Das Wort zum Sonntag: "Viele Gründe traurig zu sein..."
Pfarrer Michael Broch
16.11.2013 21:50

Viele Gründe traurig zu sein

 

Der November scheint der Trauermonat zu sein. Traurig gestimmt sein passt irgendwie in diese Jahreszeit. Die Natur stellt sich auf die Winterpause ein. Sie liegt brach, wie ausgestorben. Ich brauche nur aus dem Fenster in den Garten zu schauen. Die Abende werden sehr früh dunkel. Die Herbstnebel lassen die Tage nicht so recht hell werden. Novemberstimmung. Totengedenktage.

 

Morgen ist Volkstrauertag, ein gesellschaftlicher Trauertag für die vielen Millionen Opfer des Naziterrors und ein Trauertag für die Gefallenen der beiden Weltkriege. Gedenktage, Trauertage, damit wir nicht vergessen und verdrängen, damit wir umdenken und für eine bessere Zukunft aus der Geschichte lernen.

 

Ich möchte diesen offiziellen Gedenktag morgen zum Anlass nehmen, Ihnen eines meiner persönlichen Trauerthemen zu nennen. Etwas, was mich tieftraurig macht und woran ich morgen auch denken möchte: Ich denke an die sich ständig wiederholenden Flüchtlingstragödien im Mittelmeer. An die viel zu vielen Toten im Meer vor unserer europäischen Haustür. Und daran, dass die Länder der Europäischen Union weiterhin die Grenzen dicht machen und eine legale Zuwanderung nicht menschlich regeln.

 

Hier könnte der “Volkstrauertag” in einen europäischen “Völkertrauertag” umgewandelt werden. Dass die Verantwortlichen auch darüber nachdenken: Unsere reichen Länder leben recht gut von den Natur- und Bodenschätzen aus den Armenhäusern der Welt. Dabei nehmen wir den “sozialen Tod” unzähliger Menschen dort stillschweigend hin und den wirklichen, wenn sie zu uns kommen wollen. Europa macht die Schotten dicht.

 

Aber zu allen Zeiten und weltweit hat es Wanderungsbewegungen und Flüchtlingsströme gegeben. Oft aus Armut. Wegen verheerenden Natur katastrophen, wie jetzt auf den Philippinen. Aber auch aus Kriegsgründen. Der Volkstrauertag könnte uns daran erinnern, dass der 2. Weltkrieg eine der größten Migrationsbewegungen der Menschheitsgeschichte ausgelöst hat, deren Folgen bis heute spürbar sind. Mehr als 20 Millionen Menschen in Europa hatten ihre Heimat verloren.

 

Das möchte ich nicht vergessen und verdrängen, sondern betrauern. Ich möchte solche Trauer zulassen. Das heißt für mich auch, dass ich Flüchtlinge, Migranten, Asylsuchende in meiner Umgebung, in unserer Kirchengemeinde wieder bewußter wahrnehme. Und sie durch mein Verhalten spüren lasse, dass sie gerne gesehen sind.

 

Ein Freund hat mir von einem großartigen Beispiel erzählt, wie so ein Miteinander gelingen kann. Riace, ein Dorf im äußersten Süden Italiens drohte auszusterben. Immer mehr junge Leute suchten Arbeit und ihr Glück in den Städten. Von 3000 Einwohnern waren nur noch 700 übrig. Eines Tages strandeten dort 300 Flüchtlige. Der Lehrer des Ortes sah das als Zeichen. Er unternahm alles, dass die Flüchtlinge hier ein neues Zuhause bekamen. Mit ihnen zusammen wollte er sein Dorf retten. Es gab nur zwei Bedingungen: Alle mussten arbeiten und italienisch lernen. Und das hat geklappt. Die verbliebenen Einwohner engagierten sich ebenfalls. Und sie profitierten von den neuen Dorfbewohnern. Vor allem ihre Kinder brachten Leben ins Dorf zurück. Der Lehrer, mittlerweile Bürgermeister von Riace, hat einen Verein gegründet, der inzwischen der größte Arbeitgeber des Ortes ist. Der Verein heißt: “Città Futura – Stadt der Zukunft”.

 

 

Ich wünsche Ihnen einen guten Sonntag.

 

Hinweis für Hörgeschädigte:

„Diese Sendung wird für hörgeschädigte Menschen mit

Videotext-Untertiteln Tafel 150 ausgestrahlt.“

 

 

Nachstehend die nächsten unverbindlichen Ausstrahlungstermine im Ersten:

 

23.11. | 23:05 Uhr | Michael Broch

30.11. | 23:35 Uhr | Nora Steen

Sendeort und Mitwirkende

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