Polizeiseelsorge - Kirche im Einsatz

Polizeiseelsorge - Kirche im Einsatz

Ein Krimi im Fernsehen, das sind 90 Minuten wohldosierte Spannung mit Happy End. Meist geschieht ein Mord, den zwei Ermittler plus Sekretärin innerhalb der Sendung aufklären. Die Leiche ist hübsch zurechtgemacht, der Tatort aufgeräumt, geruchsneutral und am Ende geht es gut aus. Der Fall ist gelöst, die Ermittler sind zufrieden und der Zuschauer ist es auch.

 

Dass der Alltag eines Polizisten nur wenig mit einem Fernsehkrimi zu tun hat, ist den meisten von uns klar. Was Polizistinnen und Polizisten im Laufe eines Dienstes zu sehen und zu hören, zu riechen und oft auch zu spüren bekommen, würde sicherlich den Rahmen einer Krimiserie sprengen. Und manches davon wäre eine Zumutung für den Zuschauer.

 

Abgesehen davon verläuft der Polizeialltag häufig weitaus weniger spektakulär als im Krimi. Wilde Verfolgungsjagden sind ebenso eine Ausnahme wie der Schusswaffengebrauch – zum Glück. Oft geht es bei Ermittlungen um monatelange akribische Kleinarbeit. Dann ist es gut, wenn man den Fall am Ende mit einem guten Gefühl abschließen und zufrieden nach Hause gehen kann.

 

Täglich müssen sich Polizistinnen und Polizisten jedoch auch intensiv mit menschlichen Schicksalen auseinandersetzen und mit dem Leid, das Menschen sich gegenseitig antun. An Unfallstellen und Tatorten, angesichts von Unglücken, Gewalt und Misshandlung, bei unnatürlichem Sterben und Tod – immer ist die Polizei zur Stelle. Fast immer können sich Polizisten an den ersten Toten erinnern und oft auch noch nach Jahren die Umstände seines Todes in allen Details erzählen. Manche Bilder brennen sich tief ins Gedächtnis ein. Kaum ein Beruf wirkt sich so sehr auf die eigene Seele, auf die privaten Beziehungen und manchmal auch auf die Sicht der Welt aus wie der Polizeiberuf.

 

In jeder Uniform steckt ein Mensch

Der Polizeiberuf ist, nicht nur deshalb, ein besonderer Beruf. Der Auftrag der Polizei im Staat ist es, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu schützen und aufrecht zu erhalten. Das heißt, die Polizei hat die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass wir in unserem Staat möglichst sicher und frei miteinander leben können. Notfalls – und in einem gesetzlich eng abgesteckten Rahmen – müssen Polizistinnen und Polizisten dies unter Androhung von Gewalt und sogar unter Einsatz ihres eigenen Lebens gewährleisten. Manchmal werden sie dabei selbst zu Opfern von Gewalt.

 

Wer einem uniformierten Beamten bei der Ausübung seines Dienstes begegnet, vergisst manchmal, dass in der Uniform ein Mensch steckt. Das mag damit zusammenhängen, dass Polizistinnen und Polizisten gelernt haben, auch angesichts von Ausnahmesituationen Ruhe zu bewahren und professionell zu handeln. - Die weichen Knie oder die quälenden Gedanken kommen oft erst nach dem Einsatz, dann wenn alles vorbei ist. Dann ist es gut, wenn jemand da ist, mit dem man reden kann.

 

Die Kirchen sehen sich in der Verantwortung für Menschen, die diesen besonderen Dienst für unsere Gesellschaft ausüben. Sie stellen deshalb den Polizistinnen und Polizisten Pfarrerinnen und Pfarrer zur Seite, die sie bei ihrer Arbeit begleiten, sie zu entlasten und zu unterstützen versuchen.

