Gemeinfrei via unsplash / Serghei Savichiuc
Ein fades Brot, das festlich schmeckt
Von glückenden Festen
23.07.2023 08:35
Sendung nachlesen:

Am Anfang meiner Gedanken über das Feiern steht ein Geständnis: Ich bin keine Feierbestie. Wenigstens lade ich nicht zu Festen ein, wie sie manche für das Nonplusultra halten, wenn sie einen runden Geburtstag feiern. Nämlich: Ich rufe an keine große Tafel ins Restaurant oder Wirtshaus. Wobei ich mich in Wirtshäusern durchaus wohl fühle. Bin ich also geizig? Fehlt mir das Großzügige und fördere ich ganz nebenbei auch noch das Wirtshaussterben? Daran ist womöglich etwas dran. Vielleicht aber liegt meine Reserviertheit schlicht an etwas Anderem: Wenn ich viele Freunde, Nachbarn und Kollegen zu einem mehrgängigen Menü ins Restaurant einladen würde, würde ich damit fast meinen ganzen Jahresgewinn als freier Autor auf den Kopf hauen.
Was zu der Frage führt: Hängt die Festfreude von der Höhe des Kontostands ab? Ich glaube nicht. Und bin auch alles andere als unsensibel gegenüber Festen:
Kaum ein Tag vergeht, an dem ich nicht an Feiern denke. Glichen sich alle Tage, verlöre ich wohl jede Kraft. Lieber werfe ich meine Sehnsucht wie eine Leine aus zum nächsten Fest. Und rufe mir vergangene Momente vor Augen, die mich in Euphorie versetzen. Und zwar so sehr, als erfüllten sich diese Momente – jetzt.

Wie entstehen diese Augenblicke, die begeistern? Wie gelingt ein Fest? Es gibt Feiern, die gut vorbereitet sind. Und tatsächlich läuft dann alles wie am Schnürchen. Aber es gibt auch Feste, die glücken, weil Überraschendes geschieht, das gefällt mir am besten.
Es fängt schon vorher an. Aufregend sind Einladungen, mit denen man nicht rechnet. Ich habe das als Kind erlebt, als klar war, wer mit wem befreundet ist. Obwohl unser Dorf nicht riesig war, gab es trotzdem ganz unterschiedliche Gebiete. Da war der alte Ortskern. Außerdem eine Siedlung, die nach dem Krieg entstanden war, als sich dort Flüchtlinge niederließen. Auch die Kinder, die hinter der Bahnlinie wohnten, blieben in der Regel unter sich. Und dann gab es noch das Neubaugebiet „Im Teich“, in dem man trotz des Namens keine nassen Füße bekam. So sagten es jedenfalls die Kinder, die von dort kamen.
Ich kam schon mal in ein anderes Viertel, das aber selten. Und befreundet war man mit denen, die in der Nähe wohnten. Umso merkwürdiger, was dann geschah. Von meinem Kopfkissen aus waren es exakt sechs Meter Luftlinie, bis der Wald begann. Ich lebte damit am Rand des Dorfs und hatte in meiner Klasse den weitesten Weg zur Schule. Deshalb packte ich auch immer sofort ein, wenn der Gong das Ende der letzten Schulstunde markierte. Eine halbe Stunde würde ich dem Mittagessen zuhause entgegengehen.
„Geh noch nicht!“, zeigte mir eine Mitschülerin an, indem sie mit der Hand wedelte. Der Lehrer hatte die Stunde noch nicht offiziell beendet. Das Mädchen war das Gegenteil von mir. Ihr Heimweg war nämlich der kürzeste. Sie wohnte direkt neben der Schule.
Aber warum sollte ich jetzt noch warten? Nein, überlegte ich: Das kann nicht sein. Oder doch? Aber wir kennen uns doch kaum? Sie hatte ihre Freunde, wie ich meine hatte. Als ich auf dem Schulweg den Umschlag öffnete, den sie mir überreicht hatte, hielt ich ein Ticket in der Hand. Es erlaubte mir, zu ihrem Geburtstag zu kommen.

