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Wird in Einsätzen besonderer Beistand gebraucht, sind sie da: Die ehrenamtlichen Notfallseelsorger, Notfallseelsorgerinnen und Kriseninterventionshelfer.
Alarmiert von Polizei, Feuerwehr oder Rettungsdienst. Bei erfolgloser Reanimation, nach einem Suizid, zum Überbringen von Todesnachrichten, bei schweren Unfällen – überhaupt in menschlichen Ausnahmesituationen.
Wenn Notfallseelsorger Matthäus Monz ins Auto steigt, geht ihm vieles durch den Kopf:
Matthäus Monz:
„Ich versuche schon offen zu bleiben, meist ist es anders, als es sich auf dem Pieper und dann am Einsatzort darstellt. Einerseits ist da Anspannung, ich weiß nicht, was kommt, und dann das Gefühl, was auch passiert, ich bin nicht allein, ich habe das Team hinter mir. Es wird schon werden.“
Viel hat er schon gesehen und doch gibt es einen Fall, den er möglichst nicht so schnell erleben will:
Matthäus Monz:
„Plötzlicher Kindstod. Wo man den Eltern beistehen muss, die ihr Kind verloren haben, das vielleicht noch gar nicht so alt ist. Ich glaube, das wäre für mich ein Einsatz, da wäre noch einiges im Nachgang.“
Genau ein solcher Fall war es, bei dem ein Kollege einmal die falschen Worte gegenüber den jungen betroffenen Eltern fand – wenn es dafür überhaupt die richtigen Worte gibt.
Matthäus Monz wollte es anders machen. Und er ließ sich zum Notfallseelsorger ausbilden.
Die praxisnahe Ausbildung dauert mehrere Wochen und auch später gehören viele Fortbildungen dazu. Justus Münster, Beauftragter für die Notfallseelsorge in Berlin, bildet Ehrenamtliche aus und hat manchmal schon geraten, das Vorhaben lieber zu verschieben.
Justus Münster:
„Wir haben sicherlich auch Bewerbungen von Menschen, die mit der Motivation kommen, dass sie sagen: Ich hatte da ein Erlebnis, da ist ein naher Verwandter oder Freund gestorben, da hätte ich mir eine Begleitung gewünscht. (...) Jetzt müssen wir den zeitlichen Aspekt sehen. Wenn diese Bewerbung ich überspitze jetzt mal, 14 Tage nach diesem Ereignis stattfindet bei der Notfallseelsorge, ist das sicherlich zu frisch.“
Denn wer am Unglücksort anderen beistehen will, braucht eine Rollenklarheit und eine sensible Haltung.
Oft bleiben die Notfallseelsorger und Kriseninterventionshelfer noch einige Zeit, da wenn die Einsatzkräfte schon wieder weg sind.
Sie sind einfach da und versuchen, den Betroffenen bei den nächsten Schritten zu helfen. Manchmal schweigen sie auch und halten den Schmerz mit aus.
Justus Münster:
„Zuhören muss man können, nicht sofort werten. Die Situation erstmal wahrnehmen als solche, sich auf die Situation einlassen, eine große Emotionalität und Empathie (....) weil das, was man da erlebt, lässt einen auch nicht kalt und dann die Distanz aufbauen können. Auf der einen Seite die Distanz, ich bin nicht Betroffener, sondern Notfallseelsorger, und dann die Distanz, die ich brauche, um die Situation wahrzunehmen.“
Auch, wenn es nicht der eigene Schmerz ist: Es kann sein, dass man die Bilder nach einem Einsatz nicht los wird. Geschichten, die einem anvertraut werden, als belastend empfindet. In solchen Fällen kann sich jeder Rat und Unterstützung im Team holen und Supervision in Anspruch nehmen. Der regelmäßige Austausch sei eine wichtige Stütze für die Arbeit, weiß Teamleiterin Undine Kroschel aus Oberhavel:
Undine Kroschel:
„Da wird dann qualifiziert herausgetüftelt, was lief in einem Einsatz gut, was nicht, wenn einer einen schweren Einsatz hatte, wird das vorrangig besprochen. Und es wird wertschätzend miteinander umgegangen, es geht nicht darum, ob einer was richtig oder falsch gemacht hat, man überlegt, was man im nächsten Einsatz vielleicht anders machen könnte oder was man ausprobieren könnte.“
Keiner soll in der Not allein bleiben. Rund um die Uhr stehen deshalb bundesweit Notfallseelsorger und Kriseninterventionshelfer bereit. Sie erleben jährlich etwa 25.000 Einsätze. Wer einen Bereitschaftsdienst übernimmt, hat manchmal eine unruhige Nacht:
„Ich könnte jetzt jeden Moment losmüssen, jeden Moment könnte sich der Pieper melden und dann immer das Gefühl, ich habe den Pieper überhört. Der liegt direkt neben dem Bett, ich kann den nicht überhören, ich habe den auf laut gestellt, der weckt mich, und doch ist immer das Gefühl, irgendwas ist anders. Tagsüber hingegen merke ich den Pieper gar nicht mehr, es sei denn, er meldet sich.“
