Sendung zum Nachlesen
Kamikaze. Das kommt aus Japan. Als Kind dachte ich, das seien japanische Kampfpiloten, die sich im 2. Weltkrieg mit ihren Flugzeugen auf dem Pazifik in feindliche Schiffe stürzten. Damit versenkten sie diese, klar – sich selbst aber auch. Mir war das fremd. Warum machten die das? Zugleich erschien es erstaunlich. Was hatten diese Menschen, die so was tun konnten?
Kamikaze war der Titel einer Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle. Für den belgischen Künstler Philippe Vandenberg bedeutete Kamikaze eine Art kreativer Zerstörung, "also ein Ermöglichen des Neuen auf der Grundlage der Überwindung des Alten. Radikale Richtungswechsel und eine Beweglichkeit des Denkens werden so zu Voraussetzungen von Kamikaze als Geisteshaltung." Oder, wie es der Künstler selbst formulierte: "Man muss beweglich bleiben, absolut beweglich!" Und so kann man Kamikaze auch verstehen als einen "göttlichen Wind", der einen zu etwas bringt und treibt, was man zuvor überhaupt nicht für möglich hielt. Vandenberg freilich konnte das nicht retten – auch er stürzte sich in den Tod. Beweglichkeit der Verzweiflung? Da behalten in der Tat Verzweiflung und Tod das letzte Wort!
Kamikaze bedeutet vom Wort her Gott und Wind. Es mag erinnern an einen Taifun, der vor langer Zeit den Japanern im Kampf gegen Mongolen hilfreich wurde. Götterwind, der das Geschick zum Guten wendet. Der Geist Gottes, der unser Leben und Sterben ins Gute wendet. Genau das ereignet sich christlich verstanden in dem Menschen Jesus aus Nazareth. In ihm, so das biblische Bekenntnis, wirkt Gottes Geist und führt auf geistvolle Wege. Darum nennt man ihn Gottes Gesalbten, Messias, Christus.
Was Jesus in den Tod treibt, ist nicht die Beweglichkeit des Menschen in der Verzweiflung. Es ist die Beweglichkeit in der Liebe. Es ist die Treue zu dem, wofür er sein ganzes Leben lang einsteht. Die Gewissheit, "dass Gott dem Ärmsten noch entgegeneilt und ihn umfängt und küsst, weil er ihn liebt", weswegen wir sagen dürfen, "dass die Liebe allen Jammer heilt"(Arno Pötzsch).
Was Jesus bis in die Selbsthingabe hinein lebt, das ist die Frucht eines Lebens, das sich nicht in sich selbst erschöpft. Kein Leben, das sich selbst in einer gelungenen Biographie die Krone aufsetzt. Nein, Jesus will ganz andere krönen: Uns Menschen mit Gottes Liebe und Treue. Er verkörpert die Menschenfreundlichkeit Gottes. Daran verschwendet Jesus sich selbst – wie es einmal heißt: "Er kam, um wie Brot gegessen und wie Wein getrunken zu werden." Sein Leben ist Hingabe. Sein Leben ist Loslassen, damit Gott verlorene Menschen erfassen kann – durch Jesus, der sich dort hinbegibt, wo das Verlorensein am größten und schlimmsten scheint: In Leiden, Verlassensein, Sterben und Tod.
Kann ich Kamikaze verstehen als einen "göttlichen Wind", der einen zu etwas bringt und treibt, was man zuvor überhaupt nicht für möglich hielt – dann kann ich den Weg Jesu auch verstehen als einen Weg, der mir selber ein Leben eröffnet, das ich zuvor nicht für möglich hielt. Ein Leben, zu dem auch mein eigener natürlicher Mensch sich oft genug konträr zeigt: Ein Leben, das sich verschwendet und hingibt. Ein Leben, in dem ich nicht allem voran mich selbst im Sinn habe, sondern die Liebe, mit der mein Gott auch mich beschenkt. Mich – und die anderen Menschen auch.
Deshalb feiern Christen Abendmahl, teilen Brot und Wein oder Traubensaft im Gottesdienst. Jede Abendmahlsfeier erlebe ich als immer neue Einweisung in so einen Lebensstil. Nicht mein Leben festhalten wollen, sondern es finden, im Spiel von Empfangen und Geben. Oft genug will ich ja das Gute (oder was ich dafür halte) in meinem Leben festhalten – und dann höre ich von Jesus: Er nahm es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein. Er nahm es nicht als Besitz für sich, sondern als Ansporn zur Liebe und zum Teilen. In Menschen, die auch so leben, verwandelt zu werden – das ist die eigentliche Wandlung, um die es in der Feier des christlichen Abendmahls geht. Jesus gibt sich – und nimmt mit in ein Leben, in dem Menschen empfangen und teilen. Und das tun Christen zu seinem Gedächtnis.
Es gilt das gesprochene Wort.