gemeinfrei via fundus / Benno Hofacker
Wie es ist, die Religion zu wechseln. Was treibt einen Menschen dazu, alles, was er bisher für wahr gehalten hat, aufzugeben und sich einem neuen Glauben anzuschließen? Eine faszinierende Reise durch die Jahrhunderte zu jenen dramatischen Augenblicken, in denen sich ein Menschenleben für immer wandelt.
Konversion
Wie es ist, die Religion zu wechseln
14.09.2025 08:35

Was treibt einen Menschen dazu, alles, was er bisher für wahr gehalten hat, aufzugeben und sich einem neuen Glauben anzuschließen? Eine faszinierende Reise durch die Jahrhunderte zu jenen dramatischen Augenblicken, in denen sich ein Menschenleben für immer wandelt.


Sendetext nachlesen:

"Mit was für Hieben geißelten meine Gedanken nicht meine Seele, damit sie mir, der ich Dir nachzufolgen versuchte, gehorche? Sie bockte, versteifte sich und wusste dafür keine Entschuldigung. Alle guten Gründe waren erschöpft und widerlegt, ihr blieb nur ein stummes Zittern, sie fürchtete wie den Tod, dem Fluss der Gewohnheit zu entsagen, die sie doch bis zum Tod erschöpfte."

Diese Worte schrieb Augustinus in seinem berühmten Buch "Bekenntnisse". Er schilderte darin seinen Weg vom philosophisch geschulten Rhetoriker zum gläubigen Christen. Diese Konversion oder Umkehr vollzog sich in vielen Stationen. Seelische Erschütterungen begleiteten sie. Augustin beschreibt sie: Er zitterte innerlich. Der Schritt zum Christentum stand für ihn bevor. Aber er hatte Angst, sich von seiner bisherigen Gewohnheit zu lösen. 

Eine Konversion ganz anderer Art widerfuhr Johannes Evangelista Goßner. Den wortgewaltigen Prediger im frühen 19. Jahrhundert trieb die Unzufriedenheit mit dem Christentum seiner Zeit. Er beklagte:

"Zwar scheint jetzt die ganze Welt voll Christen zu sein, und sie ist auch voll - von Maul- und Namenchristen - aber der lebendig gläubigen Christen, wie sie Christus will, sind leider jetzt sehr wenige. Dagegen ist ein Christentum aufgekommen und allgemein herrschend geworden, welches diesen ehrwürdigen Namen nicht nur nicht verdient, sondern ihn schändet und brandmarkt unter allen Nationen der Erde." 

Goßner wollte das Christentum erneuern und setzte dafür auf das persönliche Ergriffensein von Jesus. Herz und Gefühl sollten angesprochen werden, die Religion nicht allein auf den Verstand begründet sein. Die angestrebte geistliche und soziale Lebenswende der so "Erweckten" zeigte sich in innerlicher Religiosität und tätiger Nächstenliebe. Dafür arbeitete der Priester Goßner zunächst erfolgreich. 

Aber seine katholische Kirche verdächtigte ihn, ein verkappter Protestant zu sein, auch, weil ihm eine Art überkonfessionelles Christentum vorschwebte. Sie erteilte Goßner erst ein zeitweiliges Predigt- und Seelsorgeverbot, schließlich Berufsverbot. Schon vorher hatte er mehrfach erwogen, seine Kirche zu verlassen. Nun vollzog er den Übertritt in die evangelische Kirche. Goßner forderte die Entscheidung für Christus und Konsequenzen im Glaubens- und Lebensvollzug. 

Ein weiteres Beispiel für einen Menschen, der die Art des christlichen Glaubens verändern wollte, ist der evangelische Theologe Friedrich Schleiermacher. Er wollte den Zugang zum Christentum erleichtern. Dafür nahm er ihm, was Anstoß erregen kann. Philosophiehistoriker Wilhelm Schmidt-Biggemann erläutert:

"Für Schleiermacher ist die Gottessohnschaft Christi ein theologisches Dogma, das er nicht mehr im vollen Umfang akzeptieren kann. Das zweite ist: Der Kreuzestod ist für Schleiermacher kein Erlösungstod mehr. Das ist eine Auflösung der Klammer, die Paulus schon für den Kreuzestod und die gesamte Heilsgeschichte eingeführt hat, dass nämlich das Kreuz und der Tod am Kreuz die Erlösung von der Ursünde Adams ist. Sodass von dem alten Christentum so etwas übrigbleibt wie eine Gefühlsreligion der Abhängigkeit vom Göttlichen."


