epd-bild / Norbert Neetz
Dieses Jahr wäre er 100 Jahre alt geworden: Hanns Dieter Hüsch, der Großmeister des literarischen Kabaretts, der aus seinem Glauben keinen Hehl gemacht hat.
Das Schwere leicht gesagt
Der heitere Glaube des Hanns Dieter Hüsch
04.05.2025 08:35

Dieses Jahr wäre er 100 Jahre alt geworden: Hanns Dieter Hüsch, der Großmeister des literarischen Kabaretts, der aus seinem Glauben keinen Hehl gemacht hat.

Sendetext nachlesen:

"Ich bin ein fahrender Poet, ein Gedankengänger und ein Glückskind. Ich kann aus Trauer Trost machen, aus Schmerzen Heiterkeit, aus Zorn Zärtlichkeit, aus Feinden Freunde und aus Weinen Lachen. Wie ich das mache, weiß ich nicht, das weiß nur der liebe Gott. Ich war und bin immer ein Prediger und ein Zweifler, mal mit der Fackel in der Hand, mal mit der Narrenkappe auf dem Gehirn, mal als Kind und mal als Komiker."

Das hat Hanns Dieter Hüsch gesagt … über sich selbst. Hüsch, der große literarische Kabarettist, der diese Woche 100 Jahre alt geworden wäre. Hüsch, das "Schwarze Schaf vom Niederrhein", Hüsch, der heilige Narr, der seine über 70 Kabarettprogramme am liebsten nach der launigen Devise präsentierte: "Der Niederrheiner weiß nichts, kann aber alles erklären."

Und das hat er gemacht, als philosophischer Clown und geistreicher Entertainer, als einer, der bis zum Schluss seine Texte einfach vorgelesen hat, während er an einer Philicorda-Orgel saß und sich selbst verschmitzt bei seinen Liedern begleitet hat. Ja, Hüsch hat den Menschen das Leben erklärt … übrigens auch den Nicht-Niederrheinern. Bis zu 200 Mal im Jahr hat er seinem Publikum die alltägliche Komik des Daseins vor Augen geführt. Wenn der Spaßmacher ohne Punkt und Komma geplaudert und von der Leichtigkeit des Seins geschwärmt hat, dann kamen ganz oft nach den Veranstaltungen Leute zu ihm und sagten: "Herr Hüsch, Sie müssen in unserer Küche gesessen haben."

Ja, die Menschen haben sich in seinen Texten wiedererkannt. Vielleicht, weil Hüsch so gerne den Leuten in die Töpfe geguckt und den Witz in ihren Ecken und Kanten gefunden hat. Weil das Publikum gespürt hat: Der da auf der Bühne, der Herr Künstler, der interessiert sich für die Menschen, von denen er erzählt. Und er liebt sie. Deshalb hat er auch geschrieben:

"Ich war in Venedig und habe die Sphinx gesehen, aber Gastwirte, Bauern, Fuhrleute, Tagelöhner, preußische Sekretäre und meine Oma, die mit dem schwarzen Kopftuch, haben mir mein Gemüt erleuchtet. Sie sind schuld an meiner Unfähigkeit, Lebewesen zu hassen."

Weil das Publikum Hüschs unendliche Menschenfreundlichkeit gespürt hat, war es auch nicht irritiert, dass der Kabarettist überhaupt keine Scheu hatte, in seine klug durchdachten Auftritte immer wieder Bibelverse und Psalmen einzubinden. Ja, wenn er mit seinem typischen Einstiegssatz begann, "Das muss ich Ihnen rasch mal erzählen …", dann konnte danach auch ein ganz geistlicher Text oder ein kirchenkritisches Lied kommen. Aber so wie Hüsch seine Glaubenserfahrungen präsentierte, fanden das selbst hochgradige Atheisten faszinierend.

