gemeinfrei via pixabay / Goran Hovat
Erzähl mir vom Leben
Vom Umgang mit Tod und Trauer
23.11.2025 08:35

Glühwein trinken auf dem Friedhof, Blumen auf dem Grab oder eine Kerze im Fenster. Trauer hat viele Formen. Und die Hoffnung über den Tod hinaus hat viele Farben.

 

Sendetext nachlesen:

Wenn sich unsere Familie zum Totensonntag am Grab meiner Großeltern trifft, gibt es Kekse und Glühwein. So bin ich aufgewachsen. Meine Großeltern sind schon lange tot. Ihre Töchter, also meine Mutter und meine Tanten, waren damals erst in ihren 20ern. Vergleichsweise jung, um beide Eltern zu verlieren. Jede von ihnen hat anders getrauert. Aber einmal im Jahr gingen sie zusammen auf den Friedhof, später auch mit ihren eigenen Familien.

Und irgendwann brachte jemand von uns eine Thermoskanne mit Punsch mit. Während wir das Grab meiner Großeltern schön machten und Weidenzweige hinstellten, erzählten wir von früher und lachten. Zwischendurch wärmten wir uns an einer Tasse Glühwein und wurden auch mal still. Diese Art von Familientreffen auf dem Friedhof ist bei uns zum Ritual geworden - bis heute.

Der Totensonntag heißt auch Ewigkeitssonntag. Ich hoffe: Alle meine Lieben sind in Gottes Ewigkeit geborgen. Und etwas von ihnen bleibt. Mit dieser Hoffnung für die Verstorbenen bin ich nicht allein:

"Der Ewigkeitssonntag ist für mich ein wichtiger Anlass, an die Gräber meiner Großeltern und Urgroßeltern zu gehen. Und ich habe eine große Zuversicht und freue mich, später meine Eltern wieder zu sehen. (…) Der Tod hat nicht das letzte Wort, da bin ich mir persönlich sicher."

"Doch, wenn ich könnte, würde ich meinen Bruder besuchen gehen auf dem Friedhof. Aber es ist ja leider ein bisschen zu weit weg. Aber ich kann ihn ja trotzdem erreichen mit meiner Kerze und dem Foto."

"Der Ewigkeitssonntag bedeutet für mich eine große Weite. An dem Tag kann ich vorwärts, rückwärts schauen, mich erinnern an meine Familie, an Verstorbene, aber auch noch an Lebende."

"Es ist eher, als ob die Welt mal kurz Pause macht und innehält und sagt: Wir denken jetzt an das, was war, an die Menschen, die waren, und was hoffentlich noch kommen wird."

Mal kurz Pause machen und innehalten. Nachdenken über das, was gewesen ist und was kommen wird. Viele Kirchen und Friedhofskapellen öffnen dafür heute ihre Räume. Die Namen der Verstorbenen des vergangenen Kirchenjahres werden verlesen und es werden Kerzen entzündet.

Die Grenzen und Brüche des menschlichen Lebens sollen nicht verschwiegen werden. Eher geht es darum, Trauer gemeinsam zu tragen, einander zu helfen, nicht allein zu sein. Manchmal ist es auch wichtig, gemeinsam zu schweigen.

Die Berlinerin Gloria Blau erinnert sich sehr gut daran, was ihr in der Trauer um ihren verstorbenen Bruder nicht gutgetan hat:

"Ich glaub, am schlimmsten sind Menschen, die denken, sie wüssten, was Trauer ist, und dann Ratschläge geben und dabei aber überhaupt nicht hilfreich sind. Die z. B. sagen: Dein Bruder hätte bestimmt nicht gewollt, dass du jetzt immer noch so traurig bist. Ja, dann hätte er nicht sterben sollen, lass mich in Ruhe so. Ich darf meine Trauer haben, das ist auch ein Zeichen meiner Liebe. Es gibt viele Menschen, die wahnsinnig umsichtig sind und verständnisvoll, die es gut kennen und die Erfahrung auch teilen können und verstehen können. Aber was mich wirklich stört, sind Menschen, die sich anmaßen, darüber sprechen zu können und es selbst nicht erlebt haben."

Gloria Blau hat kirchliche Pop-Musik studiert und lebt als Künstlerin in Berlin. Als ihr Bruder mit 27 Jahren gestorben ist, war sie 22 und hat gerade an ihrem ersten Album gearbeitet. Sie hat viel Erfolg gehabt. Dann aber wurde es zu viel. Wo andere mit Anfang 20 unbeschwert und leicht ihre eigenen Wege suchen und durchstarten, legte sich die Verlusterfahrung über sie.

Einige Zeit später erzählt Gloria Blau vieles davon in ihren Songs. Es entstand das Album: "Wenn es dunkel bleibt". Sie verarbeitet darin ihre Trauer, denkt aber auch neu übers Leben nach.

