"Ich bitte euch, haltet doch einmal kurz Brot und Wein hoch, damit wir das gegenseitig wahrnehmen können."
Pfarrerin Kirsten Emmerich sitzt an ihrem Laptop und spricht in die Computerkamera. An dem Zoom-Meeting nehmen 18 Menschen teil, die jetzt alle ihre Brotstücke und Weingläser ins Bild halten. Ein Gottesdienst mit Abendmahl, veranstaltet von drei evangelischen Kirchengemeinden in Frankfurt am Main während des Corona-Lockdowns.
"Unser Herr Jesus Christus, in der Nacht, da er verraten ward, nahm er das Brot, dankte und brach’s und gab’s seinen Jünger*innen und sprach: Nehmet hin und esset, dies ist mein Leib, der für euch gegeben wird. Solches tut zu meinem Gedächtnis. Desgleichen nahm er auch den Kelch nach dem Abendmahl, dankte und gab ihnen den und sprach: Nehmet hin und trinket alle daraus. Dieser Kelch ist das neue Testament in meinem Blut, das für euch und für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden. Solches tut, sooft ihr’s trinkt, zu meinem Gedächtnis. Bitte schaltet eure Mikros an, haltet nochmal das Brot hoch, und wir sagen einander: Brot des Lebens für dich. Brot des Lebens für dich. Haltet den Kelch hoch und wir sagen einander: Kelch des Heils für dich. Kelch des Heils für dich. Lasst uns einen Friedensgruß bringen einander, indem wir die Hand auf die Bildrahmen sozusagen lehnen und vielleicht fast die Hand des Nächsten damit berühren, und einander zusagen: Friede sei mit dir. Friede sei mit dir."
Kurz wird es still in dem Zoom-Gottesdienst, bevor Reiner Dietrich-Zender weiterspricht. Für den Pfarrer ist das Online-Abendmahl genauso neu wie für die meisten anderen hier.
"Ich war am Anfang sehr skeptisch, ob das überhaupt geht. Ich fand von außen gesehen dieses Bild – jeder sitzt allein vor seinem Bildschirm mit seinem Schluck Wein oder Saft und Stück Brot – irgendwie etwas komisch anmutend und hatte für mich nichts mit Abendmahl zu tun. Aber das Spannende war dann in der realen Erfahrung: Das ist gar nicht so. Sondern es stellt sich tatsächlich über die digitale Verbindung eine Gemeinschaft her. Hat mich positiv überrascht."
Es ist alles da, was man für ein Abendmahl braucht - auch am Bildschirm: Die Einsetzungsworte werden gesprochen, alle essen Brot und trinken Wein oder Saft, sie hören und sehen einander. Eine Einheit aus Wort, Element und Gemeinde. Teilnehmerin Martina Borger aus Frankfurt hat sich aus ihrem Wohnzimmer zugeschaltet.
"Was ich wirklich schön fand, und das war vielleicht gerade aufgrund der Tatsache, dass wir uns in der Pandemie befunden haben, als ich das das erste Mal gemacht habe: Es war durchaus Gemeinschaft zu spüren, worum es ja im Grunde auch beim Abendmahl geht. Vielleicht war es nicht ganz so feierlich wie jetzt in der Kirche."
"Nicht ganz so feierlich..."? - Irgendwas scheint doch nicht "richtig" zu sein, wenn man beim Abendmahl allein zuhause am Computer sitzt. Das hat Martina Borger gespürt. Was steht theologisch hinter diesem Gefühl? Warum kommt manchen ein analoges Abendmahl in der Kirche feierlicher, echter vor als ein digitales am Laptop? Das möchte ich herausfinden.
Alles fing damit an, dass Jesus mit seinen Jüngern zusammensaß und Brot und Wein an sie austeilte. "Solches tut zu meinem Gedächtnis", so lautete sein Auftrag. Die Kirchen feiern das Abendmahl seit 2000 Jahren in ungefähr gleicher Weise, als Einheit aus Wort, Element und Gemeinde. Der emeritierte Theologieprofessor Udo Schnelle meint, das müsse auch so bleiben. Weder solle man Cola zum Abendmahl trinken, noch allein am Computer sitzen.
"Die Kirche lebt von ihrer Nähe zum Ursprungsgeschehen. Das heißt also, wir können und wir wollen – jedenfalls ich will das nicht – das Ursprungsgeschehen nicht einfach ändern. Sondern es ist gebunden, die Wirksamkeit ist gebunden an die Kontinuität zum Ursprungsgeschehen. Und das Ursprungsgeschehen vollzog sich natürlich immer leiblich.
