Das Wort zum Sonntag: "Ich kann nicht anders..."
Pastorin Annette Behnken
02.11.2013 22:50

Wenn Sie den Satz „ich kann nicht anders“ im Internet suchen, bekommen Sie überwältigend viele Treffer. Ich kann nicht anders. Das ist einer der berühmtesten Sätze der Welt und er hat unser Leben verändert. Der Überlieferung nach hat ihn Martin Luther gesagt. Vorgestern haben wir den Reformationstag gefeiert. Martin Luther hat mit diesem Satz seinen Widerstand gegen die herrschende Meinung begründet. „Ich kann nicht anders.“ – und dann: „Ich stehe hier. Gott helfe mir. Amen.“ Im Internet, wo der Satz sage und schreibe 2 Millionen fünfhunderttausend Mal angezeigt wird, geht es aber nicht nur um Luther. Da geht‘s auch um ganz unbekannte Menschen, die aus tiefster Überzeugung sagen: Ich kann nicht anders. Ich kann nicht weggucken, ich muss was tun.

 

So wie in diesen Tagen in Hamburg. 80 x rot-weiß-karierte Bettwäsche liegt da auf dem Fußboden der St.Pauli-Kirche. Hier übernachten Menschen - in der Kirche.

 

„Die Flüchtlinge standen eines Tages einfach vor meiner Tür, durchnässt, hungrig, krank. Hätte ich denn nicht helfen sollen? Hätte ich die Tür einfach zu machen sollen?“, fragt Sieghard Wilm. Er und sein Pastorenkollege haben im Sommer 80 afrikanische Männer in ihrer Kirche in St. Pauli untergebracht. Seit fünf Monaten liegen 80x rot-weiß-karierte Bettwäsche und Matratzen auf dem Boden der Kirche. Schlafstätten für Männer, die über Lampedusa aus ihrer afrikanischen Heimat geflohen sind.. In der Kirche bekommen sie die Sicherheit des Kirchenasyls. Das heißt: Stadt und Polizei greifen auf dem Kirchengelände nicht ein.

 

Ist das richtig, was meine Pastorenkollegen da tun? Gegen die gesetzlichen Bestimmungen verstoßen? Im Namen der Mitmenschlichkeit?

Sie können nicht anders als helfen. Und wenn sie dabei gegen bestehendes Recht und Gesetz verstoßen, dann werden sie vielleicht mit Luther antworten: „Gott helfe mir. Amen.“

Ich habe Respekt vor dem, was die beiden da, zusammen mit unzähligen Helfern auf die Beine stellen. Die Leute bringen Spenden, organisieren Sprachkurse, Demonstrationen oder juristische Beratung.

 

Solche Helfer sucht die evangelische Kirche in Deutschland mit ihrer Aktion "Ich-kann-nicht anders". Helfer, die keine prominenten Weltveränderer sind, wie Luther es war. Aber die anderen Menschen ihre Unterstützung und Wertschätzung schenken.

 

Und es gibt so viele von ihnen, das zeigt die Aktion. Solche, wie das pensionierte Ehepaar, das mit dem Zahnmobil durch Hannover fährt und obdachlose Menschen ohne Krankenversicherung zahnmedizinisch versorgt. Solche, wie die Schüler einer 8. Klasse in Flensburg, die eine körperbehinderte Mitschülerin 40 km lang getragen haben, weil sie sonst den Schulausflug nicht hätte mitmachen können. Oder solche, wie der Koch in einem Imbiss in Bayreuth, der einem autistischen Jungen das Leben gerettet hat, als der sich im Winter bei Minusgraden verlaufen hatte und stundenlang stumm auf einer Parkbank saß.

 

Die Welt braucht solche Helfer. Solche Helden des Alltags, die im Verborgenen an vielen Orten die Welt ein kleines Stück verändern, und wenn es nur ein winzig kleines Stück ist.

80 x rot-weiß-karierte Bettwäsche auf dem Fußboden der Hamburger Kirche.  Noch liegen sie da, die Schlafstätten der 80 Männer. Kirchenasyl. Die Behörden sind inzwischen zu Gesprächen bereit. Es bewegt sich was. Auch wenn es ganz klein ist. Aber was aus dem Satz: „Ich kann nicht anders“ alles werden würde – das ahnte auch Martin Luther zunächst nicht.

Sendeort und Mitwirkende

Norddeutscher Rundfunk