Morgenandacht
Kreuzweg
17.04.2019 06:35
Sendung zum Nachlesen

Auf öffentliche Stimmung zu setzen, ist riskant. Schneller als erwartet kann sie umschlagen. Und immer verstehen es einige, mit der Befeuerung von Angst und Neid, mit aus der Luft gegriffenen Behauptungen, eine Stimmung zum Kippen zu bringen.

 

So war es auch diesmal. Die Hosanna-Rufe waren verhallt, niemand rief mehr dem Wanderprediger und Wundertäter aus Nazareth ein "Heil dir!" zu oder bat ihn "Hilf doch!" Ganz anders klang es jetzt: "Weg mit dem!" Und schließlich schrie und brüllte die aufgeheizte und aufgehetzte Masse: "Kreuzige ihn!" Ans Kreuz mit ihm. Und hätte es damals schon Handys und Smartphones gegeben – die ersten hätten sie spätestens jetzt gezückt, um das anhebende Leiden zu dokumentieren und ins Netz hoch zu laden. Hier gibt‘s was zu gucken, Leute, hier erwischt es einen – und zum Glück ist er es und nicht wir!

 

So schlug die Stimmung um. Die Jesus nah waren, suchten nun das Weite. Es wurde zu brenzlig. Nur einer traut sich in die Nähe der anstehenden Verhandlung. Wird erkannt – und leugnet: Nein, nein, ich kenne den gar nicht. Dabei schien es doch klipp und klar: "Ich erkenne dich, ich habe dich bei ihm gesehen. Du warst doch auch dabei." Nein, beharrt er. Nein. Zu seinem Glück konnten sie damals wohl nicht sagen: "Ich weiß, wo du wohnst." Das ist noch kein "Kreuzige auch ihn!" Aber es geht in die Richtung.

 

Für Beispiele muss man gar nicht zweitausend Jahre zurückgehen. Das geschieht heute. Da engagieren sich Menschen und Einrichtungen in einem Wohngebiet für Menschen am sozialen Rand – und werden von Anliegern nicht nur beklagt und öffentlich angegangen, die Art und Weise der Kritik geht bis zu Hassmails und persönlichen Bedrohungen. Man will solche Menschen nicht im eigenen Blickfeld haben – weg mit denen. Fürchtet man dann auch noch die Entwertung des eigenen Haus- und Grundbesitzes oder auch nur die Schmälerung von Freizeitfreuden, ist die Geduld schnell zu Ende. Weg mit denen. Und denen, die sich für die Randständigen engagieren, sagt man dann auch schon mal "Wir wissen, wo du wohnst."

 

Die Offenheit und Frechheit, mit der solcher Hass vorgebracht wird, sie nimmt zu. Ihre Akteure behaupten Opfer zu sein – und machen sich damit zu Tätern. Die Ebene sachlicher Auseinandersetzung wird verlassen, es wird ganz offen vom Leder gezogen, es geht gezielt unter die Gürtellinie, und so etwas wie Würde, die eigene wie die der anderen, bleibt auf der Strecke. Die Fassade von Höflichkeit und Anstand bricht auf, was darunter zum Vorschein kommt ist nichts anderes als das Gesetz des Dschungels und das Recht der Stärkeren. Und fühlen die vermeintlichen Opfer sich schwach, dann schreien sie umso lauter und werden umso mehr zu Tätern. Alles schon mal da gewesen.

 

"Weg mit dem!" – "Kreuzige ihn!" – "Juden raus!" – "Ausländer raus!" Schreie, die nicht verhallen – bis heute nicht. Mir bringt dieses Geschrei Jesu Worte ganz neu zum Klingen: "Was ihr ihnen tut, das habt ihr mir getan. Was ihr ihnen nicht tut, das habt ihr mir nicht getan." So stellt ihr euch zu mir – oder ihr verratet eben auch mich. Für mich ist das nicht bedeutungslos. Der Jesus verleugnete, Petrus, der erschreckt, als er den Hahn krähen hört. Hatte Jesus nicht gesagt: Ehe der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen, verraten?

 

Verrat und Verräterlegenden, Verschwörungstheorien gibt es reichlich. Heute mehr denn je. Und dann lässt man den Beschimpfungen freien Lauf, es folgen Drohungen, einige lassen Taten folgen. Und die Sache kippt – ins Unmenschliche, ins Gewalttätige, ja bis ins Morden, und die Rufe kommen immer wieder neu: Die müssen raus, die sollen weg. Dann wäre die Welt wieder in Ordnung. Wer darin Sinn findet, der irrt. Fake-News zerstören Vertrauen und Leben.

 

Jesus nimmt diesen ganzen Wahnsinn auf sich. Und er trägt den Kreuzbalken vor die Stadt. Siehe, der Mensch. Siehe, dein Gott. Schafft Jesus damit den Irrsinn aus der Welt – und gerade so?! Nicht die anderen wegwischen, die angeblich Schuld sind. Sondern sich selber stellen und auf den Weg machen. Und wenn es der Kreuzweg ist.

 

 

 

Es gilt das gesprochene Wort.