"Meine Texte und meine Musik waren auch auf jeden Fall ein Ventil für mich. Also ich habe viel geschrieben, als ich einfach nicht schlafen konnte. Als ich wahnsinnig, wahnsinnig traurig war. Um das loslassen zu können. Und ich erinnere mich, dass ich dann die Sachen auch immer wieder angehört habe, um mich zu trösten. Mir hat das auch viel Trost geschenkt, all die Gefühle und die Komplexheit des Lebens in dreieinhalb Minuten Text und Melodie festhalten zu können und mir das dann anzuhören und zu sagen: Ok, so ist es. Hier stehe ich jetzt gerade. Und so konnte ich es auch ein Stück loslassen."

"Das Kostbarste in meinem Leben ist auf jeden Fall meine Zeit und die Menschen um mich rum. Und nicht zu denken, ich muss jetzt noch mehr arbeiten oder irgendwelchen Sachen hinterherrennen. Seit ich Trauer kenne, weiß ich auch, wie limitiert meine Energie sein kann."

Gloria Blau hat vor sieben Jahren ihren Bruder verloren. Der große Bruder Robin, der sich doch immer gekümmert hat, nicht mehr da - das stimmte für die junge Musikerin lange nicht. Das fühlte sich schrecklich falsch an. Sie musste nach und nach Wege finden, damit umzugehen. Wenn ein Geschwister fehlt, reißt das eine besondere Lücke, findet sie:

"Man sagt auch oft über Geschwistertrauer, dass es so die versteckte Trauer ist. Wenn ein Mensch jung stirbt, guckt man natürlich direkt auf die Eltern und sagt, deine arme Mutter. Dann sag ich: Ja, aber ich habe meinen Bruder verloren. Ich habe den Menschen verloren, der weiß, was meine Kindheitsgeheimnisse sind, wo man seine Süßigkeiten versteckt hat. Der weiß, was so die lustigen Begriffe sind, die man im Haushalt benutzt hat. Das ist Insider-Wissen, das verloren geht. Und Menschen, die mich einfach mein ganzes Leben lang so gut kennen und so lange begleiten wie keine Partnerin, kein Partner, keine Freundschaften. Geschwister sind einfach von Anfang an dabei oder sehr früh dabei und auch bis ins hohe Alter. Und das ist eine Verbindung, das findet man so nicht mehr auf der Welt. Wir teilen dieselbe DNA und das ist was wahnsinnig Wertvolles. Deshalb ist mir immer das wichtig, Menschen daran zu erinnern, ihre Geschwister lieb zu haben und in Kontakt zu bleiben, so gut es geht. Und sich auch nochmals klar zu machen, was für ein Geschenk man da miteinander hat."

Auch deshalb leitet Gloria Blau ehrenamtlich eine Trauergruppe für verwaiste erwachsene Geschwister. Sie machen Kreativ-Workshops oder erzählen sich, wie es ihnen geht.

"Weil ich selber auch gemerkt habt, wie wenig Infos, Material und Hilfe es einfach gibt und Verständnis für trauernde Geschwister. Für so eine Trauer, die im ersten Jahr gerade erst anfängt. Und sich dann im nächsten Jahrzehnt wahnsinnig verändert und wahnsinnig intensiv sein kann und wahnsinnig einsam. Deshalb ist es mir da wichtig, irgendwie auch ne Stimme zu sein und Sichtbarkeit und Verständnis zu schaffen."

Es gibt kein Rezept, mit Trauer umzugehen. Trauer macht richtig Arbeit und braucht vor allem viel Geduld. Aber dadurch kann sich etwas wandeln – innerlich. Diese Erfahrung kommt in der Poesie von Gloria Blau vor.

"Ich hab halt geschrieben, was mir auf der Seele brannte. Und mir war nicht wichtig, das irgendwie zu vereinfachen und schönzureden. Und ich hoffe, dass Menschen, die trauern, das hören können und sich verstanden fühlen. Und das vielleicht weitergeben an Menschen, die sie nicht so gut verstehen. Mir geht‘s aber gerade so. Und das ist auch in Ordnung. Gib mir einfach die Zeit, die ich brauche, bis ich wieder Licht sehen kann. Gib mir einfach was zu essen, ne warme Dusche, ne flauschige Decke und dann machen wir das schon."

Gloria Blau geht offen mit ihrer Trauer um. Vielleicht ein Grund, warum sich viele Menschen ihr anvertrauen mit ihren eigenen Geschichten:

"Dass ich Nachrichten bekomme im Internet oder Emails von Menschen, denen das viel bedeutet hat oder denen das hilft, mit ihrer Verlusterfahrung umzugehen. Das ist das größte Geschenk, was ich bekommen kann als Musikerin."

Ihre Sicht aufs Leben ist durch den frühen Verlust eine andere geworden. In einem ihrer Gedichte sagt sie:

"Doch warum musstest du erst gehen, damit ich lerne, worum es eigentlich geht?"

"Ich hab das geschrieben, als ich in Marokko saß und übers Meer geguckt habe. (…) Und habe einfach diese Schönheit und die Naturgewalt vom Meer und vom Sonnenuntergang so ganz intensiv gespürt. Für mich ging es auch darum, das zu leben und zu erleben, weil mein Bruder das nicht mehr kann."

