Samstags ab 17 Uhr können Sie an dieser Stelle den Sendetext nachlesen.
Es ist zum Verzweifeln! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, derzeit drängt sich das starke Gefühl auf: Es ist zum Verzweifeln! Es geht nicht gut aus. Es wird immer schlimmer. Noch ein Krieg. Noch ein Despot. Oder im Privaten: noch eine schlimme Diagnose. Noch eine Rechnung. Die Reihe an Desastern ist lang.
Klar, man könnte zynisch werden, angesichts der schlimmen, ausweglosen Situationen. Eine mögliche Reaktion darauf: Nur noch ein paar schnippische Kommentare. Oder man könnte wütend werden. Und aggressiv. Die Faust in der Tasche ballen und dann mit Wut explodieren – obwohl das auch nichts ändert. Ich erlebe, dass viele Menschen zynisch werden, von der Wut zerfressen. Manche sagen dann: Ich kann mich nicht um die Not der andern kümmern. Das Leben oder die da oben gehen mit mir auch ungerecht um. Fertig. Gibt es Alternativen?
Ich wünsche sie mir. Ich beobachte jedenfalls, dass derzeit Bücher auf Bestseller-Listen landen, die sich mit einem überraschenden Thema beschäftigen: der Hoffnung. Seltsam, fast skurril – irgendwie aber auch schön und ermutigend! In dem Desaster, das das persönliche Leben und das gemeinsame gesellschaftliche Leben doch häufig bedeutet, kommt mir schon das Wort "Hoffnung" nicht so leicht über die Lippen. Es kann abgegriffen wirken. Wie eine Floskel eben. Das muss aber nicht so sein. Immer wieder suchen Menschen danach, wie sich hoffen und die Realität in der Gesellschaft verändern lässt: in der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre in den USA, in der "Theologie der Hoffnung" des Theologen Jürgen Moltmann oder in der Vorstellung einer tätigen Hoffnung des marxistischen Philosophen Ernst Bloch. All diese Menschen und ihre Überlegungen haben einen verbindenden Punkt darin, dass Hoffnung für sie nicht nur vertröstet. Hoffnung bezieht sich auch im christlichen Verständnis nicht nur aufs Jenseits. Es ist keine Sache für den "Sankt-Nimmerleins-Tag". Christliche Hoffnung bezieht sich auch darauf, dass sich hier und jetzt an den unerträglichen Verhältnissen etwas ändert. Und das bedeutet: Wer hofft, handelt!
Klar, man muss kein Christ, keine Christin sein, um hoffen zu können, dass die Dinge dieser Welt besser werden. Wer andere Quellen findet, um hoffen und deshalb handeln zu können, pflege sie und nutze sie. Christliche Hoffnung baut auf einem Gottvertrauen auf, das sagt: Es wird gut.
Auch da, wo du, Mensch, es noch nicht sehen kannst. Für die christliche Rede von der Hoffnung scheint mir aber ganz entscheidend zu sein, dass sie nicht an den Desastern, an der Not und Verzweiflung in dieser Welt vorbei bestehen kann. Und sie verbindet sich mit dem Handeln hier und jetzt und in dieser Welt – mit den israelischen Familien, die um ihre Angehörigen in der Gewalt der Hamas bangen. Mit den hungernden und verzweifelten Menschen in Gaza, in den Kriegsgebieten im Nahen Osten und in der Ukraine. Mit den Menschen, die sehr krank sind oder bei denen auch hier in Deutschland das Geld nicht zum Leben reicht. Menschen mit wirklicher Hoffnung nehmen diese Not wahr und ernst. Die französische Philosophin Corine Pelluchon geht noch einen Schritt weiter. Sie sagt, man müsse Verzweiflung erlebt haben, um von Hoffnung sprechen zu können. Bloßer Optimismus kann bedeuten, die Augen zu verschließen und das Schmerzhafte zu ignorieren. Hoffnung ist dagegen etwas anderes. Sie ignoriert nicht. Wer hofft, sei es ganz klein und zaghaft, der nimmt Anteil und handelt – nicht in Wut, sondern zum Besseren.
Ich wünsche Ihnen einen hoffnungsvollen Sonntag!
Katholischer Senderbeauftragter für Das Wort zum Sonntag für den NDR
Andreas Herzig, Erzbistum Hamburg
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