Schleiermacher hatte Jüdinnen und Juden seiner Zeit im Blick. Ihnen wollte er die Konversion erleichtern. Mit Erfolg. Eine beträchtliche Zahl nahm Anfang des 19. Jahrhunderts den evangelischen Glauben an. Unter anderem fast die gesamte Familie Mendelssohn. Und der Dichter Heinrich Heine. Er hoffte, auf diesem Weg die volle Teilnahme an der von ihm geschätzten europäischen Kultur und eine berufliche Perspektive zu erlangen. Aber weder die angestrebte Niederlassung als Anwalt noch eine akademische Laufbahn in Berlin oder München kamen zustande. Seine eher pragmatische Konversion war gescheitert. Dafür wandte er sich in den letzten Lebensjahren dem Judentum, seiner ursprünglichen Religion, zu. In seinem Testament bekannte Heinrich Heine seinen Glauben an einen einzigen, ewigen Gott und Schöpfer der Welt und bat ihn um Gnade für seine Seele. Zwei Jahre vor seinem Tod drückte er seine Wandlung in seinem Buch "Geständnisse" auf gewohnt ironische Weise aus:

"Der große Autor des Weltalls, der Aristophanes des Himmels, wollte dem kleinen irdischen, sogenannten deutschen Aristophanes recht grell dartun, wie die witzigsten Sarkasmen desselben nur armselige Spöttereien gewesen im Vergleich mit den seinigen, und wie kläglich ich ihm nachstehen muss im Humor, in der colossalen Spaßmacherei. Ja, die Lauge der Verhöhnung, die der Meister über mich herabgeußt, ist entsetzlich, und schauerlich grausam ist sein Spaß. Demüthig bekenne ich seine Überlegenheit, und ich beuge mich vor ihm im Staube." 

Heinrich Heines Konversion zum Protestantismus missglückte. Er fand zurück zu seinen jüdischen Wurzeln. 

Anders erging es mehrere Jahrhunderte früher dem Juden Paulus Ricius, der 1505 mit 25 Jahren zum Christentum konvertierte. Die Gründe dafür kennen wir nicht. Bekannt ist aber, dass sich der gelehrte Arzt und Philosoph um eine Annäherung zwischen seiner neuen und seiner vorigen Religion bemühte. Im Unterschied zu vielen Konvertiten, die ihr altes Leben als vorrangig negativ beschreiben. Als Bindeglied sah er die mystischen Schriften der jüdischen Kabbala des Mittelalters. Seinen Ansatz beschreibt Philosophiehistoriker Wilhelm Schmidt-Biggemann:

"Er ging davon aus, dass er als ein sprachlich hochbegabter Mann die jüdische Kabbala und die christliche Theologie miteinander versöhnen könne und so die Kabbala als eine Brücke zwischen Christentum und Judentum aufbauen sollte. Das hat dem Kaiserhaus so imponiert, dass Maximilian ihn an seinen Hof in Augsburg gezogen hat."

Hier war Ricius eine Art Hofkabbalist und Leibarzt. 

Wir machen einen Zeitsprung hinein ins 20. Jahrhundert zum Schriftsteller Alfred Döblin - dem Autor von "Berlin Alexanderplatz" und Erneuerer des Romans. Ihm drängte sich das Rätsel Gott auf. Er versuchte sich ihm zu entziehen. Vergeblich. Vor allem der gekreuzigte Jesus ließ ihn nicht los. Immer wieder sann der jüdische Agnostiker über ihn nach. Seit Februar 1933 im Exil, begegnete er Christus auf besondere Weise 1940 in der Kathedrale der französischen Stadt Mende. Mit Blick auf das Kruzifix in der Kirche rang er mit ihm, befragte ihn, erhoffte Antwort, erfuhr Ablehnung, aber auch Momente der Nähe. Döblin erzählt:

"Wer wäre demnach Jesus, der, der dort am Kreuz hängt? Ich habe ihn oft vergeblich angesehen. Meine Blicke gingen hin und kamen leer wieder. Er ist Gott, er ist ein- und dasselbe mit dem einigen Urgrund. Er ist die ganze Deutlichkeit, die herausgestellte Deutlichkeit in Bezug auf die Welt und auf uns. Er ist der Ruf, der uns von den beiden Abgründen zurückreißt, zwischen denen unsere Existenz verläuft: zwischen dem, der in den Sumpf des kreatürlichen Vegetierens fährt, und dem der Verzweiflung." 

So hielt Döblin den Grund für seine Konversion zur katholischen Kirche in seinem Buch "Schicksalsreise" fest. Er vollzog sie am 30. November 1941 in Hollywood im US-amerikanischen Exil. Konversionen bieten nicht nur Erkenntnis und neues Leben. Sie verlangen oft auch einen Preis von denen, die sie vollziehen. Im Fall Döblins war es der beißende Spott von Schriftstellerkollegen, angefangen bei Bertolt Brecht über Gottfried Benn bis hin zu Günter Grass. Für sie konnte ein gläubiger Mensch kein akzeptabler Schriftsteller mehr sein. Ihre Stellungnahmen führten dazu, dass Döblins literarisches Exil- und Spätwerk lange Zeit kaum gewürdigt wurde. Er nahm das hin. Er wusste, dass der Glaube für den Bekehrten mehr Aufgabe als Besitz bleibt. Döblin schrieb:

"Wir, erwachsen, müssen uns quasi Gott erobern, müssen Ihn uns erringen im Kampf gegen unsere Wahrnehmungen, gegen Vernunfttheorien und Logik. Und wie der Engel, mit dem Jakob rang, ergibt er sich nicht leicht. Es muß gelitten und erfahren werden. Umgeschmiedet und umgegossen muß man werden. Gott versteckt sich vor uns? Nein, Mauern errichten wir zwischen Ihm und uns."

