Das Wort zum Sonntag: "Organspende"
Pfarrer Ulrich Haag
02.07.2011 21:55

Sie heißen Ursula, Joachim und Robert. Sie sind verheiratet, sie haben Familie. Sie erzählen von ihrer Arbeit, ihrer Wohnung. Und davon, wie es war, als sich die schwere Erkrankung plötzlich bemerkbar gemacht hat. Dreimal in der Woche müssen sie sich seitdem an eine Maschine anschließen lassen, die ihr Blut reinigt. Weil die Nieren das nicht mehr können. Sie erzählen vom Warten auf eine Spenderniere. Und von den Leidensgenossen, die die Wartezeit nicht überlebt haben. 1000 Menschen sterben jährlich, weil sie nicht rechtzeitig ein Spenderorgan erhalten – so die Internetseite für Organtransplantation. 12000 warten - auf die Leber eines Anderen, die Niere, die Lunge, das Herz.

 

Ich möchte ihnen helfen. Eine Organspende ist gelebte Nächstenliebe. Zugleich ist mir mulmig. Was geschieht, wenn man mir nach einem tödlichen Unfall im letzten Moment ein lebenswichtiges Organ herausoperiert? Tot bin ich dann ja noch nicht. Es heißt zwar, dass ich unwiderruflich auf den Tod zugehe. Aber mein Herz schlägt noch. Diesen Zwischenzustand nennt die medizinische Fachsprache Hirntod. Doch wer garantiert mir, dass ich da nicht doch noch etwas fühle?

 

Vor ein paar Tagen hatte ich die Gelegenheit, mit meinem Freund darüber zu reden. Der ist Arzt und hat mir erklärt, dass die Medizin bei der Entstehung des Lebens und an seinem Ende keine endgültigen Antworten parat hat. Doch kann sie mit Hilfe der modernen Technik - übrigens viel genauer als früher - bestimmen, wann das Fühlen, Denken und Empfinden eines Menschen vollständig erloschen ist, auch wenn seine Organe noch für wenige Stunden funktionieren.

 

Und was ist, wenn ich zum Beispiel beim Radfahren von einem Lastwagen überfahren werde und den Spenderausweis bei mir trage? Auch darauf gibt mein Freund eine klare Antwort. Bei einem Schwerverletzten wird nicht erst gecheckt, ist das ein Organspender oder nicht - und dann entschieden Ex oder Hopp, wir können seine Leber brauchen. Kein Arzt würde sich so verhalten! Niemals!

 

Alle Zweifel hat mir das Gespräch mit meinem Freund nicht nehmen können. Doch ist mir klar geworden, dass ich die letzten Stunden meines Lebens nicht planen kann. Da gibt es keine Sicherheit. Da muss ich loslassen, statt festzuhalten. Muss auf die Menschen vertrauen, die für mich sorgen. Und auf den, der am Ziel des Weges auf mich wartet.

 

Mein Freund hat immer ein paar Organspenderausweise auf Vorrat. Einen hat er mir in die Hand gedrückt. Den hier. Nun habe ich ihn unterschrieben. Ich habe lange gebraucht.

 

Vielleicht ist es ganz richtig, wenn der Staat seine Bürger in Zukunft gezielt nach dem entweder Oder fragt. Bei der Ausstellung eines Führerscheins soll zukünftig jeder erklären, ob er zu einer Organspende bereit ist oder nicht. Nur: Wenn man den Druck erhöht, sollte man gerade junge Menschen dazu befähigen, die Entscheidung auch wirklich zu treffen. Broschüren und Faltblätter reichen dazu nicht aus. Eher schon zwei drei gut vorbereitete Religionsstunden. Am meisten hilft wohl der Gedanke daran, dass mit jedem neuen Ausweis die Chancen auf Hilfe steigen – für Ursula, Joachim und Robert, und die, die mit ihnen warten.

 

Ihnen allen eine gute Nacht und einen gesegneten Sonntag.

Sendeort und Mitwirkende

(WDR)
Dr. Gerd Höft
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Redaktion: Martin Blachmann (WDR)