Indem die Gastgeberin mich zu ihrem Geburtstag einlud, der ich am anderen Ende des Ortes wohnte, hatte sie eine Grenze niedergerissen. Fast schien es mir, ich komme mit dem Ticket ans andere Ende der Welt. Das Haus, in dem sie lebte, war mir völlig unbekannt. Als Waldrandbewohner wusste ich nur: Wenige Meter von ihrem Haus entfernt begann die freie Felderlandschaft. Ich konnte mir kaum vorstellen, wie man dort lebte, wohnte, welche Spielplätze man besuchte.
Ich nahm die Einladung an. Ich brauchte keine Termine zu prüfen, war nicht auf Reisen oder hatte anderes Bedeutungsschweres vor. Das nächste Fest war stets das Wichtigste! Auch wenn allein schon aus rein praktischen Gründen nicht alle zu allen Geburtstagen eingeladen waren, verband uns in der Klasse doch genau das: Jeder sagte zu. Immer. Denn ein Fest war nicht zu übertreffen. Nie wusste man, was genau passierte. Was würde gespielt, was gibt es zu essen? Vorhersehbar war das nicht. Und das war wiederum der Grund, dass eines doch sicher war: Das Fest war da, um sich zu freuen.

Sind Feste für Kinder wirklich so fantastisch schön? Womöglich übertreibe ich. Aber mir scheint: Wenn man älter wird, ist das Feiern weniger selbstverständlich. Kommen Absagen, sinkt die Laune. Zu den ärgerlichsten gehören gewiss jene, die ich in sozialen Netzwerken entdecke. Wird dort eine festliche Veranstaltung angekündigt, hinterlässt oft Sekunden später schon jemand die Nachricht: „Wie schade! Aber ich bin dann gerade in Urlaub.“ Weiter heißt es dann noch, wie unvergleichlich dieser Urlaub werden wird. Was wohl bedeuten soll: „Mein Tag wird schöner als deiner!“ Wer zu einem Fest einlädt, hat also noch lange keine Garantie, dass es rauschhaft wird. Davon erzählt Jesus eine Geschichte. Passend zu deren Inhalt saß er dabei am Tisch, um zu trinken, zu essen und um zu erzählen.

Es war ein Mensch, der machte ein großes Abendmahl und lud viele dazu ein. Und er sandte seinen Knecht aus zur Stunde des Abendmahls, den Geladenen zu sagen: Kommt, denn es ist schon bereit! Da fingen sie alle an, sich zu entschuldigen. Der erste sprach zu ihm: Ich habe einen Acker gekauft und muss hinausgehen und ihn besehen; ich bitte dich, entschuldige mich.
Und ein andrer sprach: Ich habe fünf Joch Ochsen gekauft und ich gehe jetzt hin, sie zu besehen; ich bitte dich, entschuldige mich. Wieder ein andrer sprach: Ich habe eine Frau geheiratet; darum kann ich nicht kommen. Und der Knecht kam zurück und sagte das seinem Herrn.
  [Lukas 14,16b-21a]

Der Herr wurde wütend. Was jeder nachempfinden kann, der Absagen erhält, die besagen: „Was brauche ich zu feiern? Ich habe Besseres vor.“ Und das Fest, das sich der Gastgeber schon aufs Schönste ausgemalt hat, verliert seine Farbe. Was soll nun werden? Der Hausherr sprach zu seinem Knecht:

Geh schnell hinaus auf die Straßen und Gassen der Stadt und führe die Armen und Verkrüppelten und Blinden und Lahmen herein. Und der Knecht sprach: Herr, es ist geschehen, was du befohlen hast; es ist aber noch Raum da. Und der Herr sprach zu dem Knecht: Geh hinaus auf die Landstraßen und an die Zäune und nötige sie hereinzukommen, dass mein Haus voll werde.  [Lukas 14,21b-23]

Wenn es anders als erwartet kommt, entstehen manchmal wunderbare Momente. Schranken öffnen sich. Und auf einmal dürfen die ins Haus, die am wenigsten damit gerechnet haben. Manchmal kommt gerade dann, wenn Geplantes durcheinandergerät, endlich Stimmung auf. Es gibt Festprofis, die Mottopartys ersinnen, Geburtstage und Hochzeiten planen. Doch ohne das Ja der Gäste läuft selbst ein perfekt vorbereitetes Fest ins Leere. Die Freude aber beginnt, wenn es an der Tür klingelt. Und ich öffne und sehe die Erwartung im Gesicht der Gäste, als ob sie meine spiegeln würde.