Konversionen sind als vielgestaltiges Phänomen recht vertraut. Aber es gibt sie im großen Stil erst, seit es Christen gibt. Die heidnische Antike kannte sie nicht. Sie setzte auf Assimilation, war äußerst flexibel bei der Annahme neuer Götter und Kulte. Die Strenge der Entscheidung, die den Wechsel zum Christsein verlangte, das strikte Entweder-Oder befremdete, zog aber auch an. Und die Lebenspraxis der Christen: ihre kostenlos gewährten Heilungen; ihre Fürsorge für Arme, Kranke, Witwen, Waisen, Gefangene und die Übernahme der Bestattungskosten für mittellose Gemeindeglieder; die soziale Gleichheit bei ihren Mahlfeiern. In all dem erwies sich für die Christen die Wirklichkeit ihres Gottes und Erlösers nach außen und innen. Dass manche von ihnen den Tod für ihn nicht scheuten, erhöhte die Achtung vor ihnen. So konnte der zum Christ gewordene Philosoph Justin im zweiten Jahrhundert nach Christus schreiben:

"Auch ich selbst kam, als ich noch in Platons Lehren meine Befriedigung fand und von den verleumdeten Christen hörte, beim Anblick ihrer Furchtlosigkeit vor dem Tode und allem anderen, was für entsetzlich gilt, zu der Einsicht, daß sie unmöglich in Lasterhaftigkeit und Sinnenlust befangen sein könnten. Denn welcher Lüstling oder Schlemmer könnte wohl den Tod willkommen heißen, um so seiner Genüsse verlustig zu gehen?"

Zwei Ausnahmen verstörten die leichtfüßige Götterwelt der Antike: der Monotheismus der Juden und einzelne Philosophen. Deren engagierte Wahrheits- und Gottessuche und ihre Sorge um das Wohl der Seelen brachte manche von ihnen in Konflikt mit ihrer Umwelt. Sokrates ist der bekannteste. Als ihm angeboten wurde, der Todesstrafe zu entgehen, wenn er das Philosophieren und vor allem das Verbreiten seiner Erkenntnisse ließe, soll er geantwortet haben:

"Ich will lieber dem Gotte als euch gehorchen, und nicht ablassen zu philosophieren, euch zu mahnen und jeden von euch, den ich antreffe, zu überführen. Denn, wenn ich umhergehe, tue ich nichts anderes, als euch zu überreden, nicht mehr so sehr für den Leib zu sorgen noch für das Geld, sondern mehr für die Seele und dafür, daß sie möglichst gut werde." 

Es ist die Wahrheitssuche, verbunden mit dem Bedürfnis nach einem neuen moralischen Wandel, die die philosophische Konversion und die Konversion zum Christentum gemein haben. Auch alle nachfolgenden Konversionen sind fortan davon geprägt, seien es solche zwischen Religionen, zwischen Konfessionen oder solche vom Agnostizismus zum Glauben. Häufig erleben Konvertiten ihren Schritt als Erleichterung, als glückliche Ankunft, als Freude. Wie Augustinus, der am Ende seiner langen Suche, nachdem er einen Vers aus dem Römerbrief gelesen hatte, feststellt:

"Kaum hatte ich den Satz zu Ende gelesen, ergoß sich wie ein Licht die Gewißheit in mein Herz und alle Schatten des Zweifels waren zerstoben."
 

Es gilt das gesprochene Wort.
 

Musik der Sendung:
1. Franz Schubert: Piano Trio B-Dur, Andante con un poco mosso
2. Kroke, Seventh Trip: Papillon
3. Arvo Pärt, Te Deum: Kyrie
4. Franz Schubert: Arpeggione Sonata A-Moll, Adagio

Literatur der Sendung:
1. Zitat von Aurelius Augustinus, Bekenntnisse. Aus Christian Heidrich: Die Konvertiten
2. Zitat von Johannes Evangelista Goßner. Aus Hans Lokies: Goßner-Wort
3. Zitat von Heinrich Heine, Geständnisse. Aus Christian Heidrich: Die Konvertiten
4. Zitat von Alfred Döblin, Schicksalsreise. Aus Christian Heidrich: Die Konvertiten
5. Zitat von Alfred Döblin, Der unsterbliche Mensch. Aus Christian Heidrich: Die Konvertiten
6. Zitat von Justin, Zweite Apologie. Aus Christian Heidrich: Die Konvertiten
7. Zitat von Platon, Die Apologie des Sokrates. Aus Christian Heidrich: Die Konvertiten
8. Zitat von Aurelius Augustinus, Bekenntnisse. Aus Christian Heidrich: Die Konvertiten