Wenn Matthäus Monz von der Leitstelle gerufen wird, zieht er seine Einsatzweste an, hängt ein Schild mit der Aufschrift „Notfallseelsorge“ ins Auto und packt den Notfallrucksack ein. Darin ein Teddy, Stifte, Flyer mit Beratungsangeboten und eine Kerze. Was er davon braucht, und wie viel er von seinem christlichen Glauben im Einsatz durchblicken lässt, das entscheidet er spontan:
Matthäus Monz:
„Der Glaube spielt für mich eine Rolle, wenn ich dahin gehe, weil ich die Menschen in ihrer Not nicht alleine lassen möchte. Deswegen ist Seelsorge aus dem Begriff Notfallseelsorge für mich auch entscheidend. Gleichzeitig ist er aber für mich nicht so entscheidend, dass ich sage, ich komme da jetzt als Pfarrer hin, ich muss denen jetzt meinen Glauben überstülpen. Und wenn ich merke, die sind gar nicht in der Kirche und können mit den Sachen nichts anfangen, mit denen z.B. ne 80jährige Oma viel anfangen kann als Trost, dann weiß ich, ich muss diesen Teil erstmal zurückstellen oder ganz lassen, und mich auf was anderes einlassen und das trägt auch. Das hilft mir weiter, und das hilft den anderen dann auch weiter.“
Notfallseelsorger und Kriseninterventionshelfer haben ganz verschiedene Hintergründe. Von gläubig bis konfessionslos ist alles dabei. In einigen Bundesländern organisieren sie sich in gemischten Teams, haben ganz unterschiedliche Berufe, in anderen sind es hauptsächlich Pfarrerinnen und Pfarrer. Eine offene Haltung aber brauchen sie alle, wenn sie am Unglücksort sind.
Während die Einsatzkräfte sich um die Rettung der Betroffenen kümmern oder polizeilich ermitteln, versuchen die Notfallseelsorger vor allem ein Stück Sicherheit zu geben. Vor allem denen, die scheinbar unverletzt sind.
Die Angehörigen und Freunde haben sie dabei besonders im Blick, weiß Pfarrer Justus Münster:
Justus Münster:
„Da signalisiert die Notfallseelsorge als erstes: Wir sind jetzt für dich da. Ich bin für dich da als Notfallseelsorger in genau diesem Moment. Ich stehe dir bei. Ich höre dir zu. Ich schweige auch mit dir in dieser Situation. Nachdem ein Stück Kommunikation stattgefunden hat, das merkt man dann auch, wenn die ersten Schocksymptome wieder abklingen. Wenn sich Menschen wieder entwerfen und fragen: „Ich weiß gar nicht, was morgen ist, ich müsste bei meinem Arbeitgeber Bescheid sagen, in der Schule Bescheid sagen“...., und dann helfen wir, diese Perspektive etwas mit Licht zu füllen, dass ein Geländer für die nächsten Stunden und die nächsten Tage da ist, und wenn das Geländer dann da ist, dann können wir uns verabschieden.“
Das individuelle Gespräch mit dem Notfallseelsorger ist in der Regel auf etwa zwei Stunden begrenzt. Keine zu enge Bindung soll entstehen, aber vielleicht ein Stück Hilfe zur Selbsthilfe.
Aus diesem Grund nimmt sich die zweifache Mutter Undine Kroschel, die einen kaufmännischen Beruf gelernt hat, ganz bewusst Zeit für die Notfallseelsorge:
Undine Kroschel:
„Also ich möchte eigentlich, dass Menschen in so ganz schlimmen Extremsituationen, in ihren schwärzesten Stunden nicht allein sein müssen, das ist das, was mich antreibt. Also ich möchte nicht, dass einer ganz alleine ist, wenn es ihm ganz dreckig geht.“
Menschen in Not beistehen – das ist so alt, wie die Kirche selbst.
„Notfallseelsorge ist quasi praktisch gelebte Barmherzigkeit. Ist so ein bisschen wie beim barmherzigen Samariter, der sich um denjenigen kümmernd, der da am Straßenrand liegt, der unter die Räuber gefallen ist, für den aber völlig klar ist, der braucht jetzt meine Hilfe. Ich frage da nicht lange nach, ich gucke da nicht lange, es ist völlig klar, der wird mir zum Nächsten, die wird mir zum Nächsten, und braucht meine Hilfe. Das ist das, was uns in der Notfallseelsorge umtreibt. Von Feuerwehr und Polizei alarmiert, gehen wir zu den Menschen und sind so lange da, wie sie uns brauchen...wir versuchen auf Augenhöhe in dieser Situation miteinander umzugehen.“
Justus Münster ist einer von etwa 7000 Mitarbeitenden, die deutschlandweit im Einsatz sind. Haupt- oder ehrenamtlich. Sie helfen Betroffenen ganz unabhängig von Religion oder Weltanschauung.
