Toten- und Ewigkeitssonntag. Erinnerung an die Verstorbenen, Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod. Wie sieht das aus? Die frühen Christen in den Katakomben Roms haben es in Bildern ausgemalt.
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Letzter Sonntag im November. In der evangelischen Kirche ist Toten- und Ewigkeitssonntag. Gedenken der Verstorbenen. Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod. Wie kann man sich das vorstellen? Die frühen Christen haben es sich ausgemalt auf den Bildern in den Katakomben Roms. Joann Abdu Rahman war dort:
Es ging ganz schön in die Tiefe. Und an den Wänden schon überall Einritzungen von den Menschen damals. Sehr viele Einritzungen hab ich gesehen, sehr viele Gräber, Kindergräber, übereinander. Das war schon sehr schwer, dort nicht emotional zu werden, weil als Christ, wenn du siehst, dass dort die ersten Christen begraben worden sind, spürst du auch etwas und das nimmt dich auch etwas mit.
Joann Abdu Rahman war ergriffen vom Anblick der vielen Gräber. Er ging durch die schmalen hohen Gänge, wo sie ab dem zweiten Jahrhundert nach Christus in mehreren Schichten übereinander im Tuffgestein angelegt worden waren. Und sah auch die Cubicula genannten Grabkammern.
Joann Abdu Rahman:
Da war zum Beispiel ein Raum mit einem Wandgemälde vom Zeichen vom Wal von Jona. Und das symbolisiert ja quasi die Auferstehung, weil Jona eben nach drei Tagen aus dem Fisch ausgespuckt worden ist.
Das Bild auf der Wand der Grabkammer zeigt ein Meerestier, das einen Mann aus seinem Maul schleudert, so wie es in der biblischen Geschichte vom Propheten Jona erzählt wird. Ins Meer geworfen von Seeleuten, weil sein Ungehorsam gegen Gott einen schweren Sturm ausgelöst hatte, wurde Jona von einem großen Fisch verschlungen und nach drei Tagen ausgespien. Im Matthäus-Evangelium deutet Jesus diese Erzählung auf seinen Tod und seine Auferstehung. So wie Jona drei Tage im Bauch des Fisches verbringt und dann an Land gespuckt wird, so wird Jesus nach drei Tagen vom Tod auferstehen. Der heutige Christ Joann kennt das und konnte die Malerei in den Katakomben deuten. Das konnten auch die frühen Christen in Rom. Auf den Katakombengräbern sahen sie den Propheten nicht nur, wie er aus dem Bauch des Meerestieres freikommt. Wie Archäologe Norbert Zimmermann erklärt, gab es von Jona mehrere Bildtypen in den Katakomben.
Norbert Zimmermann:
Der Meerwurf, also das Hineinwerfen in den Rachen; die Ausspeiung, dass er also wieder herausfliegt; und die Ruhe unter der Laube. Also es geht hauptsächlich um: Dem Tod anvertraut werden, den Tod überwinden, das Ausspeien und dann diese Art Todesschlaf, wo man natürlich denkt, das ist so diese Art des Todesschlafes, wie die Toten dort auch ruhen, bis sie zum Jüngsten Gericht auferweckt werden. Das, was also jeder dort möchte, so schlafen wie Jona und dann wiederauferweckt werden.
Das Jona-Motiv war eines der frühesten auf den Katakombenbildern in Rom, auch eines der beliebtesten und am meisten verwendeten. Die eigentliche Geschichte des Propheten spielte dabei keine Rolle: Seine Weigerung, die Stadt Ninive zur Buße für ihre Vergehen zu rufen, seine Flucht vor diesem Auftrag Gottes und was dem folgte. Wichtig waren nur die Bezüge auf Sterben, Tod und Wiedererweckung. Oft wurde nicht der ganze Zyklus gemalt. Stattdessen nur ein Bild, häufig die sogenannte "Jonasruhe", die den Propheten ruhend unter einer Laube aus Kürbissen zeigt. Diese Darstellung erinnerte an ein verwandtes Motiv, wie der Archäologe Tomas Lehmann erklärt:
Er ruht da ganz still und genauso hingelegt wie der heidnische Heros Endymion., der immer nachts sich mit der Mondgöttin Selene vereinigte. Und dann zum Leben da kam und dieser Heros wird genauso in der Ruhephase so gelegt und wartend auf die Göttin, die Mondgöttin, die manchmal auch dabei war, aber manchmal ist es auch nur der ruhende Endymion.
