Wie stellt ein Künstler die Personen der Bibel und des christlichen Glaubens dar? Der Künstler Wilhelm Groß hat es mit Holzfiguren getan, die für einige seiner Zeit eine Zumutung waren. Ein Beitrag der evangelischen Kirche.
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Der Kopf der knienden hölzernen Figur, brutal nach hinten gedrückt, versinkt fast in deren Schulter. Das Kinn des Mannes ist trotzig vorgestreckt. Der Mund so zusammengepresst, dass man meint, die in Schmerz und Anstrengung aufeinander mahlenden Zähne zu sehen. Oder zu spüren.
Es ist Christus im Gebetskampf vor seiner Verhaftung im Garten Gethsemane. Geschaffen hat die Figur der Bildhauer Wilhelm Groß in den Jahren 1920 bis 1922 als Mahnmal für die Opfer des Ersten Weltkrieges für die Berliner Gethsemane-Kirche. Dort steht sie heute noch.
Damals musste die Gemeinde zur Annahme der Figur mühsam bewegt werden. Sie sah in ihr eine Art Gotteslästerung. In ihrer expressionistischen Wucht, die das Ausmaß der Verlassenheit Jesu und den Kampf um die Annahme der Kreuzesmarter fast skandalös auslotet, war die Figur eine Zumutung. Erst durch die Intervention von Käthe Kollwitz wurde sie in der Kirche aufgestellt.
Ihr Schöpfer Wilhelm Groß war damals 39 Jahre alt. Er hatte in Berlin bei gestandenen Bildhauern gelernt. Bis zum Ersten Weltkrieg schuf er formschöne klassizistische und naturalistische Skulpturen, deren Oberfläche glatt und geschmeidig war: Porträtköpfe, Diskuswerfer, Frauengestalten, einen Mann, der eine Sichel dengelt. Christliche Themen waren die Ausnahme und bewegten den Künstler nicht sonderlich.
Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs gab es einen Bruch. Im ersten Kriegsjahr schrieb Wilhelm Groß in sein Tagebuch: "Dem Menschen sind alle bisher scheinbar ganz feststehenden Stützen genommen. Der Tod lässt seine mörderische Sichel nicht ruhen." In dieser Erschütterung fand er zum christlichen Glauben. So betrieb er während des Krieges vor allem Bibelstudien. Seine künstlerische Arbeit kam nahezu zum Erliegen.
Aber es reifte in ihm eine neue Ausdrucksform. Nach dem Krieg zeigten seine Figuren innere Kämpfe, Sehnsüchte und Nöte. Das Material, nun fast durchgängig Holz, wurde nicht mehr geglättet. Es blieb rau, die Spuren des Meißels waren erkennbar. Die Form der Skulpturen wurde kraftvoller und schroffer. Und von nun an galten seine Arbeiten fast ausnahmslos Figuren und Episoden aus der Bibel. Bevorzugt Jesu Passion, vor allem seinem Gebetskampf in Gethsemane. Das Ringen Jesu mit Verlassenheit und Todesangst stand für das Ringen des Menschen um Gott und sein Ringen um sich selbst, um sein Menschsein, seine Fähigkeit zum Mitfühlen, zur Wahrheit, zum Einsatz für andere.
1934 erregte seine Gethsemane-Gruppe - überlebensgroß: zwei hingeduckte schlafende Jünger und ein im Gebet stehender Jesus - große Aufmerksamkeit in der Akademie der Künste in Berlin. Die Kunstkritik pries das Werk in den höchsten Tönen. Aber es gab auch harte Anfeindungen, vor allem von Seiten der Nationalsozialisten. Sie schlossen ihn aus der Reichskulturkammer aus und erteilten ihm Ausstellungsverbot.
Öffentliche Aufträge entfielen somit. Groß trat mit seiner Frau der Bekennenden Kirche bei – der Gemeinschaft von Evangelischen, die die Kirche vor dem Nationalsozialismus schützen wollten. Er wurde ihr bevorzugter Künstler und sorgte mit Arbeiten für sie mühsam für sich, seine Frau und die sechs Kinder. Immer wieder schuf er Propheten – und Christusfiguren, die symbolisch für den Kampf der Bekennenden Kirche in der NS-Zeit ebenso wie für den Überlebenskampf des Christentums in dieser Zeit überhaupt standen. Daneben hielt er als Laienprediger in seinem Atelierhaus in Eden bei Oranienburg, das heute noch existiert, Andachten, Gottesdienste und Bibelstunden.
Nach dem Zweiten Weltkrieg ordinierte ihn die Bekennende Kirche im August 1945 zum Prediger,. Groß war fortan als Pfarrer in Sachsenhausen bei Berlin und umliegenden Orten tätig. Sein Wirken als Künstler beschränkte sich auch jetzt wesentlich auf den kirchlichen Raum. Das hatte vor allem mit seinem kritischen Verhältnis zur DDR zu tun. So schuf er im Jahr des Mauerbaus eine Mose-Figur mit den Gesetzestafeln, auch als Protest gegen die 1958 von Walter Ulbricht verkündeten "Zehn Gebote der sozialistischen Moral".
Sie ist heute in der Epiphanienkirche in Berlin-Charlottenburg zu sehen, wie überhaupt viele seiner Arbeiten in Kirchen Aufnahme fanden. Die Gethsemane-Gruppe, die unter den Nationalsozialisten zum Verbot seiner Arbeit führte, wurde damals, um nicht zerstört zu werden, versteckt. Zunächst im Martin-Luther-Krankenhaus in Berlin. Dann kam sie nach Utrecht in den Niederlanden. Heute steht sie in der Oranienburger Nicolaikirche.
Oftmals fand Wilhelm Groß in Naturphänomenen, bevorzugt in Bäumen, die Gestalten seiner Skulpturen vorgeprägt. Was er darin entdeckte, hatte er zuvor schon geschaut. In intensivem Studium der Bibel, ihrer Worte und Gestalten hatte er diese in seinem Inneren ausgeprägt, sie geradezu eingesogen, in sich gekerbt, wie er sie dann in das Holz der Bäume kerben würde.
In harter körperlicher und geistig-seelischer Arbeit rang er sie dem Material ab. Was er zuvor innerlich erfahren hatte, setzte er äußerlich um. Man kann sagen, er erlitt seine Skulpturen.
Wilhelm Groß wollte mit seinen Skulpturen erschüttern und aufrütteln: diejenigen, die sie sehen sollten, und, so hoffte er wohl, Gott ebenso. An ihn richteten sie sich auch - verbunden mit der tiefen Bitte, den Menschen zu helfen, mit dem erlebten Grauen fertig zu werden. Oder wie es der evangelische Pfarrer und Kunsthistoriker Curt Horn über die kniende Figur des betenden Christus in der Gethsemane-Kirche sagte:
"Wer über den leidgespannten Rücken des Gethsemane-Christus fährt, fühlt ihn wie einen Bogen, von dem ein Pfeil mitten in Gottes Herz fliegt."
gemeinfrei via flickr / Styrian Summer Art
Passionsgeschichte
Die Gethsemaneskulpturen von Wilhelm Groß. Ein Beitrag der evangelischen Kirche
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