Guten Abend, meine Damen und Herren.
Es ist fast auf den Tag genau 25 Jahre her, da wurde es am Wiener Burgtheater uraufgeführt. Ich hab es kürzlich noch mit großer Begeisterung gesehen: Peter Handkes Stück „Die Stunde, da wir nichts voneinander wussten“.
Das Besondere an diesem Stück: Es wird kein einziges Wort gesprochen. Zu sehen ist ein großer Marktplatz, auf dem etwa 30 Schauspielerinnen und Schauspieler in mehr als 300 verschiedenen Rollen auftreten – ohne auch nur ein Wort miteinander zu sprechen. Jede Figur bleibt so für sich. Sie spielt ihre eigene Rolle, folgt ihren eigenen Verhaltensmustern, tritt aber nicht in Kontakt mit den anderen. Freude, Dank, Trauer und Not: nichts davon wird miteinander geteilt. Ein bedrückendes Szenario. Nicht jeder im Publikum kann das gut ertragen. Schon bei der Premiere haben es Etliche nicht bis zum Ende ausgehalten.
„Es müsste jetzt etwas passieren …“, hat Peter Handke sein Werk einmal kommentiert. „Es müsste Pfingsten kommen, wo alle mit Feuerzungen sprechen, oder was auch immer. Aber das passiert eben nicht.“ – Verblüffend, dass gerade Handke seine Hoffnung auf Pfingsten setzt. Einer, der sich selbst immer wieder als Atheist bezeichnet hat. Gerade er traut dem alten christlichen Pfingsten zu, den Narzissmus und die Vereinzelung in unserer Gesellschaft zu überwinden?
Handke hat offenbar begriffen, um was es an Pfingsten geht! Nicht um die dicke Taube, die morgen in so mancher Kirche wieder auf die Häupter der Gläubigen niedergelassen wird. Und auch nicht um die gut einstudierte Begeisterungsrhetorik und die schwärmerischen Gesänge, die andernorts zu hören sein werden. All das sind sicher gut gemeinte Versuche, Pfingsten irgendwie zu veranschaulichen. Auf mich wirken sie allerdings meist recht künstlich.
Ich bin da eher bei Handke. Für mich geht es an Pfingsten um eine Kraft, die unsere gesamte Gesellschaft verändern kann. Nicht nur diese oder jene Kirchengemeinde,
sondern alle Menschen guten Willens. Es ist die Kraft, die spürbar wird, wenn Menschen wieder miteinander reden. Wenn es gelingt, etwas auch mal aus der Perspektive eines anderen zu sehen. Ja, wenn der Andere mir ähnlich wichtig wird wie ich mir selbst.
In Handkes Stück ist von dieser Veränderung nichts zu sehen. Und doch inszeniert er sie auf eine höchst eindrucksvolle Weise: Wer die beklemmende Marktplatz-Szenerie auf der Bühne bis zum Ende ertragen hat, der geht mit einer tiefen Sehnsucht nach echter Begegnung und lebendiger Gemeinschaft nach Hause. Handke stellt die alles verändernde und zusammenführende Kraft nicht auf der Bühne dar, er weckt sie in den Zuschauern!
Besser hätte es auch ein christlicher Theologe nicht inszenieren können. Pfingsten lässt sich nicht aufführen wie ein Theaterstück, womöglich noch mit weißen Täubchen, Glitzer und Kindergesang. Pfingsten geschieht, wo Menschen sich nach echter Begegnung und lebendiger Gemeinschaft sehnen und beginnen sich kraftvoll dafür einzusetzen. Und das passiert manchmal an Orten, an denen man es gar nicht erwarten würde.
Für mich hat das diesjährige Pfingstfest in einem Theatersaal begonnen. In dem Moment, in dem mir aufgegangen ist, wie wichtig echte Begegnungen für mein Leben sind. Wie sehr auch ich mich nach lebendiger Gemeinschaft sehne. Und es war ein Atheist, der das in mir wach gerufen hat.
Ich wünsche auch Ihnen ein frohes und lebendiges Pfingsten mit vielen wohltuenden Begegnungen!
Dr. Philipp E. Reichling OPraem
Katholischer Rundfunkbeauftragter beim WDR
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