Sendung zum Nachlesen
Was macht Menschen einzigartig, individuell, von besonderem Wert?
"Du, Gott, hast mich geschaffen mit Leib und Geist, mich zusammengefügt im Schoß meiner Mutter. Dafür danke ich dir, es erfüllt mich mit Ehrfurcht. An mir selber erkenne ich: Alle deine Taten sind Wunder!" Psalm 139,13.
Ganz schön selbstbewusst, dieser Psalmbeter im Alten Testament der Bibel. Fast schon eingebildet. An sich selbst die großen Wundertaten Gottes erkennen? Mir fällt das schwer.
Leichter fällt es, Verbesserungspotential am eigenen Körper und seiner Schönheit zu entdecken. Die Schönheitschirurgie erfährt regen Zulauf, Jung und Alt lassen sich operieren, Teenagerinnen wird in zahlreichen Videotutorials beigebracht, wie sie sich möglichst attraktiv schminken, um bei den Jungs gut anzukommen. Und die wiederum bringen ihre Badehosenfigur von Herbst bis Sommer in Form. Heute ist es eher das Gebet vor dem Spiegel: "An mir selber erkenne ich: Da ist noch mehr drin. Da muss noch mehr drin sein."
Denn es tut so gut, einzigartig zu sein. Unverwechselbar, individuell, besonders. Gerade inmitten von Schönheitsidealen, die mehr die Verkaufsstrategien der Modeindustrie widerspiegeln als realistische Körperformen. Und besonders einzigartig und individuell ist es am Ende dann meistens doch nicht, wenn jeder das Gleiche trägt, jede sich schminkt wie alle anderen und man schon an den Frisuren erkennt, welche Stylingtipps gerade im Trend liegen.
Aber nicht nur der eigene Körper muss möglichst einzigartig sein, sondern auch der Lebenslauf. Der ist heute nicht mehr vorgegeben. Niemand muss den Beruf der Eltern ausüben, sondern alle können wählen. Müssen sogar wählen. Möglich wäre zum Beispiel ein Bachelor in Blockflötenspielen in Stuttgart oder Puppenspielen in Berlin, ebenfalls mit Bachelorabschluss. Oder am Ende vielleicht doch lieber eine Ausbildung? Eine Standardbiographie von der Schule über Ausbildung und Berufsziel bis zur Familie im Eigenheim mit Kindern und Enkelkindern ist eher die Ausnahme. Die Devise lautet: Hol’ alles aus dir heraus, damit du nichts verpasst, keine Möglichkeit links liegen lässt und deinen einzigartigen Lebenslauf entwickelst. Ob es nun um den eigenen Körper oder die eigene Biographie geht: Menschen sind es gewohnt, ihre Einzigartigkeit selber zu bewerkstelligen.
Der Psalmbeter in der Bibel sieht das anders. Er ist ganz erstaunt darüber, wie Gott ihn gemacht hat, schon im Mutterleib geformt, zusammengefügt, wie ein einzigartiges Puzzle, bei dem jedes Teil genau am richtigen Platz sitzt. Der Blick in den Spiegel führt beim Beter nicht zu Selbstzweifel und Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper, sondern zum Staunen über die Wunder Gottes. Die Einzigartigkeit entdeckt er nicht in seinem besonders makellosen Äußeren oder Inneren, sondern darin Geschöpf Gottes zu sein.
Diese Sicht auf den Menschen ist grundlegend für die Bibel. Sie begegnet schon direkt zu Beginn des Alten Testamentes. Gleich in der ersten Schöpfungserzählung wird dem Menschen ein unermesslicher, sogar göttlicher Wert zugeschrieben: Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn.
In ihrem Wert sind vor Gott alle Menschen gleich, denn alle sind als seine Ebenbilder geschaffen. Auch ich. Nicht weil ich einem westeuropäischen Schönheitsideal am Anfang des 21. Jahrhunderts entspreche, nicht weil mein Lebenslauf so perfekt durchgestylt ist, nicht weil ich etwas dazu beitragen könnte. Sondern einfach weil ich bin. Weil ich Geschöpf Gottes bin. Dazu kann ich nichts beitragen, aber das muss ich auch nicht.
Auf die Frage, was das höchste Gebot sei, antwortet Jesus in der Bibel mit zwei alten Geboten: Liebe Gott. Und liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Was aber, wenn das mit der Selbstliebe so schwer fällt? Dann ist es gut, sich von Zeit zu Zeit die Dinge sagen zu lassen, die man sich nur schwer selbst sagen kann: Du bist einzigartig. Du bist Gottes Ebenbild. Es ist gut, sich daran erinnern zu lassen. Vielleicht in einer Kirche, vielleicht im Radio, vielleicht durch den Psalmbeter.