Das Wort zum Sonntag: "Wahrheit um jeden Preis?"
Pastorin Annette Behnken
09.11.2013 22:20

Was meinen Sie? Ist es gut oder schlecht, dass wir jetzt wissen, wie die USA unsere Telefonate und Mails überwacht. Hat Edward Snowden, der amerikanische Whistleblower, uns geholfen mit seinen Informationen über die Abhöraktionen? Oder nicht?

 

Angenommen, es klingelt heute Abend an ihrer Tür. Sie öffnen die Tür. Und da steht dieser  junge Mann, dünn und blass und sagt: „Ich werde verfolgt, der amerikanische Geheimdienst ist hinter mir her. Bitte lassen Sie mich rein.“  Was machen Sie? Sie könnten die Tür einfach schnell wieder zumachen. Oder die Polizei rufen. Oder Sie bitten ihn herein und beziehen das Gästebett für ihn.

 

Was macht man mit einem der Geheimnisse verrät? Viele sind ja froh, dass dieser Mann uns die Augen für die Überwachungspraktiken geöffnet hat. Das wird willkommen geheißen.

Er selbst bezahlt einen teuren Preis dafür. Strafverfolgung und Heimatlosigkeit. Dass er letzte Woche mit einem Preis ausgezeichnet wurde, dem Whistleblower-Preis, das ist da sicher nur ein schwacher Trost. Vielleicht sagen Sie: wir brauchen solche Leute, solche Whistleblower. Und mehr noch: Unsere Gesellschaft ist angewiesen auf sie. Weil sie sagen, wo etwas grundlegend schief läuft.

 

Denunziant und krimineller Verräter. Oder: Ein Held, im Dienst von Wahrheit und Meinungsfreiheit.

 

Wenn ich mir vorstelle, ich hätte so einen Whistleblower in meiner Firma. Einen, der genau beobachtet, was schief läuft. Wo  gemauschelt und betrogen wird. Und eben auch mitkriegt, wo meine Kollegen und ich uns nicht korrekt verhalten. Und der erzählt das dann. Ich wär sauer. Ich würde mich verraten fühlen. Was ist denn das für ein Kollege? Das ist doch nicht loyal! „Nestbeschmutzer“ würde ich wahrscheinlich denken. Der sagt die Wahrheit, aber gefährdet damit ja auch Arbeitsplätze, meinen natürlich auch.  Ist das die Wahrheit wert?

 

Ja. Ist es. Keine Denunzianten, aber kritische Geister, die braucht unsere Gesellschaft. Menschen, die uns wachrütteln und laut sagen, was schief läuft. In der Bibel heißen solche Querulanten Propheten. Jesaja, Jeremia oder Amos: Die ersten Querulanten der Zeitrechnung. Unbequeme Kritiker und Mahner ihrer Zeit. Sie prangern an: Betrug und Bestechung. Ungerechtigkeit. Unterdrückung der Armen. “Ihr habt das Recht in Gift verwandelt“, sagt der Prophet Amos.

 

Ein großer und unbequemer Anspruch, den die Propheten an uns stellen: Dass die Wahrheit gesagt werden muss. Weil sie eine befreiende Wirkung hat. „Die Wahrheit wird Euch frei machen“, heisst es in der Bibel. (Joh 8,31)

 

Querulanten, Whistleblower und Propheten: Solche unbequemen Verkünder der Wahrheit brauchen rechtlichen Schutz. In einigen europäischen Ländern werden in den kommenden Wochen und Monaten neue Whistleblower-Gesetze verabschiedet. In Deutschland fehlen sie. Es gibt zwar Entwürfe, aber klare Gesetze, die Whistleblower schützen, die gibt es bei uns nicht.

 

Angenommen es klingelt jetzt an ihrer Tür. Sie öffnen. Und da steht so einer, ein Querulant und Whistleblower wie Edward Snowden. Tür auf oder Tür zu?  Wie wäre es, wenn wir  ihn herein bitten, das Gästebett beziehen, einen guten Kaffee kochen und sagen: Erzähl mal.

Sendeort und Mitwirkende

Norddeutscher Rundfunk