Wort zum Sonntag
Sehnsucht nach dem Heiligen Land
18.07.2015 10:00

Alltag, welcher Alltag?

Stille. Eine gespenstische Stille. Nur wenige Menschen sind in den engen Gassen zu sehen. Dort wo gestern noch Händler ihre Waren angeboten haben. Heute sind die Läden vorgeklappt. Am Vorabend gab es ein Attentat in Jerusalem. Ein Rabbi wurde verletzt. Als Reaktion darauf ist der Tempelberg abgeriegelt. Zum ersten Mal seit vielen Jahren ist es Muslimen nicht möglich dorthin zu kommen. Alle Zugänge in die Altstadt werden überwacht. Nur wenigen arabischen Kaufleuten ist es gelungen zu ihren Geschäften zu gelangen. Ein paar Gassen weiter im jüdischen Viertel geht das Leben seinen gewohnten Gang. An der Klagemauer herrscht großer Andrang. Die Gläubigen beten wie immer. Die Geschäfte und Restaurants sind geöffnet, die Gassen sind voller Menschen. Viele Familien feiern Bar-Mizwa und ziehen mit Musik umher. Das alles ist Alltag in der einen Stadt.

 

Hoffnung auf Frieden

Immer wieder hatte ich diese Israelreise aufgeschoben. Hatte gewartet auf ruhige Zeiten. Und vielleicht auch auf Frieden gehofft. Ein richtiges Ergebnis am Ende ungezählter Verhandlungen. Doch seit meinem ersten Besuch vor mehr als zwanzig Jahren haben sich die Themen nicht verändert. Gesucht wird noch immer: die eine Lösung für das Zusammenleben von Menschen. Ihr Glaube trennt und verbindet sie. Ihre religiösen Wurzeln lassen sich auf die gleichen Erzväter zurückführen. Ihre heiligen Orte liegen dicht beieinander, in einem nur wenige hundert Quadratmeter großen Gebiet um den Tempelberg. Zwanzig Jahre und keine Bewegung? Alles Reden und Verhandeln umsonst? Das kann nicht sein! Ich will es wissen. Ich will beide Seiten kennenlernen. Eindrücke sammeln, Erfahrungen.

 

Suche nach Normalität

In einer kleinen Gruppe mache ich mich auf ins Westjordanland. Ins Gebiet unter palästinensischer Selbstverwaltung. Bethlehem, Jericho, Ramallah. Alles an einem Tag. Unser Begleiter stammt aus Betlehem. Im Hauptberuf arbeitet er für die Vereinten Nationen. Von ihm lerne ich viel. Über Flüchtlingscamps der Palästinenser, die mittlerweile richtige Städte und Dörfer geworden sind. Nur noch die alten Hausschlüssel werden von Generation zu Generation weitergegeben. Sie erinnern an Häuser, die längst nicht mehr stehen. Unser Guide berichtet, wie das sogenannte Autonomiegebiet in Grundzügen funktioniert. Er ist frustriert, weil alles kompliziert und schwierig ist. Kontrollpunkte gehen oft quer durch Dörfer und Städte. Es ist schwer zu reisen und Arbeitsplätze sind einfach nicht da. Aber ich sehe auch Zeichen von Hoffnung. In Ramallah wird viel gebaut. Kräne ragen in den Himmel. Im Zentrum der Stadt sind Geschäfte und Cafés gut besucht. Regierungsgebäude zeugen von Selbstbewusstsein und Normalität. „Welcome to Ramallah!“ rufen mir die Menschen zu. Ihr Ausdruck von Hoffnung auf ein normales Leben in Palästina.

 

„Willkommen in der Hurva-Synagoge“ heißt es am nächsten Tag. Das Kontrastprogramm. Soldaten und Polizisten sichern Straßen, Plätze und Gebäude. Ich besuche einen ganz besonderen Ort im jüdischen Viertel der Jerusalemer Altstadt. Im Krieg 1948 wurde die Hurva-Synagoge zerstört und erst 2010 nach dem Wiederaufbau neu eingeweiht. Voller Leidenschaft erzählt die Begleiterin von der Geschichte des jüdischen Volkes, vom jüdischen Leben und dem Wiederaufbau des jüdischen Viertels. Die junge Frau ist studierte Mathematikerin. Für sie ist dieser Ort ihr Anker der Hoffnung auf ein Leben in Normalität in einem jüdischen Staat.

 

It’s a crazy Country und der Blick von außen

Was ist normal in diesem Land? Was ist hier ein Zeichen der Hoffnung? Ich bin verwirrt! Am letzten Tag der Reise komme ich mit einer Amerikanerin ins Gespräch. Jahr für Jahr fährt sie nach Israel, besucht Verwandte und Freunde. Natürlich fragt sie, was ich über das Land denke. Noch bevor ich selbst antworten kann, sagt sie: „It’s a crazy country, but I love it!“

 

Die Liebe zu diesem Land. Darum dreht sich alles. Sie spüre ich, ganz egal, mit wem ich wo spreche. Auf beiden Seiten. Die Liebe zu diesem Land, ist das die Lösung oder der Fluch? Ist das der Weg, der in ruhige Zeiten mündet, in das, was Frieden genannt werden kann? Ich hoffe es. – Wie wäre es, wenn es gelingen würde, die Liebe zum Land zu wecken und zu entdecken. Nicht zu einem getrennten. Sondern zu einem gemeinsamen Land. Das Heilige Land ist ein besonderer Teil der Welt, und die Liebe zu dem Land kann zu Gesprächen führen, zu Projekten, zu einem Markt, der in allen Teilen der Stadt geöffnet ist, zu einer Stadt ohne Attentate. Das wünsche ich mir. Ich wünsche mir, dass bei meiner nächsten Reise nach Israel das Heilige Land ein friedliches Land ist. Dann, wenn Liebe ein anderes Wort für Frieden ist.