Facebook
Pastorin Nora Steen
18.06.2011 22:10

15 Jahre ist es jetzt her. Da habe ich jede Woche richtige Briefe geschrieben. Also, so auf Papier und mit der Hand, um mit meiner Familie und mit Freunden Kontakt zu halten! Ich habe damals in einem Dorf in Südindien gearbeitet – und Internet gab es dort nicht. Die Briefe haben manchmal drei Wochen gebraucht, um in Deutschland anzukommen.

Mittlerweile schreibe ich leider kaum noch echte Briefe. Meist sind es E-Mails oder Nachrichten im Sozialen Netzwerk Facebook, mit denen ich Kontakt zu meinen Bekannten in aller Welt halte. Das geht zwar schneller, aber das Glücksgefühl, einen Brief von einem lieben Menschen im Briefkasen zu finden, das ist damit natürlich verloren gegangen.

Schleichend hat sich da also etwas verändert – innerhalb weniger Jahre nur – vom Briefeschreiben zu Kurznachrichten im Internet. Mittlerweile sind es über 600 Millionen Menschen weltweit, die ein Facebook-Konto besitzen, darunter knapp 20 Millionen Deutsche.

Ich bin eine davon: Ich nutze Facebook vor allem, um Kontakt zu befreundeten Christen in aller Welt zu halten. Ich teile ihre Freude, wenn ein Kind geboren ist oder ich bete mit ihnen, wenn in ihrem Land ein Bürgerkrieg ausbricht. Ohne Facebook wären viele dieser Beziehungen sicherlich schon lange abgebrochen.

Und dennoch: So wunderbar es auch ist, über alle Kontinente und Zeitzonen hinweg einander am Leben teilhaben zu lassen – die Schattenseiten sind mit Händen zu greifen: Denn je selbstverständlicher unser Zweitleben in der virtuellen Welt ist, desto sorgloser wird auch unser Umgang mit privaten Informationen. Die geschützte Atmosphäre, die uns Facebook vorgaukelt, ist beileibe nicht privat. Für Facebook sind wir Werbekunden, deren Interessen und Vorlieben gewinnbringend weiter verkauft werden.

Außerdem verwischt sich auch der Begriff von Freundschaft. Zwischen Facebook-Freunden und echten Freunden gibt es doch immer noch einen himmelweiten Unterschied! Nur so kann ich mir erklären, dass Jugendliche aus Spaß oder aus Versehen zehntausende unbekannte Facebook-Freunde zu ihrer Geburtstagsparty einladen und das Ganze eskaliert dann wie jüngst bei Thessa in Hamburg. Was im Internet als Witz gilt, weil es ja nicht wirklich "echt" ist, kann im echten Leben schnell zum Mobbing werden.

Und dennoch, trotz all dieser Skepsis: Ich finde sie großartig, die medialen Möglichkeiten des 21. Jahrhunderts! Denn auch den christlichen Glauben kann man doch nur in Gemeinschaft leben, und nicht allein zurückgezogen im stillen Kämmerlein. Wir zwei Milliarden Christen sollten uns also Netzwerke wie Facebook durchaus zunutze machen. Wir könnten uns darüber verabreden, wie wir uns gemeinsam in unseren Ländern für mehr Gerechtigkeit und Frieden einstehen. Wie das ganz konkret werden kann, das haben wir ja gerade bei den Revolutionen im Nahen Osten gesehen: Menschen haben sich unter anderem über Facebook darüber ausgetauscht, wie ihre eigene Vision von einer lebenswerten Gesellschaft aussieht. Natürlich: Auf die Straße gehen mussten sie dann schon noch höchstpersönlich. Denn das Internet kann niemals wirkliches Leben ersetzen.

So ist das bei mir auch: Ich nutze Facebook gern, um Netzwerke zu pflegen. Aber meine echten Freunde, die treffe ich dann doch lieber persönlich als virtuell. Und bei einem gemütlichen Glas Wein erfahren die ganz gewiss mehr von mir als über Facebook. Und auch das gilt: Einen richtigen Brief im Briefkasten zu finden – das macht meinen Tag zu einem Fest.

Vielleicht mögen Sie ja auch mal überlegen: An welchen echten Freund würde ich gern mal wieder einen richtigen Brief schreiben? So auf Papier und mit der Hand! Denn Sie können sicher sein: Der Inhalt bleibt ganz und gar privat!

Sendeort und Mitwirkende

 

(NDR)
Senderbeauftragter Jan Dieckmann
Evangelisches Rundfunkreferat
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