Das Wort zum Sonntag: "Propheten gesucht"
Pastor Gereon Alter
09.07.2011 21:55

Das ist Stefan. Stefan, der Hahn. Jahrzehntelang hat er auf dem Turm der St.-Stephanus-Kirche in Essen gehockt. Dann mussten wir die Kirche schließen. Weil kein Geld mehr zu Verfügung stand. Ich habe den letzten Gottesdienst in dieser Kirche gefeiert – mit Menschen, die über Jahre und Jahrzehnte dort zuhause waren. Die Trauer war unendlich groß. Fast alle hatten Tränen in den Augen. Manche sind auch wütend gewesen, haben Protestbriefe an den Bischof geschrieben. Wieder andere waren so enttäuscht, dass sie sich erst einmal zurückgezogen haben.

Zum Glück hat es dann aber auch Menschen gegeben, die sich gefragt haben, wie es denn weiter gehen kann mit dem christlichen Leben in unserem Stadtteil. Stefan, der Hahn, ist zu einem Symbol dafür geworden. Als einer, der seinen angestammten Platz verloren hat und nun Ausschau nach neuen Orten des Glaubens hält. Am letzten Wochenende noch, beim Gemeindefest, hat er auf dem Kirchplatz gestanden. Und die Menschen haben ihm erzählt, wo sie neue Wege sehen. Wo die Herausforderungen in unserem Stadtteil liegen, wo Kirche präsent sein kann und sich einbringen sollte.

Interessanterweise melden sich bei solchen Gelegenheiten auch Menschen zu Wort, die gar nicht viel mit der alten Gemeinde zu tun hatten; die dem Alten sogar eher skeptisch gegenüber standen, jetzt aber doch mitüberlegen wollen. Und überraschenderweise haben gerade diese Menschen oft richtig gute Ideen. Weil sie von außen drauf schauen können. Weil sie nicht gebunden sind an Dinge, die "schon immer so und nicht anders" waren. Vor allem aber, weil sie etwas von der Kirche wollen. Weil ihnen Kirche nicht egal ist. Die Theologie nennt solche Menschen "Fremdpropheten". Sie kommen nicht aus dem Inneren der Kirche, haben aber durchaus Wichtiges zu sagen. Und das tut unserer Kirche gut.

Vor wenigen Stunden ist in Mannheim eine Veranstaltung zuende gegangen, auf die viele gewartet haben. Der Auftakt des Dialogprozesses zur Zukunft der katholischen Kirche. Nach der öffentlichen Debatte um Missbrauchsfälle im vergangenen Jahr hatten die deutschen Bischöfe dazu aufgerufen – um eine neue Offenheit zu schaffen und um zu erkunden, welche Reformen nötig sind. Unter dem Motto "Im Heute glauben" soll dieser Gesprächsprozess in den kommenden vier Jahren auf ganz unterschiedlichen Ebenen vorankommen: in Kirchengemeinden, in Ordensgemeinschaften, in kirchlichen Hilfswerken und Einrichtungen … überall dort, wo es um die Frage nach der Zukunft von Glaube und Kirche geht.

Sie werden ganz sicher von solchen Gesprächen hören. Bringen Sie sich ein! Machen Sie mit! Ganz gleich, ob Sie schon lange zur Kirche gehören oder ihr eher kritisch gegenüber stehen. Wir brauchen Ihre Meinung. Gerade wenn Ihnen etwas nicht gefällt oder Sie den Eindruck haben, dass Kirche lebendiger sein könnte. Denn darum geht es: dass Kirche wieder lebendiger wird. Und das wird sie nur, wenn sie nicht um sich selber kreist, sondern in einem offenen Austausch mit möglichst vielen Menschen ist – auch mit Ihnen!

Nehmen Sie sich dabei ein Beispiel an Stefan, dem Hahn. So ein Vogel ist freiheitsliebend, beweglich und sieht manches aus einer ungewohnten Perspektive. Auf jeden Fall schaut er über den Kirchturm hinaus. Und genau das brauchen wir.

Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag – und wenn Sie wollen: viele gute Ideen und Gespräche!

Sendeort und Mitwirkende

Martin Blachmann (WDR)