Mobilität und Unterbrechung
Pfarrerin Adelheid Ruck-Schröder
21.05.2011 21:10

Urplötzlich mobilisiert die Kommissarin ihre Kräfte. Zuerst im Kopf. Man sieht ihr das an: Sie unterbricht sich kurz. Dann erst rennt sie los. Sie jagt dem Flüchtigen nach, rennt und rennt, kriegt ihn – oder bricht ab, außer Puste. Tatort ist Ludwigshafen. Die Schauspielerin heißt Ulrike Folkerts. Und weil sie so mobil ist, ist sie Patin der ARD-Themenwoche zur Mobilität geworden. Die startet morgen. Kommende Woche dreht sich dann im Ersten Programm (fast) alles um den mobilen Menschen:

Mobilität ist das Markenzeichen der Moderne: Nie kamen wir so schnell von a nach b wie heute. Nie waren wir so vernetzt wie heute. Nie waren wir so erreichbar wie heute. Und wer wirklich mobil sein will, hält sich auch noch körperlich beweglich. Wie Ulrike Folkerts.

Sie ist es aber auch, die die Hochstimmung für so viel Mobilität bremst. In einem Interview hat sie gesagt: Vielleicht – vielleicht lenken uns die vielen Möglichkeiten mobil zu sein vom Wesentlichen ab. Bei aller Mobilität könnten wir das Wesentliche verpassen in unserem Leben.

Wer mobil ist, muss nämlich auch anhalten können. Das vergessen wir leicht. Jede Autobahn hat Abfahrten und Rastplätze, jeder Computer hat eine Escape-Taste, jede Arbeitswoche beginnt mit einem Sonntag. Und bevor unsere Tatort-Kommissarin losrennt, muss auch sie erst mal anhalten. Sich kurz unterbrechen. Vielleicht eine andere Fährte verfolgen als bisher. Dann erst rennt sie los. Dieser kurze Moment der Unterbrechung. Der fasziniert mich. Ich glaube, wir mobilen Menschen brauchen Unterbrechungen. Das ist übrigens die kürzeste Definition von Religion: Unterbrechung. Die großen Köpfe des Christentums sind alle erst einmal jäh unterbrochen worden. Paulus wurde vom Pferd gerissen. Auf dem Weg nach Damaskus hat ihn Gott jäh unterbrochen und ihm eine ganze andere Richtung gezeigt. Oder Martin Luther: Er wurde wie im Gewitter von Gott überrascht. Hat seine Karriere als Jurist unterbrochen und wurde Mönch. Und am Ende hat er die ganze damalige Kirche mobilisiert und reformiert.

Religion ist Unterbrechung. Gott unterbricht mich – um mich neu zu mobilisieren.

Ich will Ihnen dazu etwas von mir erzählen: Ich bin ja schon zehn Mal umgezogen, komme mir also ziemlich mobil vor. Eins aber haben alle diese Umzüge gemeinsam: Sie haben mich erst einmal gar nicht mobilisiert, sondern massiv unterbrochen. Zum Beispiel mein letzter Umzug. Mein Mann hatte eine neue Arbeitsstelle gefunden. Sie war aber fünfeinhalb Bahnstunden von unsrem Wohnort entfernt. Wir sind dann mit unseren Kindern umgezogen. Das hört sich mobil an. Für mich war das aber erst einmal eine Unterbrechung. Ich musste schlicht und ergreifend anhalten. Abschied nehmen von meiner Gemeinde. Mich neu orientieren. Ich habe wieder eine sehr schöne neue Aufgabe entdeckt. Die hätte ich nie gefunden ohne diese Unterbrechung.

Die Kunst ein mobiler Mensch zu sein heißt für mich: Mich unterbrechen lassen. Wenn es Gott ist, der mich unterbricht, steckt die größte Chance drin. Davon bin ich überzeugt. Dann renne ich nämlich nicht am Wesentlichen vorbei. Ich bin gespannt auf die nächste Unterbrechung in meinem Leben.

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