Das Wort zum Sonntag: "Nacht"
Pfarrer Dr. Wolfgang Beck
04.08.2012 00:10

Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer,

 

selten können Sie das "Wort zum Sonntag" erst am Sonntag sehen. Es ist jetzt mitten in der Nacht, schon nach 01:00 Uhr. Früher hätte es zu diesem Zeitpunkt längst einen Sendeschluss gegeben!

 

Vielleicht haben Sie lange die Übertragung der Olympischen Spiele verfolgt. Vielleicht können Sie nicht schlafen? Vielleicht müssen Sie nachts arbeiten und können nebenbei das Fernsehprogramm laufen lassen? Oder Sie sind gerade erst nach Hause gekommen? Vielleicht brechen Sie auch gerade auf, um "die Nacht zum Tag zu machen"?

 

Für viele Menschen haben Nächte eine besondere Bedeutung und nicht nur, wenn in den eigenen Geburtstag oder an Silvester in das neue Jahr hinein gefeiert wird. Ich erinnere mich an Gespräche in der Wohngemeinschaft während des Studiums – am Küchentisch schon mal bis tief in die Nacht.

 

Dabei ist die Nacht längst für immer weniger Menschen Ruhe- und Erholungszeit. Im Gegenteil: In immer mehr Branchen und gesellschaftlichen Bereichen wird auch nachts gearbeitet. Immer mehr Arbeitnehmer, ihre Partner und Familien stehen vor der Herausforderung nächtlicher Arbeitsschichten. Da wird es schwierig, Freundschaften und Hobbys zu pflegen. Und nicht zuletzt ist die nächtliche Arbeit eine starke gesundheitliche Belastung.

 

Für Christen hat die Nacht auch symbolische Bedeutung. Die größten kirchlichen Feste Weihnachten und Ostern werden mit Gottesdiensten in der Nacht gefeiert. Schon früh galt die Nacht den Christen als eine besondere Zeit des Wartens.

 

Sehr anschaulich beschreibt Jesus das mit einem Gleichnis: Da warten aufmerksame Frauen vor einer Hochzeitsfeier. Sie warten bis tief in die Nacht auf den Bräutigam, der das Fest eröffnet. Nicht alle sind gut vorbereitet, aber alle warten bis das Fest beginnen kann. Da ist jenes Verständnis: die Nacht als Zeit des Wartens.

 

Nachtwache zu halten, hieß und heißt, die ersten Strahlen und das erste Licht der aufgehenden Sonne zu erwarten. Und die galt den Christen zu allen Zeiten als Hinweis auf Christus. So gibt es in manchen Klöstern bis heute die Tradition nächtlicher Gebetszeiten, mit denen die Haltung des Erwartens täglich neu eingeübt wird.

 

Zugleich hat die Dunkelheit der Nacht in der Wahrnehmung vieler Menschen auch etwas Bedrohliches und erzeugt Ängste. Schließlich sind mit der Dunkelheit auch die verringerte Orientierung verbunden, Kontrollverlust und Gefahren.

 

Die Heilige Theresa von Avila, die als Kirchenlehrerin verehrt wird, und der Heilige Johannes vom Kreuz haben als Schriftsteller und Geistliche Lehrer der Frühen Neuzeit die Nacht deshalb als Bild für die Glaubenskrisen der Menschen angesehen: Wer nicht mehr weiß, woran er sich halten soll, dem kann das Leben zur Nacht werden. Für Johannes vom Kreuz gehört die Erfahrung der Nacht zu jedem Glaubensweg dazu. Man könnte vielleicht in unsere heutige Sprache übersetzen: Die Erfahrung, keine Orientierung und keinen Halt zu haben, gehört irgendwann zum Leben jedes Menschen dazu. Die Frage wird sein, ob diese Erfahrung mich von Gott entfernt oder ob ich mich von ihm in solchen dunklen Erfahrungen erst recht gehalten fühle.

 

Solchen Halt in der Erfahrung von Dunkelheiten wünsche ich Ihnen und eine gute Nacht.

 
 

 

Sendeort und Mitwirkende

Kath. Rundfunkreferat NDR

Andreas Herzig
Danziger Str. 52 a, 20099 Hamburg,
Fax 040/24877-119