Vielleicht bejaht Gloria heute das Leben sogar mehr als früher. Manchmal will sie ihren Bruder heute stolz machen, mit dem was sie tut. Einer ihrer Songs erzählt von einer tiefen Verbindung und vom Neu-Werden:

"‘Mein dritter Sommer‘ mag ist sehr gerne. Wo ich sage, ich trage wieder bunt, zumindest ab und zu und jede Sommernacht fühlt sich an wie du. Wenn das Abendlicht sich mit den Sternen mischt, denke ich an dich, wo immer du auch bist. Weil da schon diese Sehnsucht so mit drinsteckt und dieses ‚ich will auch trauern und ab und zu noch Schwarz tragen‘. Aber trotzdem geht‘s weiter. Und da ist immer noch Schönes in der Welt.

Heute am Ewigkeitssonntag erinnern sich viele Menschen an diejenigen, die nicht mehr da sind. Sie gehen spazieren, machen die Gräber ihrer Verstorbenen schön und zünden Lichter für sie an. Was aber viele mit sich herumtragen, auch außerhalb der Friedhöfe, das sieht man nicht, denn niemand trägt lange Schwarz heutzutage.

"In unserer sehr, sehr schnellen Gesellschaft wäre es schön, wenn wir ein bisschen öfter innehalten würden. Und uns erinnern und vor allem auch achtsam mit den Menschen sind, die vielleicht gerade jemand verloren haben. Man sieht es niemandem an, aber Trauer kann eine lange, zähe Wegbegleiterin sein. Und da sollten wir alle ein bisschen verständnisvoll und liebevoll miteinander sein."

Gloria Blau will mit ihrer Kunst Aufmerksamkeit schaffen fürs Leben, das schön ist, aber nicht perfekt. Ein Leben, das Herausforderungen und Kurven kennt. Bei allem aber ist unsere Energie nicht unendlich und sie braucht es auch nicht zu sein.

Sie selbst habe viel gelernt durch die Trauer. Sie hat ihre Trauer mit der Zeit auch ein wenig gezähmt, erinnert sie sich:

"Ich bin der Meinung, Trauer wird nicht wirklich kleiner oder leichter. Aber man lernt, damit umzugehen. Man lernt, daraus zu wachsen. Und das Leben drumrum wird wieder größer und wichtiger. Und andere Sachen rücken wieder mehr in den Vordergrund als die eigene Trauer. Es kommt in Wellen und geht in Wellen. Im Moment sind es Veränderungsprozesse, wo ich denken würde, das würde ich jetzt gerne mit meinem Bruder besprechen. Oder Geburtstage, Todestage, Weihnachten, Familienfeste, wo ich merke, er fehlt da sehr. Im Alltag sind andere Sachen wichtiger, und das ist auch in Ordnung."

So gibt es Tage, an denen wir besonders verbunden sind mit den Verstorbenen. So verschieden wir sind und was auch immer wir glauben, so unterschiedlich gehen wir mit Tod und Leben um. Aber es kann schon sein, dass sich durch den Tod etwas verändert - mitten im Leben. In Glorias Familie ist vieles wichtiger geworden:

"Wir feiern Feste, gerade Geburtstage viel größer und schöner als früher. Wir gönnen uns dann wirklich gutes Essen, reisen, Wellness, Musicals. Wir versuchen immer, was Schönes miteinander zu erleben und schöne Erinnerungen zu schaffen. Weil, wir sind alle erwachsen, verdienen jetzt eigenes Geld, müssen uns nicht Sachen schenken. Das, was wir uns schenken können, ist gemeinsame Zeit."

Das Grab meiner Großeltern, an dem wir uns immer mit Keksen und Punsch getroffen haben, gibt es heute nicht mehr. Es wurde eingeebnet. Andere Gräber sind dazugekommen in unserer Familie, auf anderen Friedhöfen. Und so machen einige in meiner Familie heute sogar eine kleine Tour zu den Gräbern. Mit Thermoskanne und Kekskörbchen - unser Ritual von früher. Weil ich arbeite, kann ich diesmal nicht mit. Aber wenn es heute Abend ruhig geworden ist, dann werde ich mir ganz sicher einen Glühwein einschenken und an all meine Lieben denken.

Der Gedanke, dass bei Gott nichts und niemand verloren ist, sondern für immer aufgehoben bleibt, hilft mir. Ich vertraue auf Gottes schöpferische Kraft im Vergehen und im Werden.

Und so hebe ich die Tasse: Auf euch und das Leben! Und auf das, was da noch kommen mag in der Ewigkeit!

Es gilt das gesprochene Wort.
 

Musik dieser Sendung:
1. Gloria Blau; Wenn es dunkel bleibt, Track 1: Lavendel
2. Gloria Blau, Rauf zum Mond, Track 1: Mein dritter Sommer
3. Maroon 5, Memories