Heute möchte ich mit Ihnen diesem ungewöhnlichen Jubilar ein wenig nachspüren und schauen, wie es ihm gelungen ist, das Schwere leicht zu sagen. Auf jeden Fall kann es nie schaden, ihm zuzuhören, denn eines seiner bekanntesten Lieder heißt: "Ich sing für die Verrückten."

53 Jahre hat er auf allen großen Bühnen Deutschlands gespielt: Hanns Dieter Hüsch, der vor 100 Jahren, am 6. Mai 1925 in Moers zur Welt kam. Klar: am Niederrhein. Er selbst hat seine Eltern mal als kleinbürgerlich beschrieben, was für den Menschenfreund Hüsch ein Kompliment war, keine Beleidigung. Er kam mit Fehlbildungen an den Füßen zur Welt. Darum musste der spätere Künstler bis zu seinem 14. Lebensjahr zahlreiche Operationen über sich ergehen lassen.

Er selbst sagte mal: "Meine Füße standen bei der Geburt 180 Grad exakt nach hinten und in der Achse 90 Grad nach innen." Tja, und einer, der schon als Kind und Jugendlicher mit riesigen, überdimensionalen Filzpantoffeln herumlaufen muss, wird ganz schnell zum Klassen-Clown und Alleinunterhalter. Immerhin: Wegen seiner Behinderung musste er nicht an die Front.

Seinen Eltern zuliebe studiert Hüsch nach dem Not-Abitur ein Semester Medizin. War nichts. Dann Literaturgeschichte und Theaterwissenschaft. War auch nichts. Hüsch hat – anstatt Seminare zu besuchen – lieber eigene Texte geschrieben. Fürs Studentenkabarett und bald auch für sein erstes Soloprogramm "Das literarische Klavier". In den 50ern lebt der Klein-Künstler mit seiner Frau Marianne und seiner Tochter in Mainz … und in den 60ern werden seine Konzerte dann allmählich voller und größer. Eigentlich ist es die Zeit der politisch Engagierten und der harten Auseinandersetzungen. Aber Hüsch ist überzeugt: "Dein Gewehr sei die Klugheit, deine Kraft sei die Geduld, deine Geschichte sei die Liebe." Was nicht allen gefällt. 1968 muss er ein Konzert auf der Burg Waldeck abbrechen, weil er ausgebuht wird. Das Publikum will Agitation und Protest. Er liefert lieber tiefgründige Geschichten aus der Nachbarschaft, die seine Kritiker als "Kitschgemüt mit Goldbrokat" abtun.

In den 70ern hat Hüsch dann seinen großen Durchbruch: Auftritte in Funk und Fernsehen, Synchronsprecher für die Laurel-und-Hardy-Filme, Schauspieler … und immer wieder Auftritte auf Kirchentagen und in Kirchengemeinden. Manchmal sogar als Laienprediger. Dafür schreibt er Programme mit so schönen Titeln wie "Meine Bibel" oder "Und sie bewegt mich doch". Gerade, weil er findet, der Pfarrer, den er in seiner Jugend erlebt hatte, hätte ruhig mal ein bisschen mehr über die Menschen reden können, statt einzelne Bibelverse auszulegen, darüber, "wie schwer sie es oft haben, und dass sie ein Leben führen, mit dem sie oft gar nicht zurechtkommen".

Andererseits: Manchmal sind es doch einzelne Bibelstellen, die ihn zutiefst berühren und die er dann mit seinem Publikum teilt. Zum Beispiel das Hohelied der Liebe, in dem der Apostel Paulus so leidenschaftlich deutlich macht, dass die Liebe größer ist als alles andere. Hüsch sagt dazu: Das ist meine "Lieblingsstelle in der Bibel und manchmal denke ich: Das möchte ich auch so schreiben. Von diesem Text ausgehend bin ich eigentlich zur Kirche zurückgekehrt". Wie die Bibel möchte der Kabarettist von der Liebe schwärmen. Das tut er, indem er über die vielen Momente erzählt, in denen Liebe spürbar wird … oder in denen sie dringend gebraucht wird. Einmal hat er lächelnd erzählt, dass manchmal Leute seine Auftritte erleben und nachher sagen: "Er könnte auch Pastor sein."

