Der Singer-Songwriter Joe Bennick hat gelernt, seine Depressionen zu akzeptieren. Geholfen hat ihm unter anderem seine Musik. Bei Konzerten spricht er offen über Depression. Er möchte psychische Krankheiten aus der Tabuzone holen.
Sendetext nachlesen:
Die Geschichte von Joe Bennick erzähle ich als Seelsorgerin. Und als Lernende. Wir lernen gemeinsam und erzählen seine Geschichte gemeinsam: Wir – der Singer-Songwriter und die Pastorin. Ich kenne keinen anderen Menschen, der es so klar und so poetisch beschreibt: "So fühlen sich Depressionen an!"
Joe Bennick, Titel: Under Glass
Fear has stayed and love has gone
And all the loneliness goes on
Cos I have done it wrong again
And I have played life like insane
Die Angst ist geblieben, die Liebe gegangen. Und die ganze Einsamkeit geht weiter. Weil ich es wieder falsch gemacht habe. Ich habe mein Leben wie ein Verrückter gelebt.
"Dieses Lied habe ich geschrieben zwei Tage, bevor ich in die Klinik eingeliefert wurde, also quasi so auf dem Tiefpunkt in meinem Leben. Und ich habe tatsächlich dieses Lied aufgenommen, da war ich auch noch in der Klinik und habe dann dafür ein paar Tage Ausgang gehabt, um dieses Lied aufzunehmen. Und das war tatsächlich, glaube ich, ein Baustein, der mir geholfen hat, weil das das erste Mal für mich bewusst war, dass ich außerhalb von einem Klinikumfeld mit Leuten über dieses Thema rede, weil die Leute, die mit mir im Studio waren, ich denen genau gesagt habe, warum es dieses Lied gibt, in welcher Situation das geschrieben ist und in welcher Situation ich gerade bin."
And here I am, I am fading
And here I am, I am fading
I am here, here till the last
but I feel like I am under glass
Hier bin ich. Ich verblasse. Ich bin hier bis zuletzt, aber ich fühle mich, als wäre ich unter Glas.
Der Song von Joe Bennick, der auf dem Tiefpunkt seines Lebens entstanden ist, trägt den Titel "Under Glass".
"Weil ich mich oft so gefühlt habe, als wäre ich unter so einer Glasglocke. Also einerseits ein bisschen beengt, vielleicht auch ein bisschen luftleer, andererseits aber auch abgeschottet von der Außenwelt."
Die Vorhänge aufziehen – ging nicht. Ein Glas Wasser holen – fast unmöglich. Einkaufen gehen – wenn überhaupt, dann spät am Abend im Schutz der Dunkelheit. Joe Bennick hat sich in diesen Zeiten von allem abgekoppelt.
"Es gab natürlich immer wieder Leute, die das mitgekriegt haben und die auch dann den Kontakt gesucht haben oder die mir Hilfe angeboten haben, aber das konnte ich zu dem Zeitpunkt gar nicht mehr annehmen. Das war schon irgendwie auch ganz oft dieses Gefühl: Ich will nicht zur Last fallen, was, glaube ich, auch so eine Erziehungsgeschichte ist, was ich von meinen Eltern mitgekriegt habe. Aber aus der Nummer bin ich dann irgendwann auch nicht mehr rausgekommen, auch einfach, weil ich es mir, glaube ich, einfach nicht mehr wert war anzunehmen, dass es Leute gibt, für die ich wertvoll bin, weil ich selber meinen Wert nicht mehr gesehen habe."
Hurt and in fear I stayed
and said I'd mend my ways again
I was close to change and to start,
but much more close to falling apart
I kneeled in a hustle, saw the rush
and wailed for a betrayal's touch
I stumbled and lied to my face
was on the way without a pace
Ich war kurz davor, etwas zu ändern und neu zu beginnen, aber noch viel näher daran zusammenzubrechen. Ich stolperte und log mir selbst ins Gesicht, war unterwegs, ohne ein Ziel zu haben. Ich fühle mich, als wäre ich unter Glas.
Es gab Zeiten, da hatte Joe Bennick überhaupt keine Energie – auch nicht, um Musik zu machen. In einer akuten depressiven Episode fehlt der Zugang zu sich selbst, die Kraft, einen Gedanken festzuhalten, die Zuversicht, dass etwas gelingen könnte. Doch auch, wenn er es sich selbst kaum erklären kann: Irgendwann war der Impuls da, sich ans Klavier zu setzen oder die Gitarre in die Hand zu nehmen. Es passierte einfach. Und in solchen Momenten wurde Musik zu seinem Rettungsanker.
"Es die einzige Sprache, die mir noch geblieben ist. Das Einzige, was ich immer konnte, ist das irgendwie in Musik ausdrücken, weil das für mich ne Möglichkeit war, mal so ein paar Sachen rauszulassen."
