung, sondern um Verwandlung. Es geht darum, dass eine neue Realität erlebbar wird. Das ist ein ganz anderes Wachstum, als wir es beim wirtschaftlichen Wachstum kennen.

Es wäre töricht, jedes Wachstum für gut und selbstverständlich zu halten. Wenn bei uns so schnell von Wachstum gesprochen wird, kann das ja auch ein Anlass sein, kritische Fragen an das eigene, ganz persönliche Wachsen zu stellen. Gelingt es mir, mich in meinem Glauben weiter zu entwickeln und zu wachsen? Mit meinem Charakter? In den Beziehungen, in denen ich lebe? In dieser Perspektive ist Wachstum leider nicht selbstverständlich, aber wirklich erstrebenswert.

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