Das Wort zum Sonntag: "Demenz - Wie komme ich nach Hause?"
Pfarrer Stefan Claaß
25.05.2013 22:40

Eine Woche Mallorca. Ein Traum! Ich habe alles gepackt, bin zum Flughafen gefahren und habe während des Fluges ein bisschen geschlafen. Ich bin ausgestiegen und habe geschaut: wo muss ich hin? Und dann habe ich  einen Wahnsinnsschrecken bekommen. Das war auf keinen Fall Mallorca. Das hier – das musste Moskau sein. Mit Mühe konnte ich die Art der Buchstaben erkennen, aber ich konnte kein Wort entziffern. Menschen kamen auf mich zu und haben auf mich eingeredet, aber keiner hat auf mein Gestikulieren reagiert, meine Bitten: „Deutschland, Germania, ich will nach Hause!“ Panik pur!

 

Das ist kein Bericht von einer verunglückten Ferienreise. Das ist die Realität für Menschen, die an Demenz erkrankt sind. Diese Flughafen-Szene stammt aus der Seelsorgearbeit mit Angehörigen von Alzheimer-Patienten. Sie soll ihnen dabei helfen, sich besser in erkrankte Freunde oder Verwandte hineinzuversetzen. „Ich will nach Hause!“ Diesen Satz hören sie häufig. Und sie reagieren verständnisvoll und geduldig: „Aber du bist doch zu Hause!“ Kann das jemanden beruhigen, der gerade in Panik geraten ist? Wechseln Sie mal die Seite! Stellen Sie sich vor, Sie seien an der Stelle des Erkrankten. Sie sind der festen Überzeugung, aus Versehen in Moskau gelandet zu sein. Hilft es Ihnen, wenn andere dauernd sagen: „Du bist hier zu Hause, es ist alles in Ordnung“? Nichts ist in Ordnung, Sie verstehen die Worte nicht, niemand nimmt Sie ernst. Kein Wunder, dass Sie panisch und wütend reagieren.

 

Angehörige empfinden es oft als entlastend zu hören, dass alles Beschwichtigen und Erklären nichts nützt. Wie viel hätte ich mir erspart, wenn ich das schon früher gewusst hätte, sagen sie. Aber wie können wir dann reagieren? Wir brauchen andere Wege als die Sprache, um Kontakt aufzunehmen und uns zu verständigen. Wieder der Seitenwechsel. Was würde mir in einer solchen Situation helfen wie auf dem Moskauer Flughafen? Jemand, der mich und meine Panik ernstnimmt. Jemand der nicht frontal auf mich einredet, sondern sich neben mich stellt. Jemand, der mir hilft, meine Panik abzubauen.

 

Saul war vor 3000 Jahren König in Israel. Was die Bibel von ihm erzählt, zeigt in seinen späteren Jahren einen verwirrten und aggressiven Menschen. „Als würde ihn ein böser Geist ängstigen“, heißt es. Was hat ihm geholfen? Der junge David kam an seinen Hof und hat für König Saul auf der Harfe gespielt. „So wurde es Saul leichter, und der böse Geist wich von ihm“, lesen wir in der Bibel. (1. Samuelbuch 16, 23) Vertraute Musik, am besten aktuell gespielt oder gesungen, kann helfen, Panik abzubauen.

 

Musik und Zuwendung sind die beiden Königswege, um dementen Menschen beizustehen. Eine solche Erkrankung ist für alle Beteiligten Neuland. Aber auch an dieser Grenze gilt für alle Beteiligten, was Gott einst dem Josua zugesagt hat: „Lass dir nicht grauen und entsetze dich nicht, ich bin mit dir in allem, was du tun wirst.“ (Josua 1,9)

 

Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag! 

Sendeort und Mitwirkende

Hessischer Rundfunk, Frankfurt