Dem konnte die Darstellung des ruhenden Jona täuschend ähnlich sein. Weil die christlichen
Grabmalereien im Umfeld der heidnischen Bilderwelt entstanden, kam es zu solchen Irritationen. Denn auch bei biblischen Motiven wurde in der Gestaltung der Malereien auf antike Vorbilder aus der griechisch-römischen Mythologie zurückgegriffen. Wie im Fall des ruhenden Jona auf die des Helden Endymion. Obwohl die frühen Christen sich um größtmögliche Distanzierung von der heidnischen Umwelt bemühten und bestrebt waren, Anklänge an sie zu vermeiden.
Ulrich Volp:
Gleichzeitig sind natürlich die Handwerker, also die Künstler, die hier engagiert werden, an diesen Motiven trainiert. Also man kann jetzt nicht davon ausgehen, wenn man sagt, also ich möchte jetzt nicht irgendwie eine heidnische mythologische Darstellung, sondern ich möchte gern eine biblische Szene dargestellt haben, kann man nicht davon ausgehen, dass das furchtbar anders aussieht.
Bemerkt der Theologe Ulrich Volp. Die Grabmalereien wurden von den Fossores ausgeführt, die die Gräber in die Wände schlugen. Oder es wurden Künstler damit beauftragt. Beide Berufsgruppen waren in der Darstellung heidnischer Motive geschult. So fanden diese Eingang in christliche Grabbilder. Neben formalen Ähnlichkeiten wurden aber auch antike Motive von den Christen übernommen und umgedeutet. Vor allem der Schafträger, eine Gestalt, die in der Antike sehr beliebt war und die das Hirtenleben verklärt: ein Hirte mit einem Lamm auf der Schulter. Im Johannesevangelium bezeichnet sich Jesus als Guten Hirten, der sein Leben für seine Schafe gibt. Ihn sahen die Christen nun im Schafträger. Er würde sie nach dem Tod zu sich nehmen und so behutsam in die Ewigkeit tragen wie ein Hirte sein Lamm. Dieses Motiv wurde oft in den Katakomben verwendet. Archäologe Norbert Zimmermann gibt ein Beispiel:
In Domitilla gibt es tolle Fresken überm Grab, wo die Verstorbenen, also das verstorbene Ehepaar, sich direkt unter die Schafe der Herde des Guten Hirten hineinstellen, die betend den Guten Hirten anschauen. Also ganz eindrücklich das private Gebet: Ich möchte Teil sein der Herde des Guten Hirten.
Christus als Guter Hirte in Gestalt des antiken Schafträgers ist die älteste Christusdarstellung überhaupt - weit vor Kreuzigungsbildern. Christus ist bartlos dargestellt. Für die frühen Christen drückte dieses Bild-Motiv ihr Vertrauen darin aus, aus dem Tod errettet zu werden. Ohne die Bedrohung durch den Tod zu zeigen. Diese wurde auf Bild-Motiven aus dem Neuen Testament vor Augen geführt: in Darstellungen, wie Jesus heilt, und vor allem, wie er den gestorbenen Lazarus auferweckt. Aus dem Alten Testament dienten dafür neben dem Propheten Jona: Isaak, den Abraham opfern will; Noah in der Arche; die Jünglinge im Feuerofen, Daniel in der Löwengrube. Sie alle werden von Gott aus Todesgefahren gerettet. Ihre Darstellung drückte deshalb die Hoffnung auf das Leben nach dem Tod aus.
Tomas Lehmann:
Dazu muss man wissen, dass die Szenen, die wir in den Katakomben finden oder auf den Sarkophagen, dass diese teilweise das abbilden, was in gleichzeitigen Gebeten formuliert wurde. Da heißt es dann: Ich möchte errettet werden wie der Daniel aus der Löwengrube. Ich möchte errettet werden wie Jonas aus dem Walfisch. Ich möchte errettet werden wie Lazarus.
Diese Gebets-Wünsche, die der Archäologe Tomas Lehmann erwähnt, verbanden die frühen Christen mit der Hoffnung auf die Auferweckung aus dem Tod. Sie bezogen sie auch auf die Errettung und Erlösung aus den Mühen des irdischen Lebens und der eigenen Sündhaftigkeit: ihrer Gottesferne und den Folgen ihrer Verfehlungen. Besonders anschaulich wurde die Auferweckung aus dem Tod in der Erweckung des Lazarus. Archäologe Norbert Zimmermann sieht in diesem Motiv …
… das Bild par excellence, weil die Gestalt des Lazarus in dieser Wickelmumie, in der sie dargestellt wird, genauso aussieht wie die Verstorbenen, die gerade bestattet werden, aussehen, das heißt also, die Aktion, einen solchen Leichnam aus seinem Grab herauszurufen bildlich, ist sozusagen das engste Motiv, was man sich vorstellen kann: Jesus ruft einen verstorbenen Menschen direkt aus seinem Grab heraus. Und das ist natürlich das eindrücklichste Symbol oder Wunschbild für den Verstorbenen, der dort liegt, dass er genauso aus dem Grab wieder herausgerufen wird.