My breath is getting scarce again
And spells fade out in space when
I feel like I am under glass
I feel like I am under glass
Musik geht unmittelbar ins Innere. Es gibt Musik, die verstärkt negative Gefühle. Und es gibt Musik, die hilft heraus, zieht nach oben, wirkt gegen die düstere Stimmung. In der Bibel steht eine Geschichte, die von der positiven Wirkung der Musik erzählt: die Geschichte von König Saul und dem Hirten David, der Harfe spielen kann.
14 Der Geist des HERRN war von Saul gewichen und ein böser Geist vom HERRN verstörte ihn. 15 Da sagten die Diener Sauls zu ihm: Du siehst, ein böser Geist Gottes verstört dich. 16 Darum möge unser Herr seinen Knechten, die vor ihm stehen, befehlen, einen Mann zu suchen, der die Harfe zu spielen versteht. Sobald dich der böse Geist Gottes überfällt, soll er spielen; dann wird es dir wieder gut gehen. 17 Saul sagte zu seinen Dienern: Seht euch für mich nach einem Mann um, der gut spielen kann, und bringt ihn her zu mir! 18 Einer der jungen Männer antwortete: Ich kenne einen Sohn des Betlehemiters Isai, der zu spielen versteht. 19 Da schickte Saul Boten zu Isai und ließ ihm sagen: Schick mir deinen Sohn David. 21 So kam David zu Saul und trat in seinen Dienst; Saul gewann ihn sehr lieb und David wurde sein Waffenträger. 23 Sooft nun ein Geist Gottes Saul überfiel, nahm David die Harfe und spielte darauf. Dann fühlte sich Saul erleichtert, es ging ihm wieder gut und der böse Geist wich von ihm. (1. Samuel 16)
"Ich glaube, dass Musik eine wahnsinnige Kraft hat und dass sie einfach deutlich mehr ist als in Anführungszeichen nur irgendwelche Schallwellen, die durch den Raum wandern, sondern dass es halt auf ganz vielen Ebenen im Körper und im Geist einwirkt."
"Saul konnte befreit aufatmen", "es wurde ihm leichter ums Herz", "und er fühlte sich wieder wohler", heißt es in anderen Bibelübersetzungen. Die Musik tut seiner Seele gut. Sauls Diener haben das geahnt – und doch holen sie nicht einfach David herbei. Sondern sie fordern Saul auf: "Befiehl du uns, einen Musiker zu suchen." Saul muss es selbst wollen.
"Es kann dir niemand sagen, ich heile dich jetzt von Depressionen, unabhängig von der Tatsache, ob man das jetzt heilen oder nur beherrschen kann. Aber natürlich muss das von einem selber ausgehen, also man selber muss das annehmen können und man selber muss sagen können, ja, ich will daran etwas ändern."
Der Weg war für Joe Bennick lang und schmerzhaft. Zwar bekam er irgendwann eine Diagnose, doch er fühlte sich übersehen, alleingelassen, falsch behandelt. Es dauerte Jahre, bis eine Ärztin wirklich hinschaute und entschlossen sagte: "Ich lass dich nicht mehr nach Hause, ich weise dich jetzt ein."
Das war ein harter Schnitt. Aber im Rückblick ein notwendiger. In der Klinik wurde ihm klar, dass Medikamente den Weg erleichtern können. Heute gehören auch regelmäßige Sitzungen bei einem Psychotherapeuten zu seinem Alltag. Musik allein reicht nicht, um eine Depression zu heilen. Aber Musik kann dabei helfen, mit der Krankheit umzugehen.
Nochmal Joe Bennick zur biblischen Geschichte über König Saul:
"Das hört sich in der Geschichte halt auch so an, als wäre das eher beherrschen. Als wäre das so eine Sache, wo er auch durchaus damit rechnet, dass das nochmal wiederkommen kann, aber jetzt ja eine Möglichkeit hat, das zu beherrschen. Deswegen fand ich das auch so schön, dass David zum Waffenträger wird. Weil er hat jemand gefunden, der die Tools hat, um ihn aus dieser Situation wieder rauszuholen."
Davids Harfe wurde zur Waffe, zum Instrument, um König Saul aus einem Tief herauszuholen. Wenn sich bei Joe Bennick eine depressive Episode anbahnt, singt er sich selbst seinen Mantra-Song vor: "Invisible Man".
I stare and stare and stare towards the void
See shadows blur together like all of my days
Reality in disconnection mode
I am feeling numb, like I never been before, but
I see you, invisible man
I see you, you are just a boy
I see you, invisible man
I see you, you are just a boy, just a boy, just a boy in my head
Ich starre und starre und starre ins Nichts. Ich sehe Schatten verschwimmen wie alle meine Tage. Ich fühle mich taub wie nie zuvor, doch ich sehe dich, unsichtbarer Mann.
