Ich habe mir die Bilder des aktuellen Terrors der letzten Woche aus Israel nicht angesehen. Es hieß, es würden Israelis gezeigt, die von den Terroristen der Hamas gekidnappt, getötet, misshandelt, gequält werden. Abscheuliche Videos der Gewaltexzesse der letzten Woche in Israel kursieren im Internet. Ich habe mir die Bilder und Videos, von denen in den Nachrichten und Kommentaren der letzten Wochen die Rede war, nicht angesehen. Mir reicht wirklich schon die bloße Schilderung. Die Brutalität. All das Entsetzliche, das Menschen anderen Menschen antun können.
Natürlich bin ich, wie die meisten von Ihnen vermutlich auch, ziemlich trainiert im Umgang mit furchtbaren Bildern aus Krisenregionen – leider. Kriegsbilder aus der Ukraine. Katastrophen, wie die Erdbeben in Afghanistan, in der Türkei oder in Libyen und Marokko. Bilder von den Flüchtlingen, die auf dem Mittelmeer kentern und ertrinken, von den Leichen an Stränden. Schlimme Bilder, die traumatisieren, deshalb auch manchmal mit Trigger-Warnung, damit man noch schnell wegschauen kann. Solche Bilder füllen die News in Internet und Fernsehen. Und wenn jetzt vom israelischen Militär versucht wird, die Geiseln aus dem Gazastreifen zu befreien, wird auch das mit schrecklichen Bildern verbunden sein.
In der zurückliegenden Woche gab es eine Fülle von Reaktionen auf die schlimmen Bilder aus Israel. Manche voreilig formulierten Kommentare waren ihrerseits problematisch. Sie zeigen, wie schwer es sein kann, im Nahostkonflikt den inneren Kompass nicht zu verlieren: Nein, es geht nicht darum, für Verständigung und Versöhnung zu werben, wenn gleichzeitig Geiseln verhöhnt und Leichen geschändet werden. Nein, es braucht kein Verständnis für die terroristische Gewalt. Nein, es braucht kein gespieltes Bemühen um eine ausgeglichene Position. Gerade für uns in Deutschland braucht es stattdessen das klare Bekenntnis zu Israel und seinem Schutz, gerade jetzt. Wer immer die Politik der Regierung Netanjahu kritisieren will, sei darauf hingewiesen, dass all dies die Massaker und das Menschenverachtende der Hamas nicht rechtfertigen kann. Nein, zu unterstreichen ist gerade vor dem biblischen Hintergrund jüdischer und christlicher Tradition die Solidarität mit den Opfern von Gewalt und Willkür.
Ich selbst habe Sympathie für die Proteste der letzten Monate gegenüber der nationalistischen Politik oder gegenüber den Provokationen der Siedlerbewegung. Und ich hoffe, dass Israel nicht seine eigenen demokratischen Strukturen beschädigt. Die israelische Gesellschaft selbst zeichnet sich aber auch gerade dadurch aus, dass es in ihr ein intensives Ringen um Recht und Unrecht gibt. Aber in dieser Situation gibt es keine ausgewogene Position. Es gibt nur die notwendige Einseitigkeit, sich an die Seite der Gewaltopfer zu stellen. Ist das nicht einseitig? Ja, genau! Biblische Texte beschreiben sogar Gott als einseitig. Gott ist einseitig, nicht neutral. Gott steht da parteiisch auf der Seite der Gewaltopfer! Das mag Menschen etwas unheimlich sein, die meinen, sich in Konflikten auf irgendwelche neutralen Positionen zurückziehen zu können. Aber es gibt eben bei Unrecht und Gewalt keine neutrale Position und kein Raushalten. Als christlicher Theologe sage ich mit dieser Vorstellung von einer einseitigen Parteinahme Gottes, dass es ein unangemessenes Bemühen um Ausgewogenheit gibt. Und es gibt eine falsche Zeit, um Verständnis für alle Seiten eines Konfliktes zu äußern. Das ist manchmal nur die Ausrede derer, die sich scheuen, klipp und klar an der Seite der Opfer von Gewalt zu stehen.
Einen guten Sonntag!
Norddeutscher Rundfunk (NDR)
Redaktion: Sabine Pinkenburg
Katholischer Senderbeauftragter für Das Wort zum Sonntag für den NDR
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