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Uwe Kolbe:
An DICH
Kaiserdom in Frankfurt am Main. Der Lyriker Uwe Kolbe liest aus seinem aktuellen Buch „Psalmen“.
Uwe Kolbe:
Du hast mich gemacht,
du kannst mich zerstören.
Du hast mich aufgemacht,
du kannst mich wieder schließen.
Es gibt nichts zu murren,
nicht dass du das meinst.
Lass nur den Weg mich, der noch bleibt,
an deiner Hand zu Ende gehen.
Uwe Kolbe:
Es sind zum Teil wirklich Gebete. Sie gehen schon sehr, glaube ich, in die Richtung manchmal. Aber selbst gefundene, selbst geschriebene! Nicht traditionelle.
Uwe Kolbe gehört zu den bedeutendsten deutschen Dichtern der Gegenwart. Ich bin in seiner Lesung, weil ich immer wieder neu danach suche, wie das denn heute gehen kann: von Gott sprechen. Dass es nicht kalt klingt, müde oder abgenutzt, sondern so, dass es berührt, aufrührt und verführen kann. Ich sehne mich nach einem Klang, der tröstet.
Uwe Kolbe allerdings redet in seinem Buch „Psalmen“ genau genommen gar nicht über Gott, sondern spricht ihn an. Es sind Gebete, die unverwechselbar sind, ganz eigen. Und doch hat er sie nicht aus dem Nichts erschaffen. Denn in ihnen scheint eines der poetischsten Bücher der Bibel durch, das Buch der Lieder, die Psalmen aus dem Alten Testament.
Uwe Kolbe:
Wo fange ich an,
wohin mit den Augen,
den Blick aufzuheben
zu deinem Morgen
zu nehmen den Weg,
wo führt er mich hin,
hinaus aus der Irre?
Noch singe ich nicht,
ein Stammler der Liebe,
ich bitte dich, lasse
mich sehen den Weg
und singen dein Lied.
Uwe Kolbe, 1957 in Ost-Berlin geboren und aufgewachsen, hat sich tief in die Psalmen der Bibel eingelesen. Dabei wurde er niemals religiös geprägt. Deshalb sei keines seiner Gebete von der sicheren Seite gesprochen. Es seien vielmehr Worte eines Suchenden, „eines Heiden“, wie er seinem Buch vorausschickt, „der Gott verpasste, weil keiner bei dem Kinde ging und sagte, hörst du die Stimme?“
Gelesen aber hat er von dieser Stimme, bereits als Kind, das alles las, was ihm unter die Finger kam.
Uwe Kolbe:
Und da hatte ich so einen Kumpel in der Schulklasse, ganz einfach: Wir haben mit zwölf Jahren beschlossen: Wir würden jetzt doch mal die Bibel lesen wollen. Also ich glaube, ich habe mich zu der Zeit begonnen für Bildende Kunst zu interessieren, also in Reproduktionen, in Büchern, auf alten Zigarettenbildern, ich hatte so eine Sammlung von alten Zigarettenbildern.
Und ich verstand die Hälfte dieser Bilder nicht. Also die eine Hälfte, die fing ich gerade an zu verstehen. Das war die pagane mythologische Welt, das vorchristliche, griechisch-römische Altertum mit seinen fantastischen mythischen Geschichten und Göttergeschichten und Menschensagen. Und dann die andere Hälfte sozusagen war die biblische Sagenwelt – ich sage jetzt einmal – Sagenwelt oder Mythologie, und insbesondere darunter die alttestamentarische. Die Bildwelt des Neuen Testaments, angefangen mit Christus am Kreuz, der Passionsgeschichte, mit der Auferstehung, siehe Matthias Grünewald, Isenheimer Altar – das war mir relativ früh bekannt. Was mich aber mehr gejuckt und begeistert hat, war: Bathseba. Ich wusste nicht, wer das war. Diese Frau bei Rubens hat mich aber interessiert.
Der zwölfjährige Uwe Kolbe fühlt sich von den Erzählungen und Bildern der Bibel angesprochen.
Das Vorhaben jedoch, sie durchzulesen, gibt er bald wieder auf. Trotzdem hat er sie immer wieder aufgeschlagen, in ihr geforscht und gelesen.
Uwe Kolbe:
Wahrscheinlich geht’s jedem so, ich vermute auch jedem, der konfessionell gebunden ist, dass man zurückkehrt zu Geschichten. Man kehrt zurück zu seinen eigenen Geschichten, man kehrt immer wieder zurück zu seinen, ob man sie einfach Lieblingsgeschichten nennt, oder zu den Bildern, die einen nicht loslassen, zu den Sätzen, die einen nicht loslassen.