 

Polizeiseelsorge – nahe dabei statt mittendrin  

Und was macht eine Polizeiseelsorgerin nun? Sie besucht Wachen und Dienststellen, begleitet Einsätze und Streifendienste und sie nimmt an Trainings für Polizisten teil. Auf diese Weise erfährt sie eine Menge über den Alltag der Polizistinnen und Polizisten. Sie erlebt zum Beispiel, dass es an einem Tatort ganz anders zugeht als im Fernsehen. Sie weiß, wie es ist, sich in Gorleben nachts bei Eiseskälte die Beine in den Bauch zu stehen, um auf der Suche nach Demonstranten in den dunklen Wald zu starren.

 

Sie kennt auch die inneren Konflikte, die ausgelöst werden, wenn es gilt, die Versammlungsfreiheit einer rechtsradikalen Gruppierung schützen zu müssen. Und sie steht als Gesprächspartnerin für die Fragen zur Verfügung, die sich Menschen – auch solche in Uniform – an Einsatzorten stellen: den Fragen nach Frieden und Gerechtigkeit, nach der Hoffnung über den Tod hinaus, auch der Frage nach Gott. Sie begleitet Polizistinnen und Polizisten in persönlichen und dienstlichen Krisensituationen, erteilt berufsethischen Unterricht und feiert Gottesdienste für und mit Polizisten.

 

Polizeiseelsorge ist nahe dabei, aber sie gehört nicht dazu. Das ist sehr wichtig, denn Polizeiseelsorgerinnen und -seelsorger gehören weder ins polizeiliche System noch sind sie der polizeilichen Hierarchie unterworfen. Wer mit mir als Polizeiseelsorgerin reden möchte, kann dies tun, ohne irgendeinen Dienstweg einhalten zu müssen. Er kann sich darauf verlassen, dass ich strikt an meine seelsorgliche Schweigepflicht gebunden bin. Damit die Unterscheidbarkeit auch optisch gewährleistet ist, tragen Polizeiseelsorgerinnen und -seelsorger keine Uniform – höchstens, um der Erkennbarkeit bei Großeinsätzen willen, eine abgewandelte Uniformjacke mit dem Symbol der Polizeiseelsorge.     

 

Kirche an den wirklichen Tatorten des Lebens

Neben der Seelsorge an Polizistinnen und Polizisten gehören auch der Unterricht für Kommissarsanwärter an den Fachhochschulen und Seminare mit Dienstgruppen zum Auftrag der Polizeiseelsorge. Hier geht es um die Auseinandersetzung mit berufsethischen Themen, wie zum Beispiel: Was bedeutet es, im Dienst eine Waffe zu tragen und sie notfalls auch einsetzen zu müssen? Wie überbringt man eine Todesnachricht? Oder: Was bedeutet es, die Würde des Menschen auch in Extremsituationen zu achten und zu schützen? 

 

Für viele Polizistinnen und Polizisten ist die Begegnung mit der Polizeiseelsorge die erste Begegnung mit der Kirche nach Jahren. Häufig sind sie positiv überrascht, dass jemand "von außen“ Interesse an ihnen und an ihrer Arbeit zeigt. Und dann bin ich immer auch ein bisschen stolz darauf, einer Kirche anzugehören, die nicht darauf wartet, bis die Menschen zu ihr kommen, sondern sich aktiv auf den Weg dorthin macht, wo sie gebraucht wird. An Unfallstellen, zu Unglücksorten und in den manchmal so belastenden Arbeitsalltag - eben an die wirklichen Tatorte des Lebens.

 

Bianca van der Heyden

Polizeiseelsorgerin

 


 

Bianca van der Heyden ist seit 2009 Landespfarrerin für Polizeiseelsorge für den Bereich Düsseldorf. Dazu gehören die Polizeipräsidien Düsseldorf, Wuppertal und Mönchengladbach und die Kreispolizeibehörden Mettmann, Viersen und Neuss sowie die Autobahnpolizei im Regierungsbezirk Düsseldorf.