Dirk van Nayhauß
Man muss es spielerisch nehmen
Zum 10. Todestag der Schriftstellerin Gabriele Wohmann
22.06.2025 08:35

Sie gilt als die Königin der Kurzgeschichte, die Schriftstellerin Gabriele Wohmann. Die Figuren in ihren Erzählungen malen sich immer wieder mal den Himmel aus. Darum wollte unser Autor wissen: Wie stellt sich Wohmann den Himmel vor? Die Antwort ist überraschend konkret. 

Sendetext nachlesen:

Vor 15 Jahren war ich zu Gast bei Gabriele Wohmann, einer Liebhaberin der Musik Johann Sebastian Bachs. Besser bekannt ist sie als Schriftstellerin, die einige Superlative umweht. Ihr Werk wird schon mal in einer Reihe mit Schiller, Goethe, Thomas Mann genannt. In den Schulen liest man seit Jahrzehnten Erzählungen von ihr. Sie gilt als Königin der Kurzgeschichte. Gerühmt wird sie also dafür, sich literarisch auf meisterhafte Weise kurz zu fassen. Dennoch hat die Autorin das wohl umfangreichste Werk seit dem Krieg in Deutschland geschaffen. Mehr als 100 Bücher hat sie veröffentlicht. Heute vor zehn Jahren ist sie in Darmstadt gestorben.

Ich habe Gabriele Wohmann mehrere Male besucht in Darmstadt in ihrem Haus im Park Rosenhöhe. Denn ich habe mit ihr an einem Buch gearbeitet, in dem es um nicht weniger als das Höchste geht: den Himmel. Die Figuren in ihren Büchern malen sich immer wieder einmal aus, was nach dem Tod kommen könnte: verblüffend konkret, wenn sie sich etwa fragen, was die geliebten Toten essen oder was die ideale Frisur fürs Jenseits ist. Darum kam ich auf die Idee, Gabriele Wohmann nach ihren Träumen vom Himmel zu fragen.

Die Tochter eines evangelischen Pfarrers gilt als große Realistin. Trotzdem mag sie Gedankenspiele. Diese Spielereien kommen immer wieder, sagt sie. Sie tun ihr gut:

Gabriele Wohmann:
Deshalb lasse ich sie auch zu und male sie aus, bis ich dann an einen Punkt komme, da sag ich mir: Jetzt kann ich nicht weiter. Hier wird’s zu unwahrscheinlich. Das ist ja alles nur mein menschliches Ermessen. Friede Gottes, welcher höher ist denn alle Vernunft. Alle Vernunft hier in unseren Köpfen versagt ja. Versagt ja sowieso dauernd. Warum nicht ein bisschen spielen? Wenn‘s doch gut tut. Cicero hat ja auch gesagt. Wenn es Gott nicht gegeben haben sollte dann schließlich, so bin ich doch vorher glücklich gewesen. Und nachher? Das ist dann egal. Vorher mit Gott und all meinen Fantasien, so war ich wenigstens vorher nicht unglücklich.

Bei meinen Gesprächen mit Gabriele Wohmann ging es aber nicht nur um die Ewigkeit. Denn es geschah noch etwas Anderes, das mir rückblickend fast noch faszinierender erscheint. Ich fragte die damals fast 80-Jährige nach dem Himmel. Sie aber antwortete, indem sie vom Alltag erzählt. Mit ihm staffiert sie ihre Himmelsträume aus. Dadurch jedoch verändert sich umgekehrt auch der Blick auf den Alltag. Er bekommt Himmlisches ab, begann in manchen Momentan zu glänzen, wirkte sogar selbst dann noch leicht, wenn es zum Jammern war. Etwa die Krankengymnastik.