Dazu gehört für ihn die volkstümliche, von Kindheit an vertraute Geschichte des Propheten Jona. Genauso die Schöpfungsgeschichte. Die sei ihm ganz selbstverständlich, weil er ja selbst das Leben formt und gestaltet – mit Worten. Womöglich seien seine Gedichte untergründig schon immer an den Schöpfer adressiert gewesen, sagt Kolbe. Aber im jetzigen Gedichtband redet er ihn erstmals direkt an. Und zwar mit dem alttestamentlichen Herr, Luthers Übersetzung für das sogenannte Tetragramm, also jene hebräische Anrede, die die Unfassbarkeit Gottes signalisiert.
Uwe Kolbe:
Und sie ist mir die Selbstverständlichste überhaupt! Weil ich sonst gar nicht die Größe der Instanz klar habe. Wen soll ich denn anreden, wenn ich nicht Herr sage? Wer ist denn da auf der anderen Seite? Wer ist denn da größer als ich? Wie kann ich ausdrücken: Ich erkenne doch an, dass etwas größer als ich ist? Und wer in die Natur geht, das ganz ursprüngliche Erleben von etwas, das größer ist als ich, das kennt doch nun wirklich jeder: Einmal rausgehen und unter einem großen Himmel stehen. Oder einen Regenbogen sehen, einen richtigen ganzen großen Regenbogen, und wissen – nicht nur: „Ach das ist ja hübsch!“, sondern „Nein, da ist etwas größer als ich!“ Oder sehen, wie ein Sturm Bäume knickt, und einfach wissen, da ist etwas größer. Ja, das kann man Natur nennen, das kann man den Planeten nennen, das kann man irgendwie sonstwie nennen. Für mich ist, wie soll ich das sagen, sogar das Bewusstsein einer Hand, die das hält, ja, ist für mich beinahe eine elementare Erfahrung.
Uwe Kolbe bekennt sich zu keiner bestimmten Konfession, aber zu Gott. Und zur Bibel. Denn sie ist für ihn viel mehr als ein – wie Intellektuelle das manchmal sagen – eindrückliches Stück Literatur, ästhetisch und kulturgeschichtlich durchaus interessant.
Uwe Kolbe:
Es ist ganz merkwürdig, als ich die Bibel das erste Mal aufgeschlagen habe, um darin wirklich zu lesen und das erste Mal mit dieser Sprache konfrontiert worden bin, ich hatte sie ja vorher nicht, dadurch dass ich nie an einer Liturgie in irgendeiner Form teilgenommen habe, kannte ich diese Sprache ja eigentlich nicht, das ist auch verrückt, das war wirklich eine Erstbegegnung. Und da war es, so würde ich jetzt steif und fest behaupten, selbst damals war es schon mehr als eine Begegnung mit Literatur. Es war keine literarische Erfahrung, sondern es war allein durch die Sprache, durch Luthers Sprache natürlich, war es eine Begegnung mit einem sehr mächtigen Sprechen. mit einem nicht über Nebensachen redenden. Keine Tändelei! Sondern es ging um etwas.
So zeigen die biblischen Psalmen, wie verzweifelt der Mensch sein kann, ausgeliefert, ein Nichts. Und doch bricht immer wieder eine Hoffnung auf, die aus der Tiefe herausgeschrien wird.
Erfahrungen, in denen man sich 2500 Jahre später wiederfinden kann, sagt Uwe Kolbe. Als Lyriker hat er in der DDR früh Höhenflüge erlebt, veröffentlichte bereits mit 22 Jahren seinen ersten Gedichtband, wurde freier Schriftsteller. Er wurde gefördert, gebremst, observiert, erhielt Publikationsverbot, hat 1988 das Land verlassen.
Bis heute ist Kolbe nicht bereit, die damals eigentümliche Mischung aus Schweigen und Verschweigen, aus Dichterstolz, Ohnmacht, Bedrückung und Lüge zu übergehen, anders als viele seiner Kollegen. Näher stehen ihm die Psalmen.
