Sendung zum Nachlesen
Krankheit, Leiden und Sterben – kann man darüber in einer Morgenandacht reden? Vor der Dusche und dem Frühstück? Heute ist ja nicht Karfreitag oder Totensonntag, heute ist ja ein ganz normaler Arbeitstag.
Oder – muss man nicht sogar über Krankheit, Leiden und Sterben reden, in Anbetracht der vielen Menschen, für die ihr Leid zum Alltag geworden ist?
Ein paar Schriftsteller haben zu Papier gebracht, was ihnen im Krankenhaus so durch den Kopf gegangen ist. Christof Schlingensief, der Film und Theaterregisseur, zum Beispiel, gestorben 2010 an Lungenkrebs. Schlingensief war überzeugt: Größer noch als das Leiden an der Krankheit ist das Leiden des Patienten, weil er „ dem System ausgeliefert (ist), weil niemand in diesem System bereit ist, ernsthaft mit ihm zu sprechen. Klar: Diagnose, Prognose, Therapie, es wird beinhart aufgeklärt, aber wirklich miteinander gesprochen wird nicht. Dabei könnte man allein dadurch helfen, dass man mit den Menschen spricht, ... nach Ängsten und Wünschen fragt.“
Die Lektüre der „Betroffenenforen im Internet“ – meint Schliengensief, „da wird man sofort noch schlimmer krank“ – kann das Gespräch nicht ersetzen. Es geht ihm vielmehr darum, durch ein Gespräch „aus der Verzweiflungsstarre“ herauszukommen, und mit jemandem reden zu können, der die Ängste des Kranken ernst nimmt.. Für ihn ist „… beides gleichzeitig da, der Optimismus und der Pessimismus, der Mut und die Angst.“
Christof Schlingensief, ein gläubiger Christ, war auch überzeugt davon: „Man muss vor allem aufpassen, dass man nicht immer anderen die Schuld gibt. Dazu gehört auch Gott. „Ich bin kein Atheist….Wichtig ist, dass ich wieder Kontakt habe und (…) bitten kann, mich vor weiteren Schlägen zu behüten… Und dass ich mich nicht mehr bestraft fühlen möchte, weder von anderen noch von mir selbst.“ Gegen Ende seiner Aufzeichnungen, zur Zeit seiner Chemo, geht er noch einmal in die Kirche zur Kommunion, und fühlt, dass dabei Ruhe in ihn einkehrt, wenigstens für einen kurzen Moment. Der Satz aus der Abendmahlsliturgie: „Und sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund“ rührt ihn zu Tränen. Dann aber, als er von Schmerzen und Erbrechen geplagt wird, erlebt er „seinen Karfreitag“ und stellt er fest: „Gott ist ein Schmerzsystem.“
Schlingensief erlebt Tage, an denen ihm alles weh tut, jeder Optimismus und jeder Funke Aktivität von ihm schwindet. Ein Krankenpfleger bringt es für ihn auf den Punkt: „Der Körper des Menschen sei schon für vieles ausgerüstet, aber für dieses Programm: Diagnose, Untersuchungen, dann Operation mit Vollnarkose, dann Heilungschancen hier, Heilungsquoten da, obendrauf noch die Chemo, Prognose unklar, für dieses Programm sei der Mensch nicht gemacht.“
Für den Patienten Schlingensief wurde die Vorstellung jeden Tag unerträglich: Dass am Ende alles ausgelöscht sein wird, dass die geliebten Menschen weg sind, und dass man die Schönheit der Erde nicht mehr sehen wird. Er erlebte in der Krankheit „eine Art Weltuntergang,… Ich habe die Wunde der Welt berührt, die Wunde des Leben-Wollens und des Sterben-Müssens.“ Gott als Schmerzsystem.
Viele Menschen werden heute und jetzt mit dieser Wunde konfrontiert. Wegschauen und weghören ist eine Möglichkeit. Aber hinschauen und zuhören ist die andere, Die, auf die so viele Menschen wie Christof Schlingensief warten. Denn, so heißt es in der Bibel: Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen auf das wir klug werden. Damit kann man auch schon am Morgen anfangen.
Es gilt das gesprochene Wort.