Was würde eigentlich passieren, wenn all die Millionen Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren von jetzt auf gleich aufhören würden? Wer pflegt dann Angehörige, wer trainiert Kinder und Jugendliche im Sport, wer hilft beim Hochwasser, wer besucht einsame Menschen? Pfarrer Conrad Krannich aus Halle macht sich in seinem Wort zum Sonntag Gedanken über das Fundament unseres Zusammenlebens, und er erzählt, wie Christen sich zu DDR Zeiten engagiert haben.
Sendetext lesen:
Guten Abend!
An diesem Wochenende feiern wir ein Jubiläum. 80 Jahre evangelische Studierendengemeinde in Halle an der Saale. Sehr spannend, weil so viele Ehemalige aus allen Generationen da sind. Und auch Heike, heute Anfang 60. Damals – als junge Frau in der DDR – engagierte sich Heike in der Studierendengemeinde. Sie brennt für Themen wie Frieden, Gerechtigkeit und Umweltschutz. Denn die Flüsse schäumen damals vor Industrieabfällen. Und nach der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl verbreitet die DDR-Regierung Lügen: von wegen "Halb so schlimm." Von wegen! – Für Heike ging das alles gar nicht. Aber DDR und Christin-Sein und politische Haltung, das ging auch nicht zusammen. Denn in der DDR hieß das: "Kannst dich schon engagieren, Heike. Aber dann wirst du kein Abitur machen. Und studieren, was du willst und kannst, das kannste auch vergessen." So war das.
Heike sagt: "Es war damals eine echte Lebensentscheidung. Ich war bereit, den Preis für meine Überzeugung zu zahlen. Nur so konnte ich in diesem System überleben." Ihr Engagement verschließt Heike in der DDR viele Türen, aber es eröffnet verrückterweise auch eine ganz neue Welt: Sie arbeitet und diskutiert mit Menschen auf Podien, da weiß noch niemand, dass das mal Ministerpräsidenten und Kanzlerinnen sein würden. Wer sich engagiert, trifft einfach viele Menschen. Aber ihr Engagement bedeutet auch einen Knick, und der bleibt und den spürt sie: in der verhinderten Karriere, in der versagten Anerkennung und sie wird es auch bald in einer geringeren Rente spüren.
Bei all den Begegnungen während unsres Jubiläums könnte ich unzählige solcher Geschichten erzählen, alte und neue, von Menschen wie Heike, die sich immer schon als Christen engagierten, selbst in finstersten Zeiten, weil Nichtstun für sie nie eine Option ist.
Zum Glück engagiert sich in unserem Land jeder vierte. So viele! Sie trainieren die Kinder, besuchen die Sterbenden, packen die Themen an, die keine Lobby haben und trotzdem wichtig sind. Dass so viele Menschen das ihnen Mögliche beitragen, neben Beruf, Schule und der Pflege von Angehörigen – ich finde das großartig.
Es gibt viele Formen, sich zu engagieren. So viele tun ihr Möglichstes – auch unter den widrigsten Bedingungen – und fragen nicht, ob es sich lohnt, sondern ob es richtig ist. Sie machen unsere Gesellschaft reich und menschlich. Das ist keine Nebensache; das ist das Fundament. Was würden denn passieren, wenn all diese Menschen von jetzt auf gleich sagen: Is’ nicht mehr, wir schmeißen hin. Da kann Opa seinen Enkel zum Fußball fahren, aber da wäre keiner, der ihn trainiert. Da lägen längst tausende von Kirchen längst in Trümmern, weil sich keiner kümmert. Und beim nächsten Hochwasser wären wir völlig aufgeschmissen, denn Katastrophenschutz braucht doch mehr als das Heer.
Was wäre wenn?
Eines hat mich beim 80jährigen Jubiläum der Studierendengemeinde sehr beeindruckt: Ich frage Heike: "Bereust du’s eigentlich, dein Engagement damals in der Studierendengemeinde in der DDR?" "Nein", sagt sie, ", auch wenn der Preis, den ich damals gezahlt habe, hoch war. Hätte ich mich damals nicht engagiert und als Christin gezeigt, ich hätte nicht mehr in den Spiegel schauen können. Ich kann mich nicht verstecken, konnte ich noch nie. Ich muss sagen, was ich denke, und tun, was ich tun kann. So bin ich nun mal."
Gott sei Dank gibt es viele, die sich engagieren. Es ist so gut, etwas zu tun, dass Sinn gibt. Wir müssen die Welt nicht alleine retten.
Es gilt das gesprochene Wort.