Gabriele Wohmann:
Keine Spur von Himmel zu erblicken. Zuerst muss ich aufs Laufband. Dann stellt mein Therapeut immer so viele Fragen zur Literatur, zur Biographin und was weiß ich nicht alles. Und ich bin immer mehr außer Atem: (stellt nach): "Ich muss immer …." -  "Ja, ähm, die Biographin ist immer noch beim Umzug." Und nach dem Laufband kommt die Beinpresse, man muss schwere Gewichte mit den Beinen hin und herschieben. (stöhnt dramatisch) Es ist alles so unbequem! Und ganz schlimm ist das Schaukelbrett, da ist unten ein gewölbtes Teil, darauf ein Brett, da stehe ich mit dem Physiotherapeuten drauf, Hand festgehalten, mach so hin und her – für die Balance. Zugmaschine geht ja noch. Trampolin ist auch unangenehm. Alles, wo ich keinen festen Boden drunter habe, ist sehr unangenehm, weil ich ja schon auf normalem Boden nicht gut stehen kann. (stöhnt dramatisch).

Gabriele Wohmann war schon als junge Frau keine Freundin von Sport, Stadien, Massenaufläufen. Viel lieber widmet sie sich dem Essen. Und auch da kommt ihr spielerischer, fast kindlicher Blick zum Zuge.

Gabriele Wohmann:
Nach meiner schrecklichen Physiotherapie, die ich morgen wieder habe, gehen wir meistens zu einem Italiener gegenüber und da sind wir immer sehr willkommen. Da wird gleich gebrüllt: Signori Wohmann, Buongiorno!! Naja, das ist gleich so herzlich und schön. Die Kneipe ist nichts Besonderes. Aber es gibt schöne Nudelteller.

Georg Magirius: Haben Sie das Lieblingsgerichte, dass die Kellner dann sagen: Wollen Sie wie immer?

Gabriele Wohmann: In der letzten Zeit habe ich seh gern dieses Italieners gefüllte Nudeln. Da sind dann neuerdings Walnüsse drin. Die Nudeln sind so bonbonförmig eingewickelt. Also der Teig ist so umgedreht – sieht aus wie ein Bonbon. Und innen drinnen ist so eine wunderbare Walnussfüllung meist noch mit Ricotta. Oder ich esse gern Gnocchi mit Gorgonzolasauce.

Magirius: Pizza?

Wohmann: Pizza habe ich immer auch sehr gern gegessen – jetzt lange nicht mehr. Wäre mal eine Idee für morgen.

Die Vorfreude ist für Gabriele Wohmann ein Hinweis auf den Himmel, vor allem der Moment kurz vor der Erfüllung. In ihrem Roman "Bitte nicht sterben" geben ihre Heldinnen Beispiele: Kurz bevor der Kellner das Vanilleeis mit Schokoladensauce bringt. Kurz bevor in der Bachfuge der wunderbare Tonartwechsel kommt. Kurz bevor sich im Theater der Vorhang öffnet.

Allerdings konnte die Autorin Gabriele Wohmann nicht mehr gut ins Theater oder Kino gehen, als ich vor 15 Jahren mit ihr sprach. Die Vorfreude bleibt.

Gabriele Wohmann:
Jeden Morgen gucke ich genau ins Programm, kreuze an, was eventuell sehenswert ist. Ich meine, es kommt daher, dass ich früher von jeher gern Filme gesehen habe und ins Kino gegangen bin. Und jetzt ist Kino halt im Hause. Man muss vorlieb nehmen mit dem, was man da angeboten bekommt – ich kann ja nicht mehr gut aus dem Haus gehen. Also ist das Fernsehen jetzt Ersatz, aber auch sehr gemütlich. Man kann sich schon für die Nacht präparieren – bis auf Zähneputzen. Alles schon bereit fürs Schlafengehen. Und dann noch Fernsehen. Aber hinterher will ich doch noch lesen. Was Vernünftiges tun. Ich will nicht völlig verblöden.

Magirius: Das findet man auch nicht so oft bei Schriftstellern.

Wohmann: Vor allem, dass sie es zugeben! Das ist es doch.

Magirius: Das ist denen peinlich. Und warum trauen Sie sich das?