Also ein Hirte. War er ja auch. Ein Hirte auf der Bühne statt auf der Weide. Geweidet hat er eine große Herde von Fans, die sich von ihm gerne die grünen Auen des tiefsinnigen Sprachwitzes zeigen lassen wollten. Was er durfte, weil er der sich nicht scheute, auch seine eigenen, teils schmerzhaften Erfahrungen offen zu benennen: den frühen Tod seiner Mutter, viele beschwerliche Kindheitserfahrungen, den Tod seiner ersten Frau, manche beruflichen Rückschläge oder eben die bisweilen auch kantigen kleinbürgerlichen Verhältnisse in seinem Elternhaus.

Dabei immer die Frage: Was passiert, wenn ich diese oft so komische Welt mit einem liebevollen Blick anschaue. Mit einem prüfenden Blick, der sich der eigenen Unzulänglichkeit bewusst ist. In einem Gedicht schreibt Hanns Dieter Hüsch: "Die Frage ist, die Frage ist: Soll’n wir sie lieben, diese Welt? Soll’n wir sie lieben? Ich möchte sagen: Wir wollen es üben."

Dabei gilt: Ein Mensch, der sich bewusst macht, dass er, dass sich alle in einem Übe-Zustand befinden, der kann auch die Kirche lieben. Hüsch jedenfalls hat einmal erklärt, warum er der Kirche treu bleibe: "Weil ich dort einen Platz spürte, wo ich hingehöre und aufgehoben bin und wo man mich in die Arme nimmt."

Was den liebevoll-kritischen Betrachter des Weltgeschehens keineswegs davon abgehalten hat, auch die Missstände in den Kirchen lauthals zu besingen. Einer seiner bekanntesten Texte handelt zum Beispiel davon, dass Gott aus der Kirche austritt. Was? Ja, Gott tritt aus der Kirche aus. Genauer gesagt: Die Kirche legt es ihm nah und empfiehlt ihm, auch all das mitzunehmen, was die Institution schon immer gestört hat: seine wolkenlose Musikalität, seine Leichtigkeit, seine Krankheit, alle Menschen gleich zu lieben, seine Komik … all das, was ihn so unberechenbar macht. Gott ist aus der Kirche ausgetreten? Nette Vorstellung.

Aber Hüsch wäre nicht Hüsch, wenn er nicht auch für diese Verrücktheit ein hübsches Happy End parat hätte: "Viele Menschen, als sie davon hörten, sagten: ‚Ist doch gar nicht möglich! Kirche ohne Gott? Gott ist doch die Kirche.‘ Doch den größten Teil der Menschen sah man hin und her durch alle Kontinente ziehen, und die Menschen sagten: ‚Gott sei Dank! Endlich ist er frei. Kommt, wir suchen ihn.‘"

Hanns Dieter Hüsch, den wir gerade gehört haben, war nicht nur einer der bekanntesten Kabarettisten der Nachkriegszeit. Er war auch einer, der seine Kunst fröhlich nutzte, um von seinem Glauben zu erzählen; wobei er betonte, dass er sich nie als Missionar verstanden habe. Nein, er hat einfach von dem erzählt, was ihm wichtig war. Und das auf seine ganz eigene Weise.

Zum Beispiel hat er jahrelang auf der Bühne davon erzählt, dass er Gott mal in Dinslaken getroffen hat. Ja, wussten Sie das gar nicht: Gott hat eine Schwester, und die betreibt in Dinslaken eine Wäscherei. Darum schaut Gott da gelegentlich vorbei. Und als der Schöpfer dabei zufällig Hanns Dieter Hüsch begegnet, lädt er ihn direkt ein, ihn mal im Himmel zu besuchen. Klar, der Künstler könne doch auch ihm ein paar nette Geschichten vorlesen. Und wenn er Lust habe, könne er nebenbei im Café Pilatus mit Jesus ein Schwätzchen halten. Übrigens: Im Café Pilatus gibt es eine exzellente Gemüsesuppe.