An die anfängliche Skepsis bei Feuerwehr und Polizei erinnert sich der Brandenburger Landespfarrer für die Notfallseelsorge Stefan Baier:
Stefan Baier:
„Dass es hieß, was wollen die Pfaffen hier an der Einsatzstelle, schmeißen die jetzt hier mit Bibeln um sich, also es gab schon skurrile Vorstellungen.“
Die Zusammenarbeit zwischen Notfallseelsorge, Katastrophenschutz, Polizei, und Feuerwehr wird überall immer selbstverständlicher. Heute kennt man sich gut, schätzt sich und kooperiert in der Ausbildung:
„...Dass man sagen kann, das ist ein verlässliches System, das funktioniert. Und ich freue mich, dass Kirche da auch ein bisschen einen Brückenkopf hat, wir kommen mit dem, was uns wichtig ist, schon auch in Teile der Gesellschaft, wo Kirche schon lange den Fuß nicht mehr in der Tür hatte. Es geht weniger um Mission dabei, sondern, dass Kirche mitten im Leben stehend, an den Brüchen des Lebens, wahrgenommen wird, dass es hier hilfreich sein kann.“
Seelsorge unter Blaulicht. Erste Schritte gab es 1962 nach der Flutkatastrophe in Hamburg. Als 1988 nach dem Flugtagunglück auf der US-Militärbasis in Ramstein viele Augenzeugen und die Angehörigen der siebzig Todesopfer seelisch betreut werden mussten, wandten sich die Hilfsorganisationen an die Kirchen und baten um Unterstützung. Das war der Startschuss für die „Arbeitsgemeinschaft Seelsorge in Feuerwehr und Rettungsdiensten“. In den Folgejahren haben sich bundesweit verschiedene Notfallseelsorgesysteme etabliert und Vertrauen ist gewachsen.
Pfarrer Justus Münster, Vorsitzender des Bundesverbands der Evangelischen Notfallseelsorge, freut sich über die Akzeptanz, sagt aber auch:
Justus Münster:
„Tatsächlich wünschen wir uns als Teil der psychosozialen Notfallversorgung, wie das inzwischen heißt, dass die Zufälligkeit der Alarmierung einfach rausgenommen wird. Dass nach größeren Schadensereignissen ganz selbstverständlich die Notfallseelsorge/Krisenintervention dazugerufen wird. Dass ein Einsatzleiter/eine Einsatzleiterin nicht erst aktiv auf die Idee kommen muss, ich kann die dazu holen, um hier meinen Einsatzkräften den Rücken freizuhalten, sondern es ist völlig klar, dass sie automatisch sowieso immer dazugerufen werden. Da müssen wir noch ein Stück arbeiten.“
Auch, wenn die meisten Einsätze im häuslichen Bereich stattfinden, sind Großschadenslagen besondere Herausforderungen. Wie etwa der Weihnachtsmarktanschlag auf dem Breitscheidplatz und der SUV-Unfall in Berlin in jüngster Vergangenheit:
„Wir merken, dass das eine Aufgabe über Tage ist. Am Breitscheidplatz waren wir mit fünfzig Kräften über dreieinhalb Tage direkt vor Ort und haben danach Menschen begleitet und tun das im Prinzip bis heute. Das ist nicht unser Grundauftrag, aber wir nehmen das als Seelsorge der Kirchen gerne wahr. (...) Nach dem SUV-Crash in der Invalidenstraße haben wir tatsächlich über mehrere Tage hinweg Betreuungs- und Begleitungsaufgaben wahrgenommen. Wir waren in der geöffneten Elisabethkirche und haben mit Menschen ausgehalten. Wir waren direkt am Schadensort, wo viele Menschen einfach Blumen und Briefe hingebracht haben. Wir waren bei den Betroffenen mit dabei, auch in den Tagen danach und haben begleitet und haben Lotsenfunktion hin zu anderen Hilfssystemen, bis hin zum Beerdigungszug, den wir begleitet haben, als wichtige emotionale Stütze, die dann auch mit da ist.“
Engel brauchen keine Flügel, keinen Taufschein und kein Amt.
Gut, wenn sie wissen, was sie tun – und darauf vorbereitet und ausgebildet sind. Das Wichtigste aber ist: Indem Menschen für andere da sind, werden sie ihnen für einen Moment zum Engel.
„Eigentlich ist es auch so ein bisschen Mitdenken für einen, der total unter Schock steht, aufgrund seiner Ohnmacht in dieser Situation, weil er nicht fühlt und handlungsfähig ist, wie kann ich den jetzt darin unterstützen, dass er wieder einen Fuß auf den Boden bekommt.“
„Was mich begleitet, ist dieser Vers von Paulus, meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Ich kann nicht alles, ich kann nicht alles gut machen, aber das, was ich mache, hilft erst mal weiter.“
Es gilt das gesprochene Wort.
Musik dieser Sendung:
Coming back to life, Pink Floyd, The Division Bell