Das Wort zum Sonntag: Das Ja(hr) der Toleranz
Pfarrer i.R. Alfred Buß
23.02.2013 22:40

Ich lebe im Ruhrgebiet. Hierher sind schon lange Zuwanderer gekommen - seit mehr als 150 Jahren. Heute stammen die Menschen - zwischen Wesel und Unna - aus 140 Nationen. Mittlerweile ist ganz Deutschland ein Einwanderungsland. Mancherorts gibt es Stadtteile wie den Dortmunder Norden: Türkische Gemüsestraße, marokkanischer Supermarkt, vietnamesischer Imbiss. Arabische Musik, Pizzerien, Trinkbuden, Spielhallen. Dazwischen altehrwürdige christliche Kirchen.

 

Jede und jeder ist hier anders. Anderssein schafft Spannungen und befremdet. Ein anderer ist anders als ich. Und ich bin anders als er. Zwischen uns liegt nicht gleich ein Weg, den wir nur gehen müssten, um zueinander zu kommen. Wo Menschen unterschiedlichster Kulturen zusammenleben, braucht’s Toleranz.

 

Doch - was ist Toleranz? Erst mal auf Distanz bleiben. Passiv. Andere Lebensweisen hinnehmen. Fremde Gerüche und Klänge dulden. Spannungen aushalten.

 

Aber - vom passiven Aushalten zur offenen Aggression ist es nur ein kleiner Schritt. Kinder und Jugendliche wünschen sich auf Schulhöfen gegenseitig zur Hölle. Sie werden auffällig und gewalttätig. Kriegen keine Anerkennung, weil sie anders sind. Das verbaut ihren Lebensweg.

 

Andere Menschen sind in ihrer Heimat chancenlos. Armutseinwanderer kommen jetzt verstärkt aus Bulgarien und Rumänien nach hier, ganz legal. Der Deutsche Städtetag wehrt sich: Das soziale Gefälle in der EU können nicht alleine die Kommunen reparieren.

 

Wie damit umgehen und doch tolerant leben? Die Probleme nur passiv dulden und wegsehen hilft keinem weiter. Was dann?

 

Einen Fingerzeig bekam ich ausgerechnet bei einer Diamantenen Hochzeit. Dort sagte der alte Herr: „Nun bin ich schon 60 Jahre mit dem fremden Mädchen verheiratet.“ Da kennen sich zwei in- und auswendig, und doch bleibt der vertraute Mensch auch fremd. Der Weg zum anderen muss immer wieder neu gesucht werden.

 

Was für tief verbundene Menschen nötig ist, brauchen erst recht einander wildfremde: Aufeinander zugehen, Wege zueinander finden, Brücken bauen.

 

Das ist eine aktive Gestaltungsaufgabe.

 

Zum einen für die Politik. Sie muss Rahmenbedingungen entwickeln. Dass Menschen in ihren Herkunftsländern Zukunftschancen haben – vor allem im Süden der EU. Und die Kommunen hier nicht überfordert werden.

 

Dann aber ist Toleranz die Aufgabe von uns allen. Toleranz aktiv gestalten. Nicht auf Distanz bleiben. Aufeinander zugehen. Brückenbauer sein.

 

Und die Kirchen? Fielen auf durch Intoleranz über Jahrhunderte. Auch die Kirchen der Reformation. Darum begeht die Evangelische Kirche jetzt das Jahr der Toleranz. Auf dem Weg zum großen Reformationsjubiläum in vier Jahren. Um sich auseinanderzusetzen mit dem eigenen Schatten der Intoleranz. Und um die positive Kraft des Evangeliums ans Licht zu bringen. Christus sagt: Ich bin fremd gewesen und ihr habt mich aufgenommen.

 

Dieses Christuswort zeigt uns den Weg. Brücken bauen aufeinander zu. Zu Menschen aus anderen Kulturen. Und auch anderen Konfessionen und Religionen.

 

Wissen Sie, wie der Papst auch heißt? Pontifex maximus. Zu Deutsch: Oberster Brückenbauer. Das ist mein Wunsch an den neuen Papst, als evangelischer Christ: Pontifex - Brückenbauer soll er sein. Um Christi willen.

Sendeort und Mitwirkende

Westtdeutscher Rundfunk