In Hüschs Originalton klingt das so: "Ich lade Sie mal in den Himmel ein, denn ich bin nämlich der liebe Gott. Und da habe ich gesagt: Das kann ja jeder sagen! Und da hat er gesagt: Das sagt ja auch jeder. Ja, hat er wirklich gesagt."

Immer neue Geschichten denkt sich Hüsch über seinen Besuch im Himmel aus – und dabei ist Gott, wie alle von Hüschs Figuren, ein freundlicher Typ von nebenan, einer, der übrigens auch hervorragend Akkordeon spielt, am liebsten Musette-Walzer. Es gelingt dem Kabarettisten meisterhaft, in seine scheinbar alltäglichen Erlebnisse im Himmel tiefe Weisheiten einzubinden. Zum Beispiel eine wie diese: "Jeder sieht den lieben Gott so, wie er ihn braucht. Sagt Petrus. Nur Gott sieht uns so, wie wir wirklich sind." Was für ein toller Satz: "Jeder sieht den lieben Gott so, wie er ihn braucht. Sagt Petrus. Nur Gott sieht uns so, wie wir wirklich sind.

Da steckt jede Menge Theologie drin. Jede und jeder hat ein persönliches Gottesbild, das natürlich stark von den eigenen Bedürfnissen und Erwartungen geprägt ist. Aber alle können darauf vertrauen: Gott sieht und kennt mich so, wie ich bin. Darum hat Hüsch auch einmal sehr zuversichtlich gesagt: "Ich bin ohne Furcht, denn Gott, der Herr, macht mich leicht und versöhnt mich mit Himmel und Erde." Der große Kleinkünstler war einer, der ganz im Sinne Martin Luthers "dem Volk aufs Maul geschaut hat" und sich nicht mal gescheut hat, auch Gott aufs Maul zu schauen. Da wurde Gott plötzlich ganz nahbar.

Nach der Jahrtausendwende ist der große Entertainer, der seit den 80er Jahren in Köln lebte, aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr aufgetreten. 2005 ist er dann mit 80 Jahren gestorben. Allerdings: Man kann sich gar nicht vorstellen, dass einer wie Hüsch irgendwie vor dem Tod hätte Angst haben können. Vermutlich, weil er das, was ihn zeitlebens bewegt hat, immer selbst ausgestrahlt hat: "Ich bin vergnügt, erlöst, befreit" – wie es in einem seiner Texte heißt, übrigens eine Nachdichtung eines Psalms:

"Ich bin vergnügt, erlöst, befreit. Gott nahm in seine Hände meine Zeit. Mein Fühlen, Denken, Hören, Sagen, mein Triumphieren und Verzagen, das Elend und die Zärtlichkeit. Was macht, dass ich so fröhlich bin in meinem kleinen Reich. Ich sing und tanze her und hin vom Kindbett bis zur Leich.

Was macht, dass ich so furchtlos bin an vielen dunklen Tagen. Es kommt ein Geist in meinen Sinn, will mich durchs Leben tragen. Was macht, dass ich so unbeschwert und mich kein Trübsal hält, weil mich mein Gott das Lachen lehrt, wohl über alle Welt."

Es gilt das gesprochene Wort.

Musik dieser Sendung:
1. Ich sing für die Verrückten, Hanns Dieter Hüsch
2. 
Ich möchte ein Clown sein, Hanns Dieter Hüsch
3. 
Es ist verfrüht, mich schon zu ehren, Hanns Dieter Hüsch

Literatur dieser Sendung:
1. Alle Zitate aus: Hanns Dieter Hüsch: Das literarische Werk. Herausgegeben anlässlich seines 90. Geburtstags von Helmut Lotz. Berlin 2017. Vor allem aus: Bd. 4 "Ich habe nichts mehr nachzutragen. Die christlichen Texte".