"Ich habe mir diese Depression immer vorgestellt als so einen großen unsichtbaren Mann, der hinter einem steht, der einen so in Richtungen schubsen kann, der einen umklammert hält, der einem so ein bisschen die Luft wegdrückt, der einfach Macht über einen hat. Und in diesem Song wird dieser unsichtbare Mann irgendwann zu einem unsichtbaren Jungen, den man dann selber an die Hand nehmen kann und den man vielleicht auch, in Anführungszeichen, ein bisschen erziehen kann. Dem man dann eben auch sagen kann: Nee, in die Richtung will ich jetzt nicht. "
I follow you, I follow you, you’re still there
A ghost you are a hungry one I swear
Your claws pinch in my cloths to rip me bare
Left marks that became boon and bane, ‘cos
I see you, invisible man
I see you, you are just a boy
I see you, invisible man
I see you, you are just a boy, just a boy, just a boy in my head
Ich sehe dich, unsichtbarer Mann. Ich sehe dich: Du bist nur ein kleiner Junge in meinem Kopf.
Mit Songs wie "Invisible Man" hilft Joe Bennick nicht nur sich selbst. Schon während seines ersten Klinikaufenthalts hat er sich eine Gitarre bringen lassen, hat sich in einen leeren Raum gesetzt und angefangen zu spielen und zu singen. Menschen kamen dazu, hörten, weinten, redeten.
"Also ich habe ganz viel Rückmeldung gehabt, auch weil das ja alles Menschen sind, mit denen man in Kontakt ist und mit denen man auch viel redet, und habe gemerkt, dass viele Leute da Kraft draus ziehen können. Ich glaube ja, dass ich viele Emotionen auch darin verarbeite und dass man das durchaus auch hört und habe das da auch gespiegelt bekommen."
Mittlerweile erzählt Joe Bennick auch bei Konzerten von seiner Depression – falls die Stimmung passt. Er öffnet sich auf der Bühne, weil die Krankheit zu ihm gehört. Und er weiß: In jedem Konzert sitzen Menschen, die Depression direkt oder indirekt schon erlebt haben.
"Da habe ich viele tolle Überraschungen erlebt von Leuten, die dann irgendwie nachher zu mir gekommen sind, von denen ich halt niemals erwartet hätte, dass sie über dieses Thema offen reden wollen und wo man dann auch mal auch ganz anders ins Gespräch gekommen ist und viele Leute sich auch bedankt haben, dass ich dieses Thema angesprochen habe."
Ein Konzert habe ich miterlebt. Das war an Joe Bennicks Geburtstag. Freunde und Weggefährtinnen waren da, Familie, Kollegen und Mitpatientinnen aus der Klinik. Alles Menschen, die ihn mehr oder weniger gut kennen. Nach dem Konzert hat er mir anvertraut: Es war nicht ganz leicht, vor diesem Publikum über seine Depression zu sprechen.
"Ich wollte das einfach für mich nochmal Revue passieren lassen, auch dieses Jahr nochmal nachzeichnen und auch für mich dann vielleicht so einen kleinen Punkt setzen, wo ich sage, du hast dieses Jahr geschafft. Was großartig ist, du stehst jetzt hier und du redest darüber und du hast so viele Leute vor dir, denen du was bedeutest. Und das war total wichtig für mich."
An diesem Abend hat sich Joe Bennick bei seinen Gästen bedankt. Fürs Zuhören, fürs Dasein, für das Aushalten der Ohnmacht. Es kostet viel seelische Kraft, an der Seite eines Menschen mit Depression zu sein. Man muss ein Gespür entwickeln: Wie weit geht Selbstbestimmung? Wann muss man für einen Menschen eine Entscheidung treffen – so, wie Joe Bennicks Ärztin? Oder zumindest einen Anstoß geben – so wie König Sauls Diener?
Ich habe aus den Gesprächen mit Joe Bennick gelernt, aufmerksamer hinzuhören, tiefer hinzufühlen. So konnte Vertrauen wachsen. Es ist ein Raum entstanden, in dem er reden konnte. Und das hilft mindestens so gut wie Musik.
I see you, invisible man
I see you, you are just a boy
I see you, invisible man
I see you, you are just a boy, just a boy, just a boy
I see you, invisible man
I see you, you are just a boy,
I see you, invisible man
I see you, you are just a boy, just a boy, just a boy in my head
Es gilt das gesprochene Wort.
Musik dieser Sendung:
1-5. Joe Bennick, Under Glass
6-8. Joe Bennick, Invisible Man