Wenn die Tür sich öffnet, die Freude alle Grenzen überschreitet: Ist es dann überhaupt noch wichtig, was es genau zu essen und zu trinken gibt? Ganz unbedeutend ist es nicht. Am wichtigsten Fest der Juden gibt es nämlich etwas ganz Bestimmtes zu essen. Aber gerade diese vorgeschriebene Speise erinnert einmal mehr daran, dass sich vieles überhaupt nicht planen lässt. Denn das Ereignis, an das dieses Fest erinnert, stellte alles Gewohnte auf den Kopf. Es öffnete sich eine Grenze, die unüberwindbar schien.
Die Erzählung von dieser Überwindung ist die für mich vielleicht sogar wichtigste Geschichte der Bibel. Denn sie hält, solange sie erzählt wird, immer wieder aufs Neue fest: Die schönsten Feste kommen, wenn man damit nicht rechnet. Dann feiern nicht die Alphatiere, Weltreisenden und Reichweitenkönige. Stattdessen geschieht, was unmöglich scheint. Am Tisch sitzen die, die zum Festsaal gewöhnlich keinen Zutritt haben. Nein, noch besser! Es gibt überhaupt keinen Festsaal, und man muss auch nicht sittsam am Tisch sitzen, weil es nämlich beim Ursprung dieses Festes gar keine Tische gab, noch nicht mal einen runden Tisch, um den sich alle schön harmonisch versammeln, um dann alles Eckige des Lebens rund zu quatschen.

Mein biblisches Lieblingsfest dagegen übergeht das Eckige und Ungereimte des Lebens nicht, also gerade das, was überhaupt nicht festlich ist. Und mündet dann in ein Fest, das gerade die erfasst, die niemals feiern sollten. Dieses Feierverbot hatten die erlassen, die ihre Unterdrücker waren.
Die Israeliten, erzählt das 2. Buch Mose, brachen trotzdem in die Freiheit auf. Bis dahin hatte ihr Wille kaum eine Rolle gespielt. Sie waren geknechtet, lebten in Sklaverei. Doch die Flucht gelang! Das feiern die Juden am Passahfest bis heute. Und zwar mit einer ganz bestimmten Speise, die seither an jedem Passah gegessen werden soll. Sie ist nicht luxuriös, sondern einfach. Nach den Maßstäben professioneller Eventplaner ist das Fest damit nichts wert. An Passah nämlich gibt es ungesäuertes Brot. Das ist trockenes Brot, ein dünner, knuspriger Fladen. Denn der Teig war eben noch nicht durchgesäuert, als die Israeliten in die Freiheit aufbrachen, um ihre Peiniger zurückzulassen.
Wegzehrung für die Flucht: Die Fliehenden trugen den Teig roh in Backschüsseln, eingewickelt in Mänteln auf ihren Schultern. Das bescheidene Essen beim Passahfest erinnert daran: Man muss an keinem fein gedeckten Tisch sitzen, damit es festlich ist. Denn das Brot, rät die Bibel, soll so gegessen werden:

Um eure Lenden sollt ihr gegürtet sein und eure Schuhe an euren Füßen haben und den Stab in der Hand und sollt es in Eile essen; es ist des HERRN Passa.  [2. Mose 12,11b]

Selbst dann also kann es etwas zu feiern geben, wenn man über kein Haus verfügt, noch nicht mal Zugang hat zu einem Raum, geschweige denn zu einem Restaurant. Wichtiger: Etwas lang Ersehntes, Überraschendes geschieht. Eine Grenze wird überschritten. Allerdings verfolgten die Unterdrücker die fliehenden Fußgänger noch mit ihren Wagen, Waffen und Pferden. Doch die Sklaventreiber ertranken. Da war den Geretteten klar: Von nun an wollten sie nie mehr ein Leben führen, in dem es nichts zu feiern gibt. Und sie fingen damit sofort an: Ihr Fest war nicht geplant. Doch alles stimmte. Das dünne Brot, das nun gebacken wurde, entfaltete den köstlichen Geschmack der Freiheit...

Da nahm Mirjam, die Prophetin, Aarons Schwester, eine Pauke in ihre Hand, und alle Frauen folgten ihr nach mit Pauken im Reigen. Und Mirjam sang ihnen vor: Lasst uns dem HERRN singen, denn er ist hoch erhaben; Ross und Reiter hat er ins Meer gestürzt.  [2 Mose 15, 20.21]

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Musik dieser Sendung:

Il Giardino Armonico: Sonata in D Minor, für 2 Violinen und Basso continuo d-moll op.1 Nr. 12 RV 63 „La Follia“ (Antonio Vivaldi), CD-Titel: Concerti dacamera II, Track Nr. 4.

Am Sonntagmorgen