Wo ist Religion?
Das Telefon steht nicht still.
Es ist erster Schultag nach den Sommerferien, und im kirchlichen Schulamt, in dem wir für den evangelischen Religionsunterricht verantwortlich sind, fragen Eltern und Lehrer*innen:
Warum steht auf dem Stundenplan kein Religionsunterricht? Soll nicht alles unterrichtet werden?
Ich frage nach und erfahre: einzelne Schulleitungen haben entschieden, den Religionsunterricht auszusetzen. Gegen geltendes Recht. Dahinter steht eine große Verunsicherung bei den Schulen. Denn Religionsgruppen setzen sich oft aus Schüler*innen mehrerer Klassen zusammen. "Dürfen wir Schüler*innen überhaupt mischen?" fragen Schulleitungen deshalb im Gespräch mit mir zurück. "Und ist das Infektionsrisiko da nicht höher?"
Rückkehr zum Regelbetrieb
Infektionsrisiko. Dieses Wort hat die Diskussionen in den letzten Wochen bestimmt, gerade auch in der Schule. Das Risiko zur Infektion mit Corona prägt alles.
Mit großer Anspannung war der Neustart der Schulen nach den Sommerferien erwartet worden. Intensiv wurde in den Wochen zuvor darüber diskutiert. Verschiedene Modelle wurden durchgespielt und wieder verworfen. Weiterhin Distanzunterricht, Präsenzunterricht nur in den Hauptfächern, alternierende Modelle. Kurz vor Ende der großen Ferien kam dann die entscheidende Ankündigung: die Schulen kehren zum Regelbetrieb zurück. Unterrichtet wird nach dem normalen Stundenplan.
Was genau gilt?
Dazu haben die Kultusbehörden besondere Schutzkonzepte erlassen. Mediziner und Virologen wurden zu Rate gezogen. Und am Ende steht ein Katalog mit vielen Regeln: Masken-Regeln, Abstands-Regeln, Gruppen-Regeln, Pausenhof-Regeln, Aufsichts-Regeln, Raum-Regeln, Wege-Regeln, individuelle und lokale Regeln. Für Schulleitungen, für Lehrer*innen und für Schüler*innen ist es nicht leicht da immer durchzublicken und zu wissen, was genau gerade gilt.
Große Ängste – wenige Fälle
Klar ist, dass eine große Verunsicherung herrscht. Viele Menschen haben Ängste. Das kann ich gut verstehen. Gerade in den Schulen kommen viele Menschen zusammen. Hier sind klare Regeln und gute Hygienekonzepte wichtig. Und die gibt es auch. Der Schulstart unter Corona-Bedingungen ist gut gelungen. Es gibt einige Fälle von Infektionen, aber es sind nur einige wenige, bei Hundertausenden von Schüler*innen und Schülern. Und alle Betroffenen gehen damit verantwortungsbewusst um: zum Teil bleiben ganze Schulen zuhause, wenn es nötig ist. Aber einen längeren Lockdown gibt es nirgends.
Deutlich ist auch: im Religionsunterricht gibt es kein höheres Risiko als im sonstigen Unterricht. Insbesondere dann nicht, wenn die Hygienevorschriften beachtet werden: Abstandhalten, Hände desinfizieren, Masken tragen, wenn nötig.
Religionsunterricht gibt Halt
Die Schülerinnen und Schüler freuen sich auf Reli! berichtet eine Religionslehrerin. In einer Arbeitsgruppe tauschen wir uns über die Erfahrungen der ersten Schulwochen aus. Die Lehrer*innen sind froh, ihr Fach wieder unterrichten zu können. "Der Religionsunterricht stärkt und ermutigt gerade in diesen schwierigen und wechselvollen Zeiten."
Das erleben auch die Schüler*innen. Im Religionsunterricht haben sie den Ort über all das zu reden, was sie im Lockdown erlebt haben. Viele Nerven lagen blank. In Familien konnte man sich nicht aus dem Weg gehen. Konflikte brachen auf. Und nicht immer wurde nur mit Worten gestritten. Dazu kommt eine wirtschaftlich angespannte Situation. Manche haben weniger Geld, in vielen Familien sinkt das Einkommen oder die Arbeit fällt einfach aus. Nicht wenige Jobs werden gestrichen.
Gerade in dieser unsicheren, krisenreichen Zeit ist der Religionsunterricht wichtig. Er löst nicht alle Probleme, die Corona mit sich bringt. Aber: der Religionsunterricht gibt Raum, sich mit diesen Problemen zu beschäftigen. Hier können Schüler*innen das mit anderen teilen, was sie bewegt und belastet. Sie beschäftigen sich mit dem, was den Menschen der Bibel widerfahren ist. Sie treffen auf Lehrer*innen, bei denen nicht nur die Vermittlung von Wissen und Lernstoff im Mittelpunkt steht, sondern ihr Leben, mit allen Höhepunkten und Tiefpunkten. Und Schüler*innen können im Religionsunterricht erfahren, dass es möglich ist, gestärkt aus Krisen wie der jetzigen hervorzugehen.