Stephan Born, GEP
Das Wort zum Sonntag: "Demokratie als Beziehungskultur"
Pfarrer i.R. Alfred Buß
14.09.2013 21:50

 

Verborgene Talente. Verschüttete Begabungen. Die gibt es reichlich. Das erfuhr ich schon früh als Gemeindepfarrer. Unser Kinderzirkus Eldorado[1] probte. Viele der Kinder kamen aus dem sozialen Brennpunkt. Im Zirkus konnten sie zeigen, was sie wirklich drauf hatten. Sportlich Begabte waren Artisten. Familie Biegsam. Einige machten Musik. Andere mimten Zirkustiere oder waren Clowns. Und Familie Klecks sorgte für Plakate. Alles lief prächtig. Doch plötzlich fragte Mirko: „K..k..k..kann ich das machen?“ Zirkusdirektor wollte er sein. Mirko Zirkusdirektor? Mit seinem Sprachproblem? – Na gut. Als sein großer Auftritt kam, stand er da in Frack und Zylinder. Und – o Wunder- die Worte flossen ihm aus dem Mund.

 

Talente und Begabungen werden plötzlich geweckt, wenn der Funke überspringt. Ängste und Blockaden werden klein, wenn jemand spürt: mir wird etwas zugetraut. Keiner lebt aus sich selbst. Jede und jeder braucht Anerkennung. Jeder Mensch hat Würde - und ist von Gott begabt. Das steht in der Bibel schon auf den ersten Seiten. Nur müssen diese Begabungen sich auch entfalten können. An Mirko habe ich live erlebt, wie das geht.

 

Als ich damals Tagesschau guckte, dachte ich plötzlich: Warum zeigen die Mirko nicht?

 

Doch der kleine Alltag kommt in den Nachrichten nicht vor – selbstverständlich nicht. Da herrschen die großen Themen der Politik. Aber nicht wenige fühlen sich abgehängt. Sie fragen: Was geht mich das an? Ändern kann ich eh’ nichts. Und: Wozu soll ich noch wählen? Ich bin sowieso auf der Verliererseite.

 

Dabei bringen Menschen ihre Begabungen ein, wenn sie nur spüren: ich gehöre dazu und werde gebraucht. Beim Kinderzirkus und bei Mirko habe ich’s erlebt. Und wenn die Herausforderungen größer werden, bauen sie auf einander – im Wortsinne. Bei der großen Menschenpyramide im Zirkus wächst einer am anderen – und nicht nur da.

 

Das menschliche Gehirn macht es vor[2]. Wenn unser Denkorgan ein dickes Problem zu lösen hat, bildet es nicht immer mehr Nervenzellen aus, so dass es die Grenzen des Schädels sprengt. Nein, es verbessert die Verknüpfungen im Hirn, die Beziehungen zwischen den Nervenzellen werden beflügelt. Und wenn es sich etwas Neues ausdenkt, verknüpft es ganz unterschiedliche, entfernt abgespeicherte Wissensinhalte miteinander. Aus solcher Verknüpfung entsteht Neues.

 

Wie im menschlichen Hirn muss es auch im Gemeinwesen zugehen. Die Verknüpfungen müssen wachsen.

Gott sei Dank gibt es hierzulande unzählige Initiativen, die dafür sorgen.

 

Bei einigen arbeite ich mit. Zum Beispiel beim Verband für Kinder beruflich reisender Eltern[3]. Bis zu 10 000 Kinder sind ständig mit ihren Eltern in Deutschland unterwegs. Zirkusleute, aber auch Marktbeschicker, Schausteller, Puppenspieler. Die Kinder müssen bald wöchentlich die Schule wechseln. Da lernt ein Kind fast nichts. In NRW gibt’s die Schule für Zirkuskinder. In evangelischer Trägerschaft. Da fahren die Lehrer zu ihren Schülern - in mobilen Klassenzimmern. Das muss in Deutschland überall so werden.

 

Zwei reisende Artistinnen, Leslie und Adela, haben jetzt sogar Abitur gemacht. Das gab’s noch nie.

 

Mirko, Leslie, Adela - und wie sie alle heißen: Verborgene Talente. Verschüttete Begabungen. Wenn die zu Tage gefördert und verknüpft werden, dann entsteht Neues. Ein Segen.

 



[1] Heute Circus Travados http://www.travados.net/  http://www.unna.de/kreisstadt+unna/kreisstadt-unna/stadtverwaltung-virtuelles-rathaus/alle-bereiche-von-a-z/jugend-und-familie2025/kinder-und-jugendarbeit/circus-travados-.html

[2] Gerald Hüther, Kommunale Intelligenz; Hamburg 2013

[3] Verband zur Förderung der schulischen Bildung und Erziehung von Kindern der Angehörigen reisender Berufsgruppen in Deutschland e.V. http://www.berid.de/

 

Sendeort und Mitwirkende

Westtdeutscher Rundfunk