Wohmann: Ich traue mich halt einfach. Es hat doch gar keinen Sinn, dass ich in einem Interview dann irgendwas erzähle: Abends sitze ich dann auch immer noch am Schreibtisch. Und schreibe noch letzte Gedichte. (lacht)

Gabriele Wohmann ist durch ihre Arbeiten fürs Fernsehen weit über den literarischen Kosmos hinaus bekannt geworden. In ihrem Film "Entziehung" von 1973 übernimmt sie sogar selbst die Hauptrolle. Von da an gilt sie vielen als Ikone. Aber auch der Platz auf der anderen Seite des Bildschirms ist reizvoll.

Gabriele Wohmann:
Ich nehme mir Teile meines Abendessens mit zum Fernsehen. Das ist der Hauptgenuss, irgendetwas in den Mund zu stecken und Bilder zu betrachten.

Die Schriftstellerin entdeckt in Winzigkeiten die Andeutung von Großem. Deshalb jedoch ist sie noch lange nicht anspruchslos.

Gabriele Wohmann:
Ich kann ganz einfach nicht so bescheiden sein in Fragen von Übernachtung. Das geht aber schon lange so, ehe ich so alt wurde, ziemlich lange. Meine Veranstalter wollten mir immer was preiswert Günstiges andrehen und sagen dann immer: Aber Ihre Kollegen haben sich dort immer sehr wohl gefühlt! Ja, die haben sich dann abends besoffen und sind dann kritiklos in ihre Zimmer gewankt. Das ist ein Unterschied. Ich will viel haben von dem Zimmer, ich will mich dort richtig einrichten, alles dorthin platzieren wie sonst auch. Und das Bett genießen und das Bad genießen. Es soll immer alles bei mir, das ist schrecklich, maximal sein. Ich will immer Höhepunkte erleben – furchtbar! Ich kann mich nicht so leicht abfinden mit dem Mittelmaß. Das heißt: Überhaupt nicht abfinden. Es hat was Unbescheidenes. Meine Ansprüche sind sehr hoch an das irdische Leben. Kann nie ganz genügen.

In einigen Hotels allerdings kommen die Ansprüche zur Ruhe. Dann nähert sich die Sehnsucht dem Vollkommenen an.

Gabriele Wohmann:
Man kommt rein in eine wunderbare Halle, geht zur Rezeption. Da stehen gleich reizende Girls und ein angenehmer Portier, dem man so richtig das Vertrauenerweckende ansieht und das Geheimnistuerische. Und dann habe ich immer noch gleich zusätzlich ein Kopfkissen geordert und hab gefragt: Ist auch ein Bademantel im Zimmer? Und bitte ne Tasse Kaffee jetzt gleich rauf! Das waren so meine Standardanliegen.

Magirius: Da konnten Sie schon merken, wie die reagieren.

Wohmann: Ja: Kopfkissen sind immer zu wenig. Das weiß man im Voraus. Der Bademantel ist auch nicht selbstverständlich. Also dann wussten die gleich, dass ich Ansprüche stelle. Es ist nicht rühmlich für mich! Dass ich nicht bescheiden und devot ankam und mich für alles hundertfach bedankt habe. Aber das Bedanken ist selbstverständlich, das habe ich schon.

Jaja! Und dann ist es einfach eine wunderbare Abgeschiedenheit in so einem wirklich schönen Hotel, in einem gepflegten, wo man dann sein "Do not disturb"-Schild herausgehängt hat. Und dann war man allein. Da habe ich auch sehr viel geschrieben in Hotels. Oder auch Post erledigt. Dann bin ich aber immer noch durch die jeweilige Stadt, wenn Zeit war, gelaufen, um was kennenzulernen. In katholische Kirchen gegangen, weil die evangelischen geschlossen waren. Immer allein oder mit einem Organisten, wenn einer gerade übt. Das ist der wahre Zusammenklang: Bachmusik und die Kirche als Umgebung.

