Total ungerecht!

Total ungerecht!
mit Pfarrer Christian Rommert aus Bochum
21.11.2020 - 23:50

Das Wort zum Sonntag: 21.11.2020

Sprecher: Pastor Christian Rommert, Bochum

An diese Frage meiner Kinder erinnere ich mich noch sehr gut: „Warum darf die das und ich nicht?“ Wenn unser Jüngster schon ins Bett musste und unsere Älteste noch aufbleiben durfte.

 

„Warum darf die das? Und ich nicht?“

 

Das(!) hat mich genervt. Weil - das kam nicht nur einmal. Das kam regelmäßig. Gefühlt jeden Abend!

Die Frage - höre ich gerade wieder. Nicht von meinen Kindern. Sondern von Erwachsenen. „Warum dürfen die das und wir nicht?“ Warum dürfen Frisöre aufmachen, Fitnessstudios müssen aber schließen? Warum sind Schulbusse vollbesetzt? Restaurants aber leer? Warum dürfen die das? Und ich nicht?

Als Vater von drei Kindern haben mich diese Diskussionen genervt, zermürbt und komplett ratlos gemacht. Was sollte ich da Kluges sagen? An die Vernunft appellieren?

„Sie ist halt vier Jahre älter als Du - Du brauchst mehr Schlaf!“ „Brauch ich gar nicht!“

Oft gab es dann erst recht Diskussionen. Bis ich schließlich dann auch mal explodierte: „Jetzt ist Schluss! Du bist jünger! Sie älter! Ab ins Bett! Basta!“ Schön war das nie.

Der Pastor in mir hätte meinen Kindern dann am liebsten einen Bibelspruch entgegengehalten: „In Demut achte einer den anderen höher als sich selbst!“

Was hätte ich mir gewünscht, ersehnt, erträumt? Na, dass mein Jüngster mich liebevoll anschaut und sagt: „Ja Papa, was Du da sagst, das ist sehr vernünftig. Ich respektiere das, ich bin jünger und gehe demütig ins Bett.“

Hat das irgendjemand jemals erlebt? Hatte der, der diesen Bibelvers geschrieben hat, eigentlich Kinder?

„In Demut achte einer den anderen höher als sich selbst!“ Diese Utopie für das Miteinander wäre definitiv nichts für meine Kinder gewesen, denn die haben trotzig auf ihr Recht gepocht. So sind Kinder halt, manchmal.

Demut – also der Mut, sich hintenanzustellen, der Mut, sich selber entgegen zu treten und zu sagen: wäre schön, wäre auch Dein Recht, aber lass es – dennoch. Den anderen zuliebe!

 

Kinder rebellieren gegen so etwas. Aber was ist, wenn ich diesen Satz von der Demut Erwachsenen sage?

So kam mir die Bundeskanzlerin vor, als sie uns gebeten hat, aus Vernunftgründen freiwillig zu verzichten. Keine neuen Vorschriften, stattdessen freiwillig Rücksicht nehmen. Ja, ich weiß, das klingt ein bisschen so, wie freiwillig ins Bett gehen, obwohl man die Ältere ist und eigentlich doch noch viel länger aufbleiben darf.

Aber das ist meine Utopie: Demütig sein, nicht auf die nächste Verschärfung der Regeln warten und dann zähneknirschend handeln, sondern jetzt schon freiwillig, achtsam und rücksichtsvoll sein.

Ja - na klar, da wo es um die Existenz geht wie bei den Wirten, den Konzertbetreiberinnen, den Hoteliers und den Künstlerinnen, da muss die Solidargemeinschaft eingreifen und unterstützen. Da zum Verzicht aufzufordern ist zynisch! Auch da, wo es ums Leben geht, in Pflegeheimen und Krankenhäusern, können wir nicht einfach sagen: jetzt stellt Euch mal demütig ans Ende der Reihe! Da müssen wir nach Wegen suchen, die Situation so lebbar wie möglich zu machen.

 

Aber für alle anderen, wo immer es möglich ist: freiwillig verzichten um der anderen willen.

 

Genau das habe ich mir bei meinen Kindern gewünscht, dass einer von ihnen einfach sagt: Na gut, ich verzichte. Ist nie passiert… Aber wünschen, wünschen will ich mir das! Heute von uns, von Ihnen - als Erwachsene.