Angenommen, Jesus und seine Jünger hätten Laptops gehabt und Videokonferenzen abhalten können: Zum Abendmahl hätten sie sich wohl trotzdem zusammen an einen Tisch gesetzt. Sie wollten ja gemeinsam essen! Deswegen sagen viele wie Udo Schnelle: Die Menschen müssen beim Abendmahl real, analog, leiblich versammelt sein. Um diesen Punkt dreht sich die ganze Diskussion, die in der Praktischen Theologie nicht erst seit der Coronapandemie geführt wird. "Leibliche Kopräsenz" ist das Stichwort. Die Leiber der Menschen gehören zum Abendmahl ebenso dazu wie die Einsetzungsworte, das Brot und der Kelch.
"Es ist deshalb so wichtig, weil Leiblichkeit unser Menschsein konstituiert. Also ich glaube, dass das jetzt sehr viele Menschen gespürt haben, dass es ein fundamentaler Unterschied ist, ob man eben einem anderen oder einer anderen gegenübersitzt, mit ihr kommuniziert oder ob man per Internet miteinander Kontakt hat. Das heißt also: Menschsein heißt Leibsein. Deshalb ist die Leiblichkeit sozusagen für das Verhältnis der Menschen untereinander, aber auch für das Verhältnis der Menschen zu Gott grundlegend."
Mir leuchtet das ein. Im Abendmahl sind die Menschen, die mitfeiern, "Leib Christi". Natürlich ist der Leib Christi geistlich zu denken – als Gemeinschaft, die über Raum und Zeit hinausgeht. Doch gerade im Abendmahl, in der leiblichen Gemeinschaft, beim gemeinsamen Essen und Trinken, erleben Menschen auch konkret, was es bedeutet, "Leib Christi" zu sein.
Die Schweizer Vikarin Claudia Daniel-Siebenmann hat im Theologiestudium eine Arbeit über das Online-Abendmahl geschrieben – kurz vor Corona. Dabei ist sie erstmal in die Kirchengeschichte eingetaucht. Was die Reformatoren Martin Luther und Huldrych Zwingli damals sagten, spielt für das Online-Abendmahl heute eine Rolle – nämlich bei der Frage, ob man sich Brot und Wein einfach selbst nehmen kann.
"Luther und Zwingli haben sich ja damals sehr darüber gestritten, was das Abendmahl bedeutet. Und für Luther ist das Abendmahl eine Gnadengabe. Das heißt, das Abendmahl ist für Luther ein göttliches Zeichen, und der Mensch ist eigentlich nur Empfänger. Und von daher ist es aus der Sichtweise sehr wichtig, dass man das Abendmahl gegeben bekommt, das nimmt man sich nicht selber. Genauso, wie man sich die Sündenvergebung nicht selber zusprechen kann, sondern zugesprochen bekommt, kann man sich das Abendmahl auch nicht selber nehmen. Für Zwingli war das weniger wichtig. Für ihn steht die Gemeinde extrem im Zentrum. Also für Zwingli ist das Abendmahl ein Dank von der versammelten Gemeinde an Gott. Und aus der Sinnrichtung kann man sich das zwar schon selber nehmen, aber es ist eben der Dank der versammelten Gemeinde."
Im Grunde geht es hier wieder um das Leib-Argument: Die Gemeinde muss leiblich versammelt sein, und besonders nach lutherischem Verständnis muss mir jemand Brot und Wein geben. Mit einem freundlichen Blick, persönlich zugewandt. Am Bildschirm fehlt das. Oder nicht? Teilnehmerin Martina Borger.
"Nein, es hat mir eigentlich nicht gefehlt. Es war sehr nett dadurch gelöst, dass eben die Pfarrerin dann jeweils Brot und Wein in die Kamera gehalten hat und wir selber auch dann unser Stück Brot und unsern Wein oder den Traubensaft in die Kamera gehalten haben und ja, das war dann eigentlich recht ähnlich."
Ein Abendmahl am Bildschirm scheint also zu funktionieren, auch wenn die Mitfeiernden nicht leiblich kopräsent sind. Claudia Daniel-Siebenmann sieht aber noch ein weiteres Problem beim Online-Abendmahl: Es geht dabei um Seelsorge.
