Das Wort zum Sonntag: "Sie werden sterben, lassen Sie uns darüber reden!"
Pfarrer Stefan Claaß
17.11.2012 22:40

Auftakt der ARD Themenwoche „Leben mit dem Tod"

 

Ich habe mir einen Sarg ausgeliehen. Diesen hier kann ich morgen wieder zurückgeben. Irgendwann werde ich einen auf Dauer brauchen. Sie auch. Lassen Sie uns darüber reden.

 

In allen meinen Gesprächen vor Beerdigungen frage ich die Angehörigen: Haben Sie denn miteinander über den Tod reden können? Haben Sie gefragt, was er oder sie sich gewünscht hat für die Beerdigung? Und die meisten Angehörigen sagen: "Das haben wir uns nicht getraut." Oder: "Wie soll denn das gehen?"

 

Letztes Jahr war ich zu Besuch bei einer 83jährigen Frau. Nach einer Weile wollte sie genau dieses Thema anschneiden: ihre Beerdigung. Aber ihre Nachbarin und Freundin, die dabei saß, konnte das nicht zulassen. "Mach dir nicht so dunkle Gedanken, Lisbeth!" sagte sie. "Kopf hoch, das wird schon wieder!" Ich bin dann zwei Tage später noch einmal hingegangen. Die Nachbarin war einkaufen. Und wir haben uns über die Beerdigung unterhalten, über Musik und Blumen und über den Sarg. Mit erhobenem Kopf und gar nicht in düsterer Stimmung.  

 

Ich glaube, dass wir an Lebensqualität gewinnen, wenn wir den Tod in unser Leben einbeziehen. Nicht dauernd, aber doch hin und wieder. Den Mut dazu verdanke ich vor allem meinem Lehrer in der Seelsorgeausbildung zum Pfarrer. In seinen Kursen gab es immer einen besonderen Tag. Wir mussten uns an diesem Tag von der Außenwelt abmelden und hatten keinen Unterricht. Aber wir sollten uns dem Gedanken aussetzen, dies wäre der letzte Tag unseres Lebens. Es hat einige Überwindung gekostet, das wirklich zuzulassen. Es gibt wenige Tage in meinem Leben, an die ich mich so gut erinnern kann wie an diesen. Neben vielen anderen Gedanken und Gefühlen hat mich bewegt, dass ich gerne Vater werden würde – was für mich damals neu war. Das alles hat mich tief berührt, und ich bin am Abend sehr gern ins Leben zurückgekehrt.

 

Diese sogenannte Sterbeübung hat auch meinen Alltag verändert. Ich schiebe es seither seltener auf die lange Bank, wenn ich das Gefühl habe, ich sollte diesen Freund mal wieder anrufen oder jene Verwandte besuchen. Lieber bald, als wenn es zu spät ist. Denn das habe ich zu oft bei Beerdigungen in meiner Gemeinde miterlebt, dass Angehörige bedauerten: Wir wollten die Schwägerin schon so lange besuchen, aber jetzt ist es zu spät. Und dann versuchen manche über die Auswahl eines teuren Sarges oder über die Pracht der Blumen etwas nachzuholen, worüber sich die Schwägerin zu Lebzeiten mehr gefreut hätte.

 

An den Tod zu denken und darüber zu reden ist nicht leicht. Manche Menschen befürchten, dass die Beschäftigung mit dem Tod sie depressiv  machen würde. Oder dass sie ihn gar herbeireden. Ich habe es anders erlebt. Dass ich regelmäßig in die Klinik und auf den Friedhof komme, macht mich nicht schwermütig. Eher gelassener und dankbarer für den ganz normalen Alltag. Den Friedhof wieder zu verlassen und ins Leben zurückzukehren, das ist ein gutes Gefühl.

 

Aber die Begegnung mi dem Tod nehme ich mit. Und die Frage: Was kommt nach dem Tod?

 

Die klassischen Bilder vom Jenseits lassen mich allesamt kalt. Weder höllische noch paradiesische Bilder lösen in mir irgendwelche Empfindungen aus. Was uns nach dem Tod erwartet, können wir uns eh nicht vorstellen. Viel entscheidender finde ich, wer uns erwartet. Die Bibel ist sehr zurückhaltend mit Bildern, aber eines aus dem Lukasevangelium trage ich in mir mit: "Es werden kommen von Osten und Westen, von Norden und Süden, die zu Tisch sitzen werden im Reich Gottes." (Lukas 13, 29) Jesus Christus wird da sein als Gastgeber. Und kein Tod kann uns die Sehnsucht nehmen, mit dabei zu sein. Ich habe von einer alten Dame gelesen, die sich gewünscht hat, mit einem kleinen Dessertlöffel begraben zu werden. "Wie bei einem guten Essen", hat sie gesagt: "das Beste kommt noch."

 

 

Sendeort und Mitwirkende

Redaktion: Ute-Beatrix Giebel (SWR)