Eine Bestätigung dieser Erwartung drückt sich in den Grabinschriften aus:
Norbert Zimmermann:
Man schreibt den Namen der Verstorbenen drauf und verbindet das vor allen Dingen mit zwei Textformeln, nämlich "dep" für "depositus" oder "deposita" - das heißt, man geht davon aus, dass jemand nur kurzfristig oder für einen gewissen Zeitraum dort niedergelegt ist, aber nicht dort bleiben soll. Und das andere ist "en pace" oder "in pace", also dass man dort in Frieden ruht, nämlich im christlichen Frieden.
Der Glaube an eine persönliche Auferstehung war völlig neu in der Antike. Ebenso neu war die Fürsorge der christlichen Gemeinde, die für alle, auch für mittellose Christen, einen Grabplatz bereitstellte. Solche Menschen wurden früher in Massengräbern bestattet. So sind unter den hunderttausenden Wandgräbern in den Katakomben viele Armengräber. Sie zieren keine Bilder.
Die finden sich überhaupt kaum an den Wandgräbern, mehr in den Grabkammern. Unter Bezug auf die Totenruhe bis zur Auferstehung wurden diese cubicula, Schlafkammern, genannt. Aber Inschriften gab es auch an Wandgräbern. Der Theologe Ulrich Volp stellt zwei von ihnen vor:
Auf der einen steht: Wir haben dich mit Psalmen zur ewigen Ruhe überführt. Also da hört man geradezu, was da in der Bestattung passiert ist. Man hat tatsächlich gesungen. Und auf einer anderen Grabverschlussplatte steht: Wir singen dir - also im Sinne von jetzt regelmäßig - Hymnen, also Kirchenlieder, was auch wieder darauf hinweist, dass man vielleicht vor dieser Grabverschlussplatte stand und gesungen hat, entweder an einem allgemeinen Festtag für die Toten oder am Jahrestag des Todes, man hat sich versammelt und hat gesungen.
Während sich die Heiden am Geburtstag ihrer Verstorbenen am Grab versammelten, fanden sich die Christen am Todestag dort zusammen. Denn der galt ihnen als Tag der Geburt eines neuen Lebens. Sie sahen den Tod positiv. Das drückten auch die Bilder und Inschriften an den Katakombengräbern aus. Selten kommt ein Gefühl wie Trauer vor. Eine Ausnahme ist eine Bild-Variante der Jonasruhe, die im vierten Jahrhundert nach Christus entstand. Hier sind die Kürbispflanzen an der Laube vertrocknet. Vielleicht in Anspielung auf die Prophetengeschichte: Dort belehrt Gott den störrischen Jona, indem er den Strauch, der ihm Schutz vor der Sonne bietet, eingehen lässt.
Norbert Zimmermann:
Dann ist er davon betroffen und weint und trauert. Der sitzt so mit übereinander geschlagenen Beinen und greift sich ans Kinn. Das ist dieser antike Trauergestus und reflektiert sozusagen über die in seinem Hintergrund vertrocknet hängende Kürbislaube oder die Kürbisse, die da vertrocknet hängen und keinen Schatten mehr spenden.
Die Bilder überwiegen, die der Zuversicht auf die Rettung aus dem Tod Ausdruck verleihen. Zusammen mit den darauf bezogenen Gebeten. Daraus ergab sich, meint Norbert Zimmermann, …
… so eine Art ewiges Gebet, was man um das Grab dann herum anordnet. Und mindestens zweimal im Jahr sind die Angehörigen ans Grab gekommen - also am offiziellen Totengedenktag im Frühjahr, und am Sterbetag, also dem Tag zur Geburt des neuen Lebens geht man sicherlich ans Grab und wird genauso auch gebetet haben. In der festen Annahme, dass der Tod nicht das Ende ist, sondern man hat sozusagen die Verbindung wieder gesucht zu dem auf der anderen Seite Lebenden in der Erwartung einer zukünftigen Wiedervereinigung oder Wiedereinigung.
Es gilt das gesprochene Wort.
Musik dieser Sendung:
1. Arvo Pärt, Silouan´s Song
2. Arvo Pärt, Symphony No. 3, attaca
3. Arvo Pärt, Symphony No. 3, Più mosso-attaca
4. John Tavener, Funeral Ikos