"Grundsätzlich muss die Theologie und ja auch das Abendmahl immer Antwort auf die drängenden Fragen der jeweiligen Zeit geben. Und gerade beim Abendmahl sieht man, wie sich die Fragen über die Zeit geändert haben. In der Alten Kirche war die Sterblichkeit das größte Thema und die Endlichkeit vom Leben, und da war die Zusage im Abendmahl eigentlich das Ewige Leben. Das wurde extrem betont. Im Mittelalter, kurz vor der Reformation und bei der Reformation war eigentlich die Frage: Wie bekomme ich einen gnädigen Gott, wie komme ich aus dem Fegefeuer heraus sozusagen. Das war die drängende Frage, und die Frage wurde auch im Abendmahl beantwortet, indem man die Gnadenzusage im Abendmahl ganz stark betont hat. Aber ich glaube heutzutage hat keiner mehr die Frage: Was mache ich, wenn ich ins Fegefeuer komme? Das ist eine Frage, die nicht mehr relevant ist. Und eigentlich muss man fragen: Was ist die Angst der Bevölkerung heute? Und die Angst der Bevölkerung heute, der Menschen, ist meines Erachtens nach die Angst vorm Alleinsein, vor der Einsamkeit, und dieser Furcht muss man mit dem Abendmahl eigentlich entgegenwirken. Und deswegen kann man nicht sagen: Jetzt feiere halt alleine Abendmahl vor dem Bildschirm, sondern es ist eigentlich, dass man genau das auffängt, die Ängste auffängt und eben auf eine Gruppenbildung, auf eine Gemeinschaft hinwirkt auch im Abendmahl."
Die Kirche dürfe es sich nicht zu einfach machen und den Menschen sagen: "Ihr könnt euch das Abendmahl ja einfach im Internet holen", meint Claudia Daniel-Siebenmann. Das würde die Einsamkeit nur verstärken. Udo Schnelle geht noch weiter: Er sorgt sich um die Zukunft der Kirche.
"Ja, die Gefahr ist, dass – ich sag’s mal drastisch – noch weniger Menschen zu den Gottesdiensten kommen, dass noch weniger Menschen Gemeinschaft erfahren, miteinander feiern, miteinander beten, sondern dass im Grunde genommen eine Art Konsumverhalten, nämlich: Ich mach den Computer an und dann kommt alles zu mir, da bestimmt in Wahrheit bereits die Technik unser Denken."
Ein Online-Abendmahl kann sich Udo Schnelle nur in absoluten Ausnahmesituationen vorstellen, zum Beispiel im harten Lockdown, wenn es gar nicht anders geht. Claudia Daniel-Siebenmann sagt: Die einzelnen sollten auf keinen Fall allein vor dem Bildschirm sitzen. Aber sie hat eine Idee, wie auch ein Online-Abendmahl in leiblicher Gemeinschaft gefeiert werden kann:
"Die Idealvorstellung für mich wäre, dass man vor Ort lokal kleine Gruppen hat, die gemeinsam Abendmahl vorm Bildschirm feiern, dass man in der Kirche, die dann auch ein Stück entfernt sein kann, weil die Kirchenkreise größer sind, ein Abendmahl feiert, das ins Internet streamt und kleine Gruppen vor Ort gemeinsam feiern.
So wäre alles da: Wort, Element und Gemeinde. Sogar kleine Gruppen aus anderen Ländern oder Städten können sich der Videokonferenz zuschalten, so dass der Leib Christi in der konkreten Versammlung und zugleich als weltweite Kirche abgebildet würde.
Doch egal, wie das Abendmahl gefeiert wird – digital oder analog: Es fehlt immer etwas, es ist in seinen raum-zeitlichen Bedingungen immer vorläufig. Hat nicht Jesus selbst gesagt, dass wir eines Tages alle gemeinsam mit ihm – leiblich – am Tisch sitzen werden?
Mein Fazit: Ein analoges Abendmahl ist eher im Sinne des Erfinders als ein digitales. Menschen sollten es, wenn möglich, leiblich kopräsent feiern. Notfalls geht es auch digital, dann sollte es aber als Ausnahme gekennzeichnet werden. Letztlich kann man das Online-Abendmahl nur ausprobieren und sich selbst kritisch befragen – so wie Reiner Dietrich-Zender.
"Spüre und erfahre ich dabei ein Stück Gemeinschaft mit den anderen, die dabei sind und mit Gott, oder erfahre ich sie nicht? Das ist unhintergehbar, das muss jeder für sich selber benennen, ob das geht."
Es gilt das gesprochene Wort.
Musik dieser Sendung:
1. Frank Sinatra, Bing Crosba, Fred Waring and His Singers, Let us Break Bread Together,
CD-Titel: America, I Hear You Singing
2. Oslo Gospel Choir, Let us Break Bread Together, CD-Titel: Oslo Gospel Choir – I Go to the Rock
3. Oslo Gospel Choir, Let us Break Bread Together, CD-Titel: Oslo Gospel Choir – I Go to the Rock