Auch in der Küche lässt sich Himmlisches erahnen. So erinnert das schimmernde Licht der Glühbirne im Kühlschrank die Heldin einer Erzählung an das ewige Licht in der Kirche. Ein Augenblick des Trostes. Denn die Küche kann Geborgenheit vermitteln, aber genauso ein Ort der Nervosität sein.

Gabriele Wohmann:
Ich bin keine gemütliche Köchin – leider. Ich wäre gern so versiert wie die meisten meiner Freundinnen und könnte gut kochen und mit viel Nerven. Und auch noch Leute einladen dazu. Ich bin schon stolz, wenn wir einen Gast beherbergen und vorher eine große Konserve aufgemacht haben: Chili con carne oder so was.

Magirius: Ist auch eine Leistung.

Wohmann: Ja!! Das ist eine Leistung, das auf die Teller zu kriegen und dass am Tisch jeder zufrieden ist und dass es aufgeht. Und hinterher hat man einen Haufen Teller zu spülen.

An Gabriele Wohmanns Erzählen begeistert mich ihre Erfindungslust und Komik, mit der sie dem Alltag das Graue stiehlt. Riesige Themen wie Gott, Himmel, Trost platziert sie beiläufig, spielerisch und zugleich ernsthaft in die allernächste Umgebung.

Das erinnert mich an Jesus. Und wie er vom Himmelreich erzählt. Für ihn zeigt es sich ebenfalls im Gewöhnlichen. Auf dem Acker, wo jemand einen Schatz entdeckt. Das Himmelreich ist wie ein Sauerteig, sagt Jesus, den man mit Mehl mischt, bis es ganz durchgesäuert ist. Oder wie ein Same, aus dem eine riesige Staude wächst. Mir sagt das: Ich und meine Umgebung sind groß und gut genug. Genau richtig für das, was im tiefsten Inneren lebendig macht.

Gabriele Wohmann wird oft für ihre Nüchternheit gerühmt, für ihre rigoros kantigen, harten Sätze und ihren messerscharfen Blick. Doch ohne ihren Glauben und die Lust am Spiel hätte sie nie zu schreiben begonnen.

Gabriele Wohmann:
Aber mehr noch empfinde ich als Spiel, wenn ich mich hier als Hausfrau betätige, in der Küche oder so. Da denke ich: Eigentlich spiele ich das bloß. Das bin gar nicht wirklich ich. Betten machen – der ganze lästige Kram, wenn man es als Spiel auffasst, dann geht’s. Aber so ist auch meine Küche ganz spielerisch eingerichtet. Also ganz pedantisch: Da muss das immer stehen. Und da das. Und damit es ulkig aussieht und nicht nur pur Küche ist, kommen dann immer irgendwelche Packungen rein, die ich mal schön und interessant fand. Aus Holland und so. Also: Man muss es spielerisch nehmen.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Musik der Sendung: 
1. Italienisches Konzert in f-moll, Allegro, Komponist: Johann Sebastian Bach Interpret: Jaques Loussier Trio Album: Trio Play Bach No. 3
2. Italienisches Konzert in f-moll - Allegro – Komponist: Johann Sebastian Bach Interpret: Jaques Loussier Trio Album: Four Classic Album

Literatur der Sendung:
1. Gabriele Wohmann: Sterben ist Mist, der Tod aber schön – Träume vom Himmel, aufgezeichnet und mit einem Nachwort von Georg Magirius, Kreuz Verlag, Freiburg im Breisgau 2011
2. 
Gabriele Wohmann, Bitte nicht sterben, Piper, München 1993
3. 
Gabriele Wohmann, Entziehung, Materialien zu einem Fernsehfilm, Luchterhand, Darmstadt / Neuwied 1974
4. 
Gabriele Wohmann, Ein souveräne Frau – Die schönsten Erzählungen, herausgegeben und mit einem Nachwort von Georg Magirius, Aufbau Verlag, Berlin 2012