Uwe Kolbe:
Ich lese das, da spricht ein Mensch, der ein Problem hat und dessen Grundhaltung eben oft changiert zwischen Hoffart und Demut. Und das ist im Grunde diese aufbegehrende Demut. Die ist eine Grundhaltung, im Alten Testament überhaupt, das ist ja auch Hiobs Haltung, dieses: Herr, was machst du da? Das ist natürlich auch Moses Haltung. Und: Was willst Du von mir? Und das soll ich jetzt tun?! Und dann muss man‘s tun. Und dann geht man hin und ist der Prophet im eigenen Land und was auch immer. Und ist derjenige, dem etwas auferlegt ist und man wehrt sich dagegen und tut es trotzdem.
Diese Grundhaltung des Alten Testaments sei ihm, dem atheistisch aufgewachsenen Lyriker, auf eine ganz selbstverständliche Weise vertraut. Und er findet diese Haltung auch auf entscheidende Weise im Neuen Testament.
Uwe Kolbe:
Und dann natürlich gibt es die Brücke, wenn man dann begreift, auch den Sprung ins Neue Testament, um ihn doch zu machen, dass die Worte Jesu am Kreuz Psalmzitat sind. Das muss einem ja auch mal jemand sagen! Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Es ist ein exaktes Psalmzitat. Und damit ragt natürlich auch die jüdische Tradition da rüber: Der jüdische Prophet Jesus stirbt am Kreuz.
Während Uwe Kolbe davon erzählt, wie sehr die Sprache der Bibel ihn schon in der Kindheit angesprochen hat, fühle auch ich mich angesprochen. Davon, dass er sich nicht scheut, als vielfach ausgezeichneter Lyriker Gott anzureden. Denn das – da mache er sich nichts vor, sagt Kolbe – gelte als die vielleicht größtmögliche Peinlichkeit unter Intellektuellen. Sie rühmen sich ihres kritischen und aufgeklärten Geistes. Mich rühren Kolbes Gebete an, sein Bekenntnis zu Gott, das nicht krampfhaft indirekt zur Sprache kommt, sondern einfach, klar. Und doch lässt es jeden Raum fürs Zweifeln. Denn seine Gebete greifen die Erfahrung auf: Im Leben ist manchmal überhaupt nichts sicher. Sie scheinen dieser Erfahrung geradezu entsprungen zu sein. So wirkt kein einziges seiner Gebete auf mich fanatisch.
Es ist kein Theologenlatein, da ist kein Himmelssäuseln, seine Gedichte wollen oftmals eher „brüllen statt singen“. In ihnen eingeflochten ist das „Gestöber der Nacht“. Diese Gebete trösten, begeistern, beruhigen mich. Sind streng gefügt, nüchtern und doch voller Sinnlichkeit. Denn immer ist da die Lust am Klang der Sprache zu hören. Womit die Gedichte in der Tradition der Bibel stehen, insbesondere des von Uwe Kolbe bewunderten Alten Testaments.
Uwe Kolbe:
Es macht mich sprachlich an, in Luthers Sprache, die das hauptsächlich ist, in der ich das wahrnehme. Das sind insbesondere Alliterationen, die auch im Hebräischen sehr geläufig sind. Und die auch in deutscher Zunge gut zu haben sind und leicht zu haben sind. Und natürlich ist da die Liste, das Auflisten, die Wiederholung, die rhetorische Figur der Wiederholung. Sie ist mir so vertraut und schon immer nahe gewesen. Und sie ist natürlich noch älter als die Bibel. Aber sie findet sich dort, taugt gut einerseits zum Memorieren, andererseits taugt sie auch gut zum insistierenden Sagen. Ich würde sogar sagen und so weit gehen: Autoren wie Heidegger und Getrude Stein mit ihrer ununterbrochenen Wiederholung – das ist eminent alttestamentlich! (lacht) Und Thomas Bernhard ist auch einer, der sich dieser Methode befleißigt. Und was ist das Verrückte? Sie wird sinnlich, es wird sinnlich. Und so ist es natürlich auch in den Psalmen und im Alten Testament sowieso: In all diesen endlosen Wiederholungen und immer leicht variierten Wiederholungen – also ich sage immer ganz schlicht, ganz mechanisch: Das dreht ein Rädchen bei mir, da passiert bei mir etwas im Kopf!
Es gilt das gesprochene Wort.
Musik dieser Sendung:
- Bettina Linck (Konzertharfe), Moderato der Sonate c-moll (Giovanni Battista Pescetti)
- Bettina Linck, Etude de concert (Felix Godefroid)
- Bettina Linck, Moderato der Sonate c-moll (Giovanni Battista Pescetti)
Literatur:
Uwe Kolbe, Psalmen, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main.