Offene Fragen

Offene Fragen
17.07.2010 - 21:05
07.08.2010
Generalsuperintenden Ralf Meister

Bischöfin Maria Jepsen hat gestern die Konsequenzen gezogen. Sie ist von ihrem Amt als Bischöfen zurückgetreten, weil ein Missbrauchsskandal in einer Kirchengemeinde bei Hamburg offenbar verschleppt worden ist. Sie sah ihre Glaubwürdigkeit gefährdet. Ihr Schritt verdient Respekt.

Dieser Fall in Ahrensburg setzt die schmerzvolle Geschichte von sexuellen Übergriffen an Kindern und Jugendlichen in den Kirchen fort. Seit Anfang des Jahres erfahren wir immer wieder von Menschen, die vor Jahren oder Jahrzehnten von Seelsorgern missbraucht worden sind. Es ist eine Geschichte voller Verwundungen, aber auch voller Zorn. Und es ist nicht nur ein Zorn, den viele Menschen außerhalb der Kirche empfinden, sondern wütend sind gerade auch die Menschen, die sich als Christen zur Kirche bekennen.

Auch ich bin zornig.
Mein Zorn richtet sich zuerst einmal gegen die Täter. Die schamlos ihre seelsorgerliche Aufgabe verrieten, in dem sie sich an denen vergingen, die ihnen anvertraut waren.

Ich bin auch zornig auf sie, weil sie die Nähe zwischen Menschen unter einen schlimmen Generalverdacht stellen. Wer kann noch öffentlich unbeschwert ein Kind herzen, ohne sich verdächtig zu machen?

Und ich bin enttäuscht und zornig auf diejenigen, die den Tätern glaubten und nicht den Opfern. Durch die Ereignisse in den letzten Monaten ist – glücklicherweise – in den Kirchen viel passiert. Die Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft wird jetzt frühzeitig gesucht, Strafanzeigen werden gestellt. Für viele Menschen zu spät.

Und ich bin enttäuscht und zornig über uns als Kirche. Ist nicht die Botschaft Jesu zuallererst eine Botschaft der Solidarität mit den Opfern? Und ist nicht der Name Gottes ein Schutzname für alle Leidenden, denen Gewalt angetan wird? Was haben einige Mitarbeiter innerhalb der Kirche daraus gemacht.

Dieser Zorn, diese Enttäuschung verbinden sich mit der Einsicht in unsere Schuld. Eine Schuld, die vor Gott liegt, aber die wir auch den Opfern gegenüber empfinden.

Zugleich verlangt dieses Erschrecken über den sexuellen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen auch eine Ehrlichkeit, die über die Fälle innerhalb der Kirchen weit hinausgeht. Alle wissen es: Die überwältigende Anzahl des sexuellen Missbrauchs geschieht nicht in den Kirchen, Schulen oder Vereinen, sondern in den Familien. Wir sind auch als Gesellschaft erschüttert, nicht nur als Kirche. Warum schweigen wir über diese Kenntnisse? Bleiben ratlos? Lesen so wenig davon? Wie ermutigen wir zur Aufmerksamkeit und zur Hilfe? Und zum Mut zu reden?

Neben vielen schmerzhaften Einsichten in den vergangenen Wochen, für mich bleiben immer noch viele Fragen offen.

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07.08.2010